Der Ex-Kapitän von Borussia Dortmund spricht nach dem Aus gegen Tottenham über vergebene Chancen, Hugo Lloris und die Ziele des BVB in der Bundesliga.
Sebastian Kehl hatte zumindest temporär ein Lächeln auf den Lippen, als er in der Nacht zum Mittwoch im Bauche des Westfalenstadions vor die anwesenden Reporter trat.
Borussia Dortmund hatte das Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Tottenham Hotspur zwar gerade mit 0:1 verloren und war damit nach der 0:3-Pleite im Hinspiel ausgeschieden, der Leiter der Lizenzspielerabteilung des BVB hatte allerdings viele Dinge gesehen, die ihn für den Rest der Saison positiv stimmen.
Darüber sprach Kehl genauso wie über Probleme in der Chancenverwertung, die offensive Ausrichtung und die Ziele für die Bundesliga.
Herr Kehl, wie bewerten Sie den Auftritt?
Sebastian Kehl: "Wir haben eine fantastische erste Halbzeit gespielt und hatten genug Torchancen, um mindestens einen Treffer zu erzielen. Das wäre dem Matchplan natürlich zuträglich gewesen. Durch das frühe Tor in der zweiten Halbzeit hat das Spiel dann eine komplett andere Wendung genommen. Da ist uns ein bisschen der Stecker gezogen worden. Dennoch glaube ich, dass wir es hervorragend gemacht haben. Deshalb muss man der Mannschaft vor allem für die erste Halbzeit ein Kompliment machen, aber das muss auch die Benchmark für die Bundesliga sein. Das sind die Leidenschaft und die Intensität, die die Mannschaft zeigen kann - und damit müssen wir Samstag wieder anfangen. Wenn das Spiel in der ersten Halbzeit mit ein, zwei Toren für uns in die richtige Richtung gelaufen wäre, dann wäre heute mal wieder ein Wunder von Dortmund möglich gewesen. Wir haben das Spiel nicht nur hier, sondern vor allem in London verloren. Jetzt ist dieser Wettbewerb abgehakt. Wir haben noch einiges vor."
Sebastian Kehl: Enttäuschung ist gar nicht so groß
Wie groß ist die Enttäuschung?
Kehl: Die Enttäuschung ist gar nicht so groß, das muss ich ehrlich sagen. Ich bin mit dem Auftritt der Mannschaft sehr zufrieden. Wir wollten wieder einen speziellen Moment kreieren, wie wir ihn in diesem Stadion in internationalen Spielen schon häufiger erlebt haben. Das hat die Mannschaft gezeigt.
Fehlte am Ende die Reife?
Kehl: Jetzt kommen wir wieder mit der Reife?! Ich glaube nicht, dass es heute mit Reife zu tun hatte. Wir hatten viele Torchancen und ab und zu braucht man auch mal das Glück - das hatten wir nicht. Es sind viele Bälle abgefälscht worden, zudem hat Hugo Lloris überragend gehalten. Daher hat es für mich nichts mit Reife zu tun. Die Mannschaft hat eine tolle Reaktion und ein ganz anderes Gesicht gezeigt. Das hatten wir eingefordert. Am Ende hat es trotzdem nicht gereicht. Das muss man akzeptieren. Dennoch können wir sehr zufrieden sein.
"Dann wird auch das Glück zurückkehren"
Was nimmt die Mannschaft aus den beiden Spielen gegen Tottenham mit?
Kehl: Dass wir uns so präsentieren müssen, wie wir es in der ersten Halbzeit getan haben. Das ist die Qualität, die die Mannschaft in der Hinrunde konstant gezeigt hat. Wir werden auch wieder in der Lage sein, ein Tor zu schießen. Davon bin ich überzeugt. Wir müssen uns die Dinger hart erarbeiten, dann wird auch das nötige Glück wieder zurückkehren.
Die Chancenverwertung war nicht das erste Mal ein Problem. Wie kann man das angehen?
