"Kommt mir vor wie ein Wunder"

Cedrik.Marcel Stebe
© Jürgen Hasenkopf

Er war jahrelang verletzt - und legte dann ein Traumjahr 2017 hin. "Ich hatte nie so viel Spaß am Tennis wie jetzt", schwärmt Cedrik-Marcel Stebe, und daran ändert hoffentlich auch sein Zweitrunden-Aus in New York nichts.

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Es gab immer wieder die ganz schweren, ganz dunklen Tage. Die Tage voller Zweifel und Resignation. Die Tage, an denen Cedrik-Marcel Stebe (26) "am Boden zerstört" und knapp davor war, "alles hinzuschmeißen". Die Tage, an denen er sich fragte, warum das Schicksal ausgerechnet ihm immer neue, grausame Streiche spielte. "Es war oft so, dass ich kein Licht mehr sah am Ende des Tunnels", sagt Stebe. Einst war er das Zukunftsgesicht des deutschen Tennis, einer jener jungen, aufstrebenden Spieler, die für Furore im ATP-Wanderzirkus, aber auch im Davis-Cup-Team sorgten. Und dann, plötzlich und unerwartet, war Stebe nur noch das Sorgenkind, der Dauerpatient, der ewig Verletzte. Er verschwand völlig aus der öffentlichen Wahrnehmung, selbst viele Insider wußten nicht, was aus ihm und seiner Karriere geworden war - und werden sollte.

Doch hier, bei den US Open 2017, war er auf einmal wieder da, auf einer großen Bühne, bei einem der schillernden Grand Slam-Turniere - und auch wenn er sich am Donnerstag nach einer Vier-Satz-Niederlage gegen Damir Dzumhur (Bosnien-Herzegowina) aus New York verabschieden musste, war er doch ein Gewinner unter vielen frühen Verlierern im deutschen Lager. Im Januar 2013 hatte Stebe, der zwischenzeitlich fast 30 Monate lang außer Gefecht gesetzt war im professionellen Tennisbetrieb, sein letztes Topturnier bestritten, bei den Australian Open. Nun begeisterte der Mittzwanziger aus Vaihingen an der Enz vorübergehend sogar als Comeback-Phänomen der US Open, mit erfolgreich überstandener Qualifikation und einem Erstrundensieg. "Das ist eine tolle Story, diese Rückkehr in die Weltspitze nach so viel Pech", befand DTB-Herrenchef Boris Becker. Gegen Dzumhur hatten sich Verschleißerscheinungen bei Stebe bemerkbar gemacht, es zwickte in der Hüfte und im Oberschenkel. Immerhin 40 Matches hatte er in den letzten zehn Wochen bestritten. "Jetzt muss ich mal etwas Kraft schöpfen, mal zurückdrehen", sagte Stebe.

"Sicher war das nicht"

Stebes bisher größter Tennismoment hatte sich vor rund fünf Jahren am Hamburger Rothenbaum abgespielt. Da kam der Schwabe plötzlich im letzten Einzel der Relegationspartie gegen Australien zum Einsatz, beim Stand von 2:2 musste er raus auf den Centre Court, zum Duell gegen Altmeister Lleyton Hewitt. Stebe bestand die Herausforderung mit Bravour, er überrumpelte Hewitt in drei Sätzen. Er bewahrte Deutschland vor dem Abstieg, er war auf einmal ein Davis Cup-Held. Aber was er nach Jahren voller Schmerzen und Sorgen, voller Ängste und Ungewissheiten nun schaffte, war allemal höher zu bewerten als jener schlagzeilenträchtige Erfolgsmoment gegen Hewitt. "Dass ich hier stehe und wieder Grand Slam-Tennis spiele, kommt mir wie ein kleines Wunder vor. Sicher war das nicht immer", sagte Stebe nach dem US Open-Abenteuer in New York.

Immer wieder hatte er von diesem Augenblick geträumt, von der Rückkehr auf die größten Tennisbühnen. Und dieser Traum hielt auch seine Moral aufrecht, seinen Kampfeswillen, seine Leidenschaft. Sich gegen immer neue Widrigkeiten zu behaupten, Verletzungen serienweise wegzustecken, das stählte ihn. Machte ihn mental härter und stärker als jemals zuvor. Alles ließ er schließlich hinter sich: Hüftverletzungen, Beckenentzündungen, Streßfrakturen, Probleme mit der Lendenwirbelsäule, auch noch eine Leistenoperation. Stetig und beharrlich kämpfte er sich in der Rangliste nach oben, noch im letzten Jahr stand er um Platz 600, dann schaffte er es unter die Top 500, die Top 200.

Wiedereinstieg in die Top 100

Und jetzt, nach dem Auftritt in New York, war er seinen eigenen Erwartungen, dem persönlichen Plansoll, schon deutlich voraus - als neuer, alter Top 100-Spieler. "Das hatte ich für diese Saison nicht erwartet. das ist unglaublich." Selbstbewusstsein hatte er zuletzt auch aus starken Auftritten bei Challenger-Turnieren bezogen, vor den US Open gewann er einen gutbesetzten Wettbewerb im kanadischen Vancouver, rauschte dann durch die US Open-Qualifikation hindurch. "Ich bin ein anderer Spieler geworden. Aggressiver, druckvoller, dynamischer", sagt Stebe, der in seinem ersten Tennisleben bis auf Platz 71 der Rangliste sprang, "ich hatte nie so viel Spaß am Tennis wie jetzt."

Als er sich mit den Verletzungen herumschlug, viele Monate, viele Jahre, entdeckte Stebe auch eine Welt jenseits des Tennis. Er traf sich öfters mit alten Freunden, er griff zu Büchern. Und er spielte vor allem wieder mehr Klavier, eine Leidenschaft seit frühester Kindheit. Doch nun schlägt Stebe erst mal wieder andere Töne an, auf dem Tennisplatz, der andere Tastenbetrieb kommt ein wenig zu kurz. "Aber wenn ich kann, dann spiele ich. Es ist gut für die eigene Kreativität", sagt er.

Hier das Einzel-Tableau der Herren

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