Heimat von Rashford, Lingard & Co.: Wie Manchesters Talentschmiede Fletcher Moss funktioniert

15. April 202013:00
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Der Amateurklub Fletcher Moss Rangers gilt als eine der besten Talentschmieden Englands - unter anderem spielten Marcus Rashford, Jesse Lingard und Danny Welbeck in Kindestagen für den Klub aus dem Süden Manchesters. Fletcher Moss schreibt eine schöne Geschichte, die aber auch ein bisschen traurig ist.

Wie viele sind es denn genau? Um diese Frage beantworten zu können, müsse er erst die Liste holen, sagt David Horrocks am Telefon gegenüber SPOX und Goal. Die Liste. Die Liste, auf der alle Spieler vermerkt sind, die den Sprung von den Fletcher Moss Rangers zu einem Profiklub geschafft haben. Nach kurzer Stille ist er wieder da und jetzt müsse er nur noch kurz durchzählen. "Exakt 93", sagt Horrocks irgendwann und beginnt dann mit größter Genauigkeit und noch größerem Stolz, die späteren Klubs seiner ehemaligen Spieler vorzulesen: "Manchester United, Manchester City, Stoke City, FC Liverpool, Wigan Athletic, FC Burnley ..." Es geht weiter und weiter.

David Horrocks ist Präsident der Fletcher Moss Rangers, dem wohl berühmtesten Amateurklub aus Englands Nordwesten. "Ich weiß nicht, ob wir der Amateurklub sind, der in der Region die meisten späteren Profis herausgebracht hat", sagt Horrocks. "Aber ich kenne keinen, der mehr herausgebracht hat als wir." Beeindruckend ist nicht nur die Masse der Namen, beeindruckend sind auch die Namen an sich. An aktuellen Größen wären da unter anderem: Marcus Rashford, Jesse Lingard und Danny Welbeck.

Jesse Lingard und Marcus Rashford: Einst bei den Fletcher Moss Rangers, heute bei Manchester United.imago images

Der andere Weg der Fletcher Moss Rangers

Fletcher Moss produziert Spieler für den großen Fußball, mit dem großen Fußball an sich hatte oder hat der Klub aber eigentlich nichts zu tun. Alles begann 1986, als einige Väter im Fletcher Moss Park im Süden Manchesters mal wieder mit ihren Kindern Fußball spielten und sich dachten: So ein eigener Klub, das wär' doch was! Also gründeten sie die Fletcher Moss Rangers, gingen einen anderen Weg und bestreiten ihn bis heute.

"Damals gab es in der Gegend keine sportliche Heimat für Kinder mit Migrationshintergrund. Bei vielen Klubs herrschten Vorbehalte gegenüber dunkelhäutigen oder asiatischstämmigen Menschen. Wir haben aber jeden aufgenommen und sind deshalb sehr schnell gewachsen", erklärt Horrocks, der 1991 Teil des "wir" wurde und es seitdem blieb. Fletcher Moss galt in Manchester bald als erste Anlaufstelle für Kinder aus benachteiligten Gesellschaftsschichten und Gegenden. Weil viele davon talentierte Fußballer waren, sollte sich der andere Weg lohnen. "Schon nach wenigen Spielzeiten galten wir in Manchester als einer der Klubs, die es im Nachwuchsbereich zu schlagen gilt."

Wes Brown löste den Talente-Fluss zu Manchester United aus

Als Horrocks bei Fletcher Moss anfing, spielte dort der zwölfjährige Wes Brown, ein äußerst talentierter Innenverteidiger. Horrocks lacht und erzählt, dass er sich mal ins Tor stellte, den kleinen Brown von der Mittellinie schießen ließ und natürlich keine Chance hatte. "Aber gut, ich bin auch nur 1,70 Meter groß." Bald darauf wechselte Brown in die Nachwuchsakademie von Manchester United, später wurde er Nationalspieler und 2008 mit United Champions-League-Sieger.

Brown löste mit seinem Wechsel den seitdem fast permanenten Talente-Fluss von Fletcher Moss zu United aus. Aber je länger der Fluss floss, desto tiefer spülte er das Wechselalter der Talente. Derzeit läuft es meist wie bei Rashford: Er kam mit fünf Jahren zu Fletcher Moss und zog mit acht weiter zu United, um für deren jüngste Akademie-Mannschaft U9 zu spielen.

Von schleichenden und trainierenden Scouts

Fletcher Moss' Ruf im Nachwuchsfußball ist mittlerweile so exzellent, dass sich bei fast allen Spielen Scouts großer Klubs herumtreiben. "Damit wir den Überblick behalten, bitten wir jeden Scout, sich erst bei uns zu registrieren", erklärt Horrocks. "Die meisten halten sich daran, aber manche Scouts schleichen sich auch einfach rein, verfolgen die Kinder und Eltern danach auf den Parkplatz, sprechen sie dort an und versprechen ihnen die Welt. Den Eltern wird dann gesagt, dass sie uns nicht informieren sollen und das Kind einfach zum Probetraining kommen soll. Und wir haben keine Ahnung, was mit dem Kind los ist. Wenn es beim Profiklub nicht klappt, taucht es dann ein paar Wochen später auf einmal wieder bei uns auf."

