Edmund nach seinem Triumph über Dimitrov: „Ich fühle mich ein bisschen wie Andy Murray“

Edmund schlug Dimitrov im Viertelfinale.
© getty

Es hatte nicht gut begonnen für die Centre Court-Botschafter Ihrer Majestät, das Tennisjahr 2018 am anderen Ende der Welt. Der erste Ball bei den Australian Open war noch nicht gespielt, da erklärte Superstar Andy Murray bereits seinen verletzungsbedingten Verzicht, er legte sich dann gleich für eine Hüftoperation unters Messer und kündigte an, im Juni wieder für neue Großeinsätze bereit zu sein.

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Und dann verabschiedete sich in der zweiten Turnierrunde auch noch Top Ten-Spielerin Johanna Konta mit einer krachenden Niederlage gegen das US-Girl Bernarda Pera von der Grand Slam-Party in Melbourne. Doch ein einsamer Streiter vertrat fortan ebenso überraschend wie zupackend die Interessen des Vereinigten Königreichs, souverän zog der Außenseiter seine Kreise im National Tennis Center - nervenstark, abgebrüht, couragiert, zu allem entschlossen.

Und als nun am neunten Wettbewerbstag abgerechnet war bei den Australian Open, da war er immer noch da: Kyle Edmund, 23 Jahre, frischgebackener Halbfinalist, stolzer letzter Mohikaner der Briten beim ersten Major-Wettbewerb dieser Spielzeit. Nichts weniger als der bisher größte Coup seiner soweit eher unauffälligen Laufbahn war ihm, der Nummer 49 der ATP-Hackordnung, auf einer der großen Bühnen gelungen, der Vorstoß in die erlesene Runde der letzten Vier mit einem hochverdienten 6:4, 3:6, 6:3, 6:4-Sieg über Weltmeister und Geheimfavorit Grigor Dimitrov.

Andy Murray von Kyle Edmund beeindruckt

Und mehr ist durchaus drin für Edmund, denn im Halbfinale steht ihm nun Marin Cilic gegenüber, der im Duell mit Rafael Nadal von der verletzungsbedingten Aufgabe des mallorquinischen Matadors profitierte, beim Stand von 3:6, 6:3, 6:7, 6:2 und 2:0. "Wow", entfuhr es in den Grand Slam-Turbulenzen da via Twitter Murray, dem Rekonvaleszenten daheim.

Wie viele Tennisfans auf der Insel hatte sich auch Murray die Nacht um die Ohren geschlagen, um Edmunds ultimative Sternstunde mitzuverfolgen. Und Edmund selbst, er fühlte sich in diesem denkwürdigen Augenblick selbst ein wenig wie Murray. "In den letzten Tagen und jetzt auch merke ich erst, was es heißt, Andy Murray zu sein - mit dieser ganzen Aufmerksamkeit", sagte der scheue Professional, der als eher introvertierter Zeitgenosse gilt und sich nicht allzu gern im Rampenlicht aufhält.

"Er lässt am liebsten seinen Schläger für sich sprechen", sagte Altmeister Tim Henman, der als Augenzeuge vor Ort in Melbourne war. Edmund, der stille Aufsteigertyp, war nun erst der sechste Brite, der überhaupt je in der Profiära in einem Grand Slam-Halbfinale gelandet war - nach Roger Taylor, John Lloyd, Greg Rusedski, Henman und Murray.

Australian Open immer gut für Außenseitersiege

Mit Edmunds Coup machten die Australian Open ihrem Ruf als Grand Slam-Wundertüte auch ganz aktuell noch einmal alle Ehre. Keins der vier großen Turniere produziert so zuverlässig Sensationsdarsteller, Debütanten in fortgeschrittenen Wettbewerbsrunden und selbst Premieren-Champions. Außenseiter, Spitzenreiter - es war schon immer ein Motto des Majors Down Under, bei dem Spieler gewannen, die sonst nirgends und nie mehr gewannen, etwa der Tscheche Petr Korda oder der Schwede Thomas Johansson.

"Es ist, als ob du ein Formel 1-Rennen aus dem Stand mit 300 Stundenkilometern bestreiten sollst", sagte einmal der australische Wimbledonsieger von 1987, Pat Cash, über das Turnier der Kapriolen, "das ist der reinste Wahnsinn." Es hat natürlich mit dem Katapultstart in die Saison zu tun, der kurzen Vorbereitung und der Anstrengung, gleich einen der vier Grand Slam-Gipfel besteigen zu müssen.

Selbst für einen wie Roger Federer, den erfahrensten aller Grand Slam-Artisten, ist das seit jeher eine "massive Herausforderung": "Dieses Turnier gehört zu den komplexesten Prüfungen, die es im Tennis überhaupt gibt." Edmund ist nicht der einzige, der bei den laufenden Festivitäten im Grand Slam-Theater am Yarra River für Verblüffung sorgte.

In der Nacht zum Mittwoch kämpften der Südkoreaner Hyeon Chung und der Amerikaner Tennys Sandgren um einen Platz unter den letzten Vier und auch eine mögliche Verabredung mit Maestro Federer. Für beide war die Präsenz tief in der zweiten Woche ein absolutes Novum, zugleich auch ein Achtungszeichen und der mögliche Impuls für weiteren Aufstieg in der Szene.

Kyle Edmund unter Frederik Rosengren

Die Australian Open als Karrierebeschleuniger - auch das ist möglich. Und könnte auch für eine wie Elise Mertens gelten, die nächste junge Hoffnung aus dem wundersamen Tennisland Belgien. Mertens fertigte am Dienstag wie selbstverständlich die ukrainische Titelkandidatin Elina Svitolina ab, steht nun im Halbfinale.

Edmund hatte sich im Windschatten von Andy Murray klammheimlich in die Top 100 durchgeboxt. Aber als der Schotte im letzten Jahr wegen seiner Hüftprobleme monatelang pausieren musste, richtete sich der Blick auf einmal konzentriert auf den 23-jährigen, die britische Nummer 2.

Mit unwillkommenem Effekt, jedenfalls zunächst. Als neuer Hoffnungsträger verlor er zu viele Spiele zu knapp, Erwartungsdruck lähmte seine Arbeit. "Er ging nicht mehr raus, um Spiele zu gewinnen. Sondern, um sie nicht zu verlieren", sagt Fredrik Rosengren, ein schwedischer Trainerveteran, der Ende 2017 bei Edmund anheuerte.

Rosengren ist kein Unbekannter in der Szene, er hat schon Robin Söderling oder auch Magnus Norman unter die Top 5 geführt. Edmund habe eine "große Zukunft" vor sich, sagte Rosengren am Dienstag. Vielleicht aber auch noch eine sehr große Chance in Melbourne.

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