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Third and Long: Der Wahnsinn von Kansas City - und die Packers in Topform

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt in seiner wöchentlichen Kolumne zurück auf die Divisional-Runde.
© getty

Die Conference Championship Games stehen fest - und in seiner wöchentlichen Kolumne blickt SPOX-Redakteur Adrian Franke auf den Weg dorthin: Wie überzeugte die Packers-Offense gegen Seattle? Woran kann man den Titans-Aufschwung festmachen? Und worauf kommt es in den Championship Games an? Zunächst aber: Der komplette Wahnsinn von Kansas City.

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Die Chiefs-Offense: Wenn ein Videospiel Realität wird

Was am Sonntag in Kansas City passierte, war schlicht und ergreifend absurd. Die Chiefs legten das größte Comeback der eigenen Franchise-Geschichte hin, kein Team in den letzten acht Jahren hatte einen 0:21-Rückstand zum Ende des ersten Viertels noch aufgeholt und KC wurde das erste Team aller Zeiten, das ein Playoff-Spiel mit 20 Punkten Vorsprung gewinnt, nachdem man mit über 20 Punkten hinten gelegen hatte.

Rekorde purzelten links und rechts, und nach dem 0:24-Rückstand mit einem Start direkt aus dem Lehrbuch für Katastrophen gewannen die Chiefs 51:31. Zwischenzeitlich erzielten Patrick Mahomes und Co. Touchdowns bei sieben aufeinanderfolgenden Drives. Am Ende war buchstäblich das Touchdown-Feuerwerk im Arrowhead Stadium aufgebraucht.

"51 Punkte in drei Vierteln, oder?", versicherte sich Guard Stefen Wisniewski anschließend. "Es war lächerlich." Receiver Tyreek Hill wurde nach der Partie gefragt, ob er schon jemals in einem Spiel dabei war, in dem ein Team 41 Punkte in Serie aufgelegt hatte, ohne dass der Gegner zwischendurch punkten konnte. Seine Antwort? "Ja. In Madden. Aber nein, noch nie in der Realität."

"Es war, als hätten sie in ein Wespennest gestochen"

Vielleicht beschreibt das die Chiefs-Offense dennoch am besten: Es ist eine Videospiel-Offense, die zum Leben erwacht ist. Und es ist vielleicht die einzige Offense der Liga, die sich nicht einmal von einem furchtbaren ersten Viertel aus der Ruhe bringen lässt. Und die weiß, wozu sie in der Lage ist. Als Houston gerade ein 31-Yard-Field-Goal gekickt und auf 24:0 erhöht hatte, sagte Wisniewski zu den anderen Offensive Linemen auf der Bank: "Wir machen heute 50 Punkte."

"Ja, das habe ich gesagt", bestätigte er später gegenüber The Athletic. "Ich weiß einfach, was wir leisten können und es war noch jede Menge Zeit. Statt die Köpfe hängen zu lassen waren wir angestachelt. Ehrlich, es war ein wenig, als hätten sie in ein Wespennest gestochen."

Und Wisniewski war nicht der einzige. "Die zentrale Botschaft, die ich den Jungs vermittelt habe, war: 'Lasst uns etwas Großes machen. Jeder denkt, dass das hier durch ist'", blickte Mahomes auf seine Reaktion zurück, als KC den Ball nach dem Field Goal zurückerhielt. Receiver Sammy Watkins gab zu: "Einige Male dachte ich, dass wir raus sind. Travis (Kelce, Anm. d. Red.) kam zu mir und hat gesagt: 'Mann, schau nicht so. Achte auf deine Körpersprache.' Ich habe mir dann gesagt: 'Okay, er weiß etwas, das ich nicht weiß.' Danach bin ich positiver geblieben."

Doch was macht diese Offense eigentlich aus? Hier eignet sich ein kurzer Stats-Einstieg:

Die Chiefs hatten mehr Big Plays als auch nur ansatzweise eine andere Offense am Wochenende. Kein Quarterback warf für mehr Yards pro Pass als Mahomes (9,2), der gleichzeitig als einziger Quarterback keinen einzigen Sack einstecken musste. Und das obwohl Kansas City quasi ohne Run Game agieren und einem riesigen Rückstand hinterherrennen musste, also konstant in offensichtlichen Passing-Situationen war.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Laut Next Gen Stats hatte Mahomes die zweithöchste Expected Completion Percentage, ein Wert, der unter anderem basierend darauf, wie nahe ein Verteidiger ist, wie nahe der Pass-Rush beim Quarterback ist und in welcher Spielsituation sich die Offense befindet, ausdrückt, wie viele Completions vom Quarterback erwartet werden.

Anders gesagt: Mahomes musste trotz der Spielsituation vergleichsweise wenige komplizierte Würfe anbringen. Zusätzlich warf er für die zweitwenigsten Air Yards pro Pass - dass er trotzdem die meisten Yards pro Pass verzeichnete, unterstreicht, wie viel die Chiefs auch nach dem Catch an Schaden anrichten. Zum Vergleich: Russell Wilson warf den Ball gegen die Packers im Schnitt fast vier Yards weiter das Feld runter.

Ein anderer Faktor hierbei: Kansas City kann jeden Bereich des Feldes aus jeder Formation attackieren. Seit 2016, als Next Gen Stats anfing, diesen Wert zu messen, ist Mahomes der einzige Quarterback, der in einem Spiel einen Touchdown zu Spielern aus jeder Aufstellung (Slot, Tight, Wide und Backfield) geworfen hat. Für Mahomes war es bereits das zweite Mal, dass ihm dieses Kunststück gelang.

