Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Wales am Mittwoch in Mönchengladbach (ab 20.30 Uhr im SPOX-TICKER) kristallisiert sich bei der deutschen Nationalmannschaft immer mehr eine neue Hierarchie heraus.
Vor der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz war es leicht: Jens Lehmann, Bernd Schneider, Michael Ballack und Torsten Frings waren die Anführer in der Mannschaft - weil sie es schon immer waren unter der Ägide Löw.
Die Jungen schauten zu ihnen auf, was der Ältestenrat ansagte, wurde so auch umgesetzt.
Hitzlsperger bekommt den Vorzug
Ein paar Monate später ist nicht alles, aber doch einiges anders: Nach dem Rücktritt von Lehmann und Schneiders langwieriger Verletzung bleiben noch Ballack und Frings als Leitfiguren. Wobei der Bremer im Moment nur noch zwischen Bank und Rasen pendelt.
Im wichtigen Spiel gegen die Russen am Samstag vertraute Löw erstmals "ohne Not" auf Thomas Hitzlsperger - und nicht auf Frings. Bisher durfte Hitzlsperger nur ran, wenn Frings entweder verletzt oder gesperrt war. Jetzt traute sich Löw zum ersten Mal überhaupt, den Stuttgarter dem Bremer aus reinen Leistungsgründen vorzuziehen.
Getty"Ich habe mich schon gewundert", sagte zwar dessen Sportdirektor Klaus Allofs. "Wenn Torsten fit ist, ist er eigentlich eine feste Größe im Nationalteam. Er gehört in die Mannschaft." Auch Allofs weiß, dass Frings im Moment einen Wettbewerbsnachteil hat.
Und doch muss er die Situation schon aus reinem Eigeninteresse ansprechen. Schließlich stellt Werder Bremen in Frings, Per Mertesacker, Clemens Fritz und Tim Wiese insgesamt vier Spieler für den DFB ab. Einen Stammplatz hat aber nur Mertesacker.
Ballack mit Kratzern
Selbst Kapitän Ballack galt eine Zeit lang nicht mehr als der unumschränkte Leader, sein Ansehen hat durch den lange anhaltenden Disput mit Teammanager Oliver Bierhoff Kratzer erhalten. Und auch wenn der Streit inzwischen - zumindest offiziell - ausgestanden ist, bleiben Spuren davon am 32-Jährigen haften.
Der Wechsel auf der sensiblen Position des Abräumers vor der Abwehr steht sinnbildlich für eine Art sanfter Revolution im DFB-Team. Löw hat erkannt, dass die Mannschaft in ihrer alten Struktur nicht mehr weiter bestehen kann.
"Es bildet sich im Moment schon auch eine neue Hierarchie", sagt Löw. Diesem Selbstreinigungsprozess will der 48-Jährige nicht im Weg stehen. Löw nimmt die Schwingungen innerhalb der Mannschaft wahr und hat erkannt, dass es auf Dauer nichts bringt, krampfhaft an alten Gewohnheitsmustern festzuhalten.
Ein Blick in die Vergangenheit...
Aus der eigenen Vergangenheit hat Löw gelernt. Früher wurden auch beim DFB etliche Spieler gnadenhalber oder eben aus reiner Gewohnheit mit durchgeschleppt. Spieler, die ihren Zenit längst überschritten hatten, durften weiter mitwirken und standen so nötigen Reformen personeller Natur im Weg.
Auch ein Blick ins Ausland gibt dem Bundestrainer Recht. Frankreichs Raymond Domenech hat denselben Fehler gemacht und sich nicht rechtzeitig von einigen alten Gefolgsleuten getrennt.
...und einer ins Ausland
Bei der enttäuschenden EM hielt Domenech etwa fast zwanghaft an Claude Makelele im defensiven Mittelfeld fest, der beim FC Chelsea nur noch auf der Bank saß und im Sommer deshalb zu Paris St. Germain flüchtete. Getty
Oder aber Italien: Zu spät erkannte Ex-Coach Roberto Donadoni, dass Gennaro Gattuso nicht mehr wie früher der Herrscher über das Mittelfeld ist.
Kronprinz Daniele De Rossi von der Roma wurde von Donadoni zu lange verschmäht, den überfälligen Wechsel vollzieht nun Marcello Lippi - ebenso wie Löw aber auch schleichend und nicht abrupt.
Am Samstag in Bulgarien setzte Lippi in Abwesenheit von Andrea Pirlo von Beginn an auf beide Strategen.
Das Kollektiv zählt - sonst nichts
Ähnlich geht auch Löw vor. Er brüskiert seinen Spieler nicht, er wägt ab und lässt sich immer auch ein Hintertürchen offen. "Ich schätze Torsten über alle Maßen. Er hat jetzt 78 Länderspiele absolviert und immer alles abgerufen, ist immer für die Mannschaft da. Er ist nach wie vor ein wichtiger Spieler für uns", sagte Löw am Montag auf der Pressekonferenz.
Wohl wissend, dass Frings in der Tat wieder ein wichtiger Spieler werden kann. Nach Ballacks Wadenverletzung winkt dem Bremer sogar schon gegen Wales die Chance auf einen Einsatz.
Löw hat anders als früher nicht mehr die Zeit und auch gar keine Lust mehr, sich so intensiv um einzelne Schicksale zu kümmern. Das Team und dessen Erfolg stehen an erster Stelle: "Ich bin nicht für einzelne Spieler verantwortlich, sondern für die Mannschaft."
Unterstützung bekommt er dabei von seinem Teammanager Oliver Bierhoff: "In einer Mannschaft müssen sich nicht alle in den Armen liegen, eine Mannschaft muss funktionieren."
Eine Mannschaft, zu der einige Arrivierte in Zukunft nicht mehr gehören werden. Oliver Neuville, Sebastian Kehl und Gerald Asamoah etwa spielten in Löws weiteren Planungen "keine Rolle mehr". Die Mitteilung ging in den letzten Tagen beinahe unter.
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