Kehl: Ich weiß nicht, wie viele Tore wir in dieser Saison schon geschossen haben ... In der Vielzahl wie diesmal waren die Probleme in der Chancenverwertung in den vergangenen Spielen aber nicht sichtbar, glaube ich. Tottenham hat es mit ein bisschen Dusel über die Zeit gebracht. Ich glaube, da war man schon ziemlich erleichtert, als es in die Halbzeit ging. Wir haben eine sehr hohe Intensität an den Tag gelegt, was uns in der Hinrunde schon ausgezeichnet hat. Wir hatten viele Umschaltmomente, haben viele Zweikämpfe und zweite Bälle gewonnen. Es war ein ganz anderes Leben in der Truppe.
BVB: Kehl sah viele positive Dinge
Gleicht das Spiel durch das Ergebnis dennoch dem nächsten Dämpfer oder ziehen Sie Mut aus der Partie?
Kehl: Die Niederlage in Augsburg hat mir deutlich mehr wehgetan. Die Hoffnung war da. Dass man nach einem 0:3 auch Spielglück brauchte, ist aber auch klar. Das hatten wir in der ersten Halbzeit nicht, deshalb ist die Enttäuschung gar nicht so groß. Die Mannschaft hat, wie gesagt, ein gutes Spiel gemacht. Die Begeisterung der Fans war deutlich spürbar. Das Publikum stand bis zum Schluss hinter der Mannschaft. Ich glaube, dass die Fans es anerkannt haben, dass wir alles versucht haben. Wenn man beide Spiele addiert, ist das Ausscheiden unnötig, dennoch haben wir ganz viele positive Dinge gesehen, die wir mitnehmen müssen in die kommenden Wochen. Das sollte uns nochmal Schwung und Kraft geben. Wir können auf der Leistung aufbauen.
Trainer Lucien Favre hat sehr offensiv aufgestellt. Ist diese Herangehensweise eine für die kommenden Spiele?
Kehl: In welcher taktischen Formation wir in die nächsten Spiele gehen, wird der Trainer festlegen. Heute hat es sich ausgezahlt, etwas offensiver zu spielen. Der Trainer wird sich genug Gedanken machen, welche Formation uns am Samstag drei Punkte gegen Stuttgart bringt, denn die brauchen wir unbedingt. Da werden wir mit der richtigen Taktik rangehen, aber vor allem mit der richtigen Einstellung. Denn die ist noch viel entscheidender als die taktische Formation.
Ist es ein Vorteil, dass man sich nun komplett auf die Liga konzentrieren kann?
Kehl: Ich hätte gerne noch weitere Champions-League-Spiele gehabt, die Mannschaft sicherlich ebenfalls. Die paar Spiele hätten wir auch noch geschafft, dafür ist die Mannschaft fit genug. Aber jetzt werden wir die Situation so annehmen, wir können sie ohnehin nicht ändern. Natürlich werden wir ab jetzt einen anderen Rhythmus haben und können unter der Woche ganz anders trainieren und fokussierter arbeiten. Die Zeit werden wir intensiv nutzen. Ob das nun ein Vor- oder Nachteil ist, sei dahingestellt.
Sebastian Kehl: Wollen jetzt "alles raushauen"
Wie fällt das Fazit der gesamten Champions-League-Saison aus?
Kehl: Über die Vorrunde hinweg haben wir eine fantastische Leistung gezeigt und am letzten Spieltag noch die Tabellenführung erobert. Ich glaube, dass wir uns gegenüber der vergangenen Saison ganz anders präsentiert haben. Trotzdem wäre am Ende vielleicht etwas mehr gegen Tottenham möglich gewesen.
Was ist das Ziel für die Meisterschaft?
Kehl: Alles raushauen. Wir brauchen Punkte und Erfolgserlebnisse, müssen mit der gleichen Intensität und Leidenschaft gegen Stuttgart ran und dann werden wir dieses Spiel gewinnen, um in der Endphase der Liga wieder unseren Rhythmus zu finden und nochmal richtig anzugreifen
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