Daniel Baier ist eines der zentralen Gesichter von Augsburgs Erfolg der letzten Jahre. Im Interview spricht der Sechser über fehlende Wertschätzung für den FCA, das Phänomen Markus Weinzierl und seine steinige Karriere. Außerdem: Weshalb Baier kein Mitleid mit anderen Trainern hat.
SPOX: Herr Baier, Sie werden oft als einer der am meisten unterschätzten Spieler der Liga bezeichnet. Klingt das für Sie eher positiv oder negativ?
Daniel Baier: Ganz ehrlich: Das interessiert mich überhaupt nicht. Früher, zu meiner Anfangszeit in München hat mich das noch beschäftigt. Damals war ich noch mehr in der Öffentlichkeit und fand es toll, wenn ich in der Zeitung stand. Aber das hat sich komplett gelegt.
SPOX: Heutzutage werden Sie als einer der besten Sechser der Liga gepriesen. Verspüren Sie Genugtuung?
Baier: Ich wollte niemandem etwas beweisen, deshalb spüre ich auch keine Genugtuung. Ich denke nicht daran, was gewesen wäre, wenn... Ich bin mit meiner Karriere zufrieden.
SPOX: Es hat lange gedauert, bis sie letztlich in Augsburg Ihr Glück fanden. Hätten Sie gerne auf den einen oder anderen Umweg verzichtet?
Baier: Nein, auf keinen Fall. In Wolfsburg habe ich die Schattenseiten kennengelernt, das war eine sehr lehrreiche Zeit. Dort gab es einen enormen Konkurrenzkampf und ich konnte nicht auf der Position spielen, wo ich mich selbst gesehen habe. Der Trainer hatte eine andere Ansicht als ich. Aber ich bin auch selbstkritisch. Es gab Spieler, die auf meiner Position schlicht besser waren. Aber vielleicht wäre ich heute auch nicht so weit, wenn ich diese Zeit nicht erlebt hätte.
SPOX: Heute lenken Sie als Sechser das Augsburger Spiel. Hätten Sie früher gedacht, dass Sie mal eine so verantwortliche Rolle einnehmen würden?
Baier: Ich kenne die Position noch aus der Jugend bei 1860. Damals habe ich auch schon Sechser im 4-4-2 gespielt und war Kapitän. Da hatte ich meine beste Zeit. In der Profilaufbahn habe ich dann aber einen anderen Weg eingeschlagen. Am Anfang bei den Profis hatte ich nicht das Selbstvertrauen, das ich noch in der Jugend hatte. Da ist man froh, wenn man mal eingewechselt wird. Oft hatten die Trainer auch andere Vorstellungen oder ich auf der Position bessere Spieler vor mir. Aber ich bin froh, dass Markus Weinzierl mir auf dieser Position sein Vertrauen schenkt.
SPOX: War Ihnen schon zu Jugendzeiten klar, dass die Sechs Ihre Paradeposition ist?
Baier: Es war schon immer meine beste Position, in der Jugend habe ich nichts anderes gespielt. Ich war nie in der Abwehr oder auf den Flügeln, weil mir dafür die Schnelligkeit fehlt. Genauso wenig sehe ich mich als Zehner oder hinter den Spitzen. Dafür fehlt mir die Torgefahr. Auch wenn ich nicht wirklich der Sechser bin, den man sich früher immer vorgestellt hat. Ich war nie als guter Zweikämpfer bekannt, aber ich habe mich darin verbessert. Dazu kann ich das Spiel nach vorne lenken.
SPOX: Zu Ihren Stärken zählt auch Ihre Vielseitigkeit. Weinzierl variiert viel, je nach Gegner agiert Augsburg aggressiver oder vorsichtiger. Für Spieler ändern sich in einzelnen Spielsituationen ja nur Nuancen. Wie viel ist dabei Intuition und Instinkt?
Baier: Das eigene Spiel hat viel mit Instinkt und Erfahrung zu tun. Wir trainieren täglich verschiedenste Spielsituationen und werden auf jeden Gegner speziell eingestellt. Durch die unterschiedlichen Systeme der Gegner entstehen auf dem Platz unterschiedliche Spielsituationen. Die kann man im Vorhinein nicht alle analysieren. Man muss die Dinge dann selbst auf dem Platz regeln, denn es passiert zu viel, was man trotz Analysen nicht vorhersehen kann.
SPOX: In solchen Fällen kann die Variabilität eines Spielers den Unterschied ausmachen. Ist das, was so gern als "Polyvalenz" bezeichnet wird, mittlerweile das wichtigste Merkmal eines Profis?
Baier: Ja. Das Spiel hat sich sehr verändert. Der Unterschied zu meiner Anfangszeit ist enorm, wenn man bedenkt, wie heute taktisch gearbeitet wird, wie sich Spielertypen verändert haben und wie schnell alles geworden ist. Taktische Veränderungen gibt es häufiger, da muss sich ein Spieler schneller anpassen und verschiedene Spielstile annehmen können.
SPOX: Besonders der Ligakonkurrent aus München glänzt in dieser Saison durch Variabilität der Systeme und der einzelnen Spieler. Ist Bayern in dieser Hinsicht der Vorreiter der Liga?