Horrocks schüttelt sicherlich desillusioniert den Kopf, als er diese Sätze langsam ins Telefon spricht. Denn: "Wir würden einem Kind ohnehin niemals verbieten, zu einem Profiklub zu wechseln. Genau das ist es doch, was wir wollen." Fletcher Moss verfügt nicht einmal über eine eigene Erwachsenenmannschaft, die älteste ist die U17. Der Klub ist geschaffen als Durchgangsstation, als Plattform für talentierte Spieler, um sich Profiklubs zu zeigen. Ein Schlüssel dorthin sind sogar die eigenen Trainer, die ihre besten Spieler oftmals direkt an Profiklubs empfehlen. Gleich mehrere arbeiten hauptberuflich als Scouts.

Kein Geld vom großen Fußball für die kleinen Rangers

Irgendwie müssen die Trainer von Fletcher Moss ja auch ihr Geld verdienen, ihre Tätigkeit ist nämlich wie die aller anderen Vereinsmitarbeiter rein ehrenamtlich. Die einzige Einnahmequelle des Klubs sind die Mitgliedsbeiträge der Eltern und die fließen vorrangig in die Infrastruktur. Nötig sind sie, weil vom großen Fußball bei den kleinen Rangers kein Geld ankommt.

"Natürlich bin ich darüber enttäuscht", erklärt Horrocks. Enttäuscht vom englischen Verband FA, der sich seiner Meinung nach zu wenig um Amateurklubs wie Fletcher Moss kümmert, und enttäuscht von Profiklubs wie Manchester United. "Wir versorgen sie haufenweise mit Spielern und würden uns freuen, wenn sie das finanziell wertschätzen würden", sagt Horrocks. "Aber bisher haben wir keinen Penny bekommen." Ausbildungsentschädigungen sind im englischen Fußball in den betreffenden Altersklassen keine vorgesehen.

Präsident David Horrocks mit Tyler Blackett, der nach seinem Abschied von Fletcher Moss zunächst die Akademie von Manchester United durchlief und aktuell in der zweitklassigen Championship für den FC Reading spielt.Fletcher Moss Rangers

Gemeldet haben sich nur Jesse Lingard und Tyler Blackett

Und vielleicht am allerenttäuschtesten ist Horrocks von denen, die bei seinem Klub das Fußballspielen lernen - und das bei ihrem Profidebüt Jahre später reihenweise vergessen zu haben scheinen. Lediglich zwei aktuelle Profis hätten sich später gemeldet. Wobei: immerhin zwei. Wenn Horrocks vom Wiedersehen mit ihnen erzählt, wirkt es, als ob diese Erlebnisse vieles wettmachen. Ihm Auftrieb geben, auch mit seinen 66 Jahren weiterzumachen, mit dem was ihm Spaß macht: talentierten Kindern eine Plattform und damit eine Perspektive bieten.

Wer hat sich denn gemeldet? "Jesse Lingard ist vor drei Jahren auf einmal bei uns am Vereinsgelände aufgetaucht und hat einen unserer Trainer gefragt, wie er helfen kann", erzählt Horrocks. "Er meinte, dass seine Mannschaft neue Trainingsjacken braucht und Jesse sagte: 'Kauf sie und gib mir Bescheid, wie viel sie gekostet haben. Ich zahle.' Und das hat er dann auch gemacht."

Der andere war Tyler Blackett, der nach seinem Abschied von Fletcher Moss zunächst die United-Akademie durchlief und aktuell in der zweitklassigen Championship für den FC Reading verteidigt. "Er hat mich vor etwa drei Monaten kontaktiert und gefragt, ob der Klub irgendetwas braucht", erinnert sich Horrocks. "Im Scherz habe ich gesagt: 'Ja, 250.000 Pfund, um unser Vereinsgelände fertigzubauen.' Er meinte, dass er leider nicht so viel Geld habe, aber gerne anders helfen würde. Dann hat er uns 14.000 Pfund gegeben, damit wir allen Kindern neue Trikots kaufen können."

Insgesamt rund 250 Kinder spielen aktuell für Fletcher Moss - und 18 Ex-Spieler in der Akademie von Manchester United. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Horrocks' Liste die Dreistelligkeit erreicht. Und womöglich ist irgendwann auch einer dabei, der die 250.000 Pfund für die Fertigstellung des Vereinsgeländes finanziert. Vor fünf Jahren habe der Klub mit der Errichtung angefangen, erzählt Horrocks. Aber weil das Geld ausgegangen ist, mussten die Bauarbeiten mittlerweile eingestellt werden.