Die vielen Matchup-Probleme der Chiefs-Offense

Dass die Chiefs Teams tief attackieren und allein mit ihrem Speed Defenses vor riesige Probleme stellen können, ist kein Geheimnis. Gegen Houston aber zeigte KC einmal mehr, wie gefährlich sie auch sind, wenn das Feld komprimiert wird - in der Red Zone.

Hier wird die Arbeit für Offenses deutlich schwieriger. Es gibt viel weniger Spielraum, Defenses können aggressiver werden und verteidigen hier in der Regel deutlich anders als im restlichen Feld.

Die Szene hier zeigt das Play direkt vor dem zweiten Chiefs-Touchdown:

Die Chiefs sind besser als die allermeisten Offenses darin, mit Pre-Snap-Motion und Play Action Teams vor Probleme zu stellen. Kansas City kreiert so jede Menge Misdirection-Elemente, bringt die Defense also in die eine oder andere Seite in Bewegung - und allein aufgrund des individuellen Speeds in dieser Offense ist das für Defenses ein riesiges Problem.

Allein was bei diesem Play alles im Backfield passiert, dürfte Defensive Coordinators Albträume bescheren. Es gibt zunächst die At-Snap-Motion von Sammy Watkins (Nummer 14) nach innen, zu dem Mahomes einen kurzen Tap-Pass antäuscht. Zusätzlich zieht der Running Back nach innen und ist ein weiteres sich bewegendes Element nach links, das die Defense registriert.

Entgegen dieser Bewegungen zieht Mahomes auf die andere Seite raus aus der Pocket - wo er wieder direkt eine Receiving-Option in Travis Kelce hat, der sich ebenfalls hinter der Offensive Line auf die andere Seite bewegt hat. Ein simples Mittel, das dem Offense-Spieler einen freien Release und eine offene Route gibt, während der Gegenspieler auf der anderen Seite dennoch durch den Traffic seiner Mitspieler hindurch navigieren muss.

Das Gegenstück dazu sind die Rub-Route-Effekte, die Kansas City auf der anderen Seite der Line of Scrimmage kreiert, wie dann etwa beim zweiten Touchdown:

"Mesh" ist ein klassisches Air-Raid-Konzept, das Mahomes bestens aus seinen College-Jahren unter Kliff Kingsbury kennt und das längst ein ganz fester Bestandteil der Chiefs-Offense ist.

In diesem Konzept laufen zwei Receiver Underneath aufeinander zu und dann nur um wenige Zentimeter aneinander vorbei, sodass Verteidiger in Man Coverage um einen Mitspieler herum navigieren müssen. Das sorgt für potenziell große Coverage-Probleme und bringt die Geschwindigkeit der eigenen Waffen noch besser zur Geltung. Kansas City erweitert das gerne noch um weitere Crosser, etwa wie hier aus dem Backfield, um zusätzliche Problemzonen für die Defense zu schaffen.

Und das ist ein permanentes Thema mit der Chiefs-Offense: Wie kann man Räume kreieren und den Receivern dabei helfen, sich von ihrem Gegenspieler zu lösen? Auch der erste Touchdown ist dafür eine gute Illustration:

Hier laufen die Chiefs eine kurze Wheel-Route aus dem Backfield, heißt: Der Running Back läuft erst Richtung Seitenlinie und ändert dann die Richtung auf die Endzone zu.

Auch das ist ein Konzept, das man in der Chiefs-Offense regelmäßig sieht, und auch hier wieder ist das Thema: Wie kann man es dem primären Target für dieses Play möglichst einfach machen?

Die Chiefs kombinieren die Wheel Route hier mit zwei Hindernissen für den Verteidiger, der den Running Back decken muss (blau markiert): Die Route des Tight Ends sowie der kurze Crosser des Slot Receivers sind jeweils Hindernisse, welche der Linebacker umschiffen muss, ehe er den Running Back in der Route verfolgen kann. Das dauert viel zu lange.

Alle fünf Mahomes-Touchdown-Pässe kamen in der Range von 0 bis 10 Yards nach der Line of Scrimmage, wo er insgesamt zwölf von 17 Pässen anbrachte. So sehr man KC mit den Big Plays verbindet, diese, maßgeblich durch das Scheme geöffneten, Plays sowie das Attackieren der Mid-Range im Passspiel - das sind der konstante Motor dieser Offense.

Kansas City hat nahezu perfekte Umstände (Coaching, Quarterback, Waffen, Offensive Line), damit fast kein Rückstand zu groß und keine Situation zu aussichtslos ist. Es ist die spektakulärste Offense der Liga - und doch werden viele mit Blick auf das Championship Game darauf hinweisen, dass Tennessee über Derrick Henry versuchen wird, die Offense möglichst lange an der Seitenlinie zu halten.

Das mag auch ein Teil der Rechnung sein, doch das Problem mit der Chiefs-Offense, verglichen mit allen anderen Offenses in der Liga, ist, dass kein anderes Team so oft und so schnell punkten kann. Tennessee hat in diesen Playoffs gezeigt, dass die Titans selbst wenige gravierende Fehler begehen und sich nicht selbst schlagen, und die Titans haben KC in dieser Saison bereits geschlagen.

Doch es scheint schwer vorstellbar, dass dieses Chiefs-Team mit ähnlicher Formel bezwungen werden kann wie bisher die Patriots und Ravens.