Baier: Bayern kann auch nur so variabel spielen, weil sie eine große Auswahl an hochklassigen Spielern haben. Sie sind da in einer anderen Position. Für den Gegner ist das Spiel gegen Bayern immer ein besonderes, jeder stellt sich auf Bayern ein. Pep Guardiola muss also oft umstellen, sonst sind sie zu leicht ausrechenbar. Deshalb erfindet er oft neue Dinge. Bayern kann jedes System spielen, das machen sie überragend.
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SPOX: Vergangene Saison schlug Augsburg die Bayern noch - wenn auch nicht deren beste Elf. Sie waren hinterher ein wenig verärgert über die Berichterstattung, oder?
Baier: Ich war tatsächlich verärgert, als wir gegen Bayern gewonnen haben und es nur darum ging, dass Bayern angeblich mit einer C-Elf gespielt hat. Das finde ich lächerlich, damit habe ich ein Problem. Womit haben wir denn gespielt? Bei uns haben Hahn, Werner, Vogt und viele andere gefehlt, darüber redete keiner. Bei Bayern standen Schweinsteiger, Kroos, Mandzukic und so weiter auf dem Platz.
SPOX: Fehlt Ihnen manchmal die Wertschätzung für den FC Augsburg?
Baier: Ich finde es zumindest respektlos, wenn Mannschaften wie wir oder auch damals Fürth oder Braunschweig abgewatscht werden und sich quasi dafür schämen müssen, in der Bundesliga zu spielen. Wir haben uns das hart erarbeitet und damit sollte man respektvoll umgehen. Natürlich gibt es qualitative Unterschiede, aber wir können vieles kompensieren.
SPOX: War es nicht auch manchmal ein Vorteil für Augsburg, dass man womöglich unterschätzt wurde?
Baier: Niemand unterschätzt den FC Augsburg. Wir unterschätzen auch keine Teams wie Paderborn oder letzte Saison Braunschweig. Wir wollen jedes Spiel gewinnen - egal, gegen wen.
SPOX: Hat sich die öffentliche Wahrnehmung denn in Folge der erfolgreichen Vorsaison zum Positiven hin verändert?
Baier: Es hat sich schon viel geändert in puncto Anerkennung. Aber im Tagesgeschäft Fußball kann sich das schnell ändern. Wenn wir wie jetzt zwei Spiele verlieren, sind wir wieder Abstiegskandidat Nummer eins.
SPOX: Als der galt Augsburg vor allem 2012/2013, als man nur neun Punkte geholt hatte. Wie war denn die Stimmung in jenem Wintertrainingslager, als die Lage so bedrohlich war?
Baier: An sich war die Atmosphäre nicht so schlecht. Wir sind zuvor im Pokal nur sehr knapp gegen Bayern ausgeschieden, dieses Spiel hat uns nochmal gepusht. Dazu kam Stefan Reuter im Winter, dadurch hat der Trainer noch mehr Rückhalt bekommen. Mit dem ersten Rückrundenspiel in Düsseldorf kam die Wende.
SPOX: Was macht Weinzierl so besonders, dass er sein Team trotz verheerender Punkteausbeute noch derart mitreißen kann, dass Augsburg damals noch der Klassenerhalt gelang?
Baier: Er hat immer an sich und die Mannschaft geglaubt. Die Ergebnisse haben zwar nicht gestimmt, die Leistung aber schon. Wenn man Woche für Woche hart arbeitet und keine Punkte holt, geht das ans Selbstvertrauen. Unser Trainer hat aber nicht draufgehauen, sondern viel dafür getan, dass wir die Köpfe frei hatten und mit Selbstvertrauen in die Spiele gingen.
SPOX: Von Spielerseite gab es auch nie Zweifel am Weg des Vereins? Bei neun Punkten aus 17 Spielen kein vollkommen abwegiger Gedanke...
Baier: Nein, die gab es nicht. Die Mannschaft ist sehr homogen und selbstkritisch. Wir haben nie die Schuld beim Verein oder seinen Verantwortlichen gesucht, denn wir stehen selbst auf dem Platz.
SPOX: Das Umfeld in Augsburg ist ruhig und erfolgsunabhängig, Weinzierl sitzt fest im Sattel. Haben Sie manchmal Mitleid mit anderen Trainern, die nach Niederlagen sofort am Pranger stehen?
Baier: In der Hinsicht sind wir ins Augsburg schon sehr gut bedient. Aber ich habe kein Mitleid mit anderen Trainern. Trainer in der Bundesliga sein, ist ein Traumjob. Da liegt es an jedem selbst, erfolgreich zu sein und seine Chance zu nutzen. Natürlich gibt es unterschiedliche Voraussetzungen. Aber Mitleid will keiner haben.
SPOX: Weinzierl hat in Augsburg die Kurve gekriegt und letztes Jahr verpasste man nur knapp den Europacup. Hat sich den im Zuge dessen das Selbstverständnis des FCA gewandelt?
Baier: Wir haben immer gesagt: Es geht bei uns nur um den Klassenerhalt. Bundesliga zu spielen, ist für den FC Augsburg keine Selbstverständlichkeit. Wir sind finanziell hinten dran, es ist Woche für Woche harte Arbeit, die wir ständig neu bestätigen müssen. Wir dürfen nicht glauben, dass wir mit dem Abstieg nichts zu tun haben, nur weil wir letzte Saison einen Punkt am Europacup vorbeigeschrammt
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