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Totgesagte leben länger

Von Adrian Franke
Beast Mode! Marshawn Lynch rannte die Packers im Season-Opener in Grund und Boden
© getty

Die komplette Offseason, inklusive Free Agency und Draft, wirkte wie ein Abgesang auf die Running Backs. Doch obwohl die Zahlen eine solche These seit Jahren unterstützen, lässt die jüngere Vergangenheit nur den genau gegensätzlichen Schluss zu. Spätestens der erste Spieltag der neuen Saison machte erneut klar: Ohne Running Backs geht es nicht.

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Jim Brown. Barry Sanders. Walter Payton. Emmitt Smith. LaDainian Tomlinson. Jeder langjährige NFL-Fan kennt die großen Running Backs, die jeweils ihre Ära prägten, Teams oftmals im Alleingang trugen und maßgeblichen Anteil am Game Plan einer Offense hatten.

Das Spiel war um sie herum aufgebaut, über Jahre und Jahrzehnte war der Running Back der Fixpunkt der meisten NFL-Offenses. Und neben dem Quarterback der absolute Superstar.

Blickt man jedoch auf die vergangenen Drafts, Free-Agency-Phasen und die mittlerweile erreichte Passlastigkeit des Spiels, gewinnt man zunehmend den Eindruck, dass die Zeit der Running Backs ihrem Ende zugeht.

Gerade in der zurückliegenden Offseason konnte man einen regelrechten Abgesang beobachten. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Backs scheinbar zu einem beinahe austauschbaren Element der Offense geworden.

Receiver im Fokus

So legte Denver keinen gesteigerten Wert auf Knowshon Moreno und ließ ihn trotz 1.038 Rushing-Yards und zehn Touchdowns nach Miami gehen, wo er lediglich einen Einjahresvertrag über drei Millionen Dollar erhielt. Rashad Jennings, ebenfalls einer der besseren Running Backs der Vorsaison, durfte Oakland verlassen und verdient bei den Giants jetzt zehn Millionen Dollar über vier Jahre.

Insgesamt kassieren die besten zehn RBs der diesjährigen Free Agency bei ihren neuen Teams im Schnitt 2,47 Millionen Dollar im Jahr, die Top-10-Receiver aus der Free Agency durchschnittlich 4,8 Millionen.

Der Grund ist auf den ersten Blick klar: Mit immer strengeren Regeln bezüglich Holding, Pass Interference, ungeschützter Receiver und vielem mehr wird es zunehmend schwerer, das gegnerische Passspiel zu verteidigen. Die Liga will Punkte, Raumgewinn und Big Plays, und die Receiver liefern sie.

RBs weniger am Spiel beteiligt

Das wird ebenfalls mit Blick auf die prozentuale Zahl der Laufspielzüge offensichtlich. Über 44,5 Prozent der Spielzüge waren 2008 noch Runs, mittlerweile sind es nur noch gut 42 Prozent - Tendenz klar fallend.

Gleiches gilt für den typischen Workhorse-Running-Back: 2003 gab es noch 13 Running Backs mit mindestens 300 Carries, 2013 lediglich zwei (LeSeanMcCoy und Marshawn Lynch). Kein Spieler schaffte letztes Jahr 20 Rushes pro Spiel (2003 gelang das dagegen zwölf).

Die Zahl der RBs mit mindestens 100 Carries blieb über den Zeitraum konstant zwischen 42 und 50, an den "Committees" - immer mehr Teams setzen auf RB-Tandems oder sogar Trios - liegt es also nicht.

Auch die Zahl der gefangenen Pässe geht insgesamt tendenziell zurück, da Tight Ends wichtiger werden und Quarterbacks häufig den riskanteren Pass zu einem Receiver wagen. Kurzum: Running Backs sind deutlich weniger am Spiel beteiligt als noch Ende des vergangenen Jahrtausends.

Historisch späte Drafts

Diese Trends spiegelten sich auch in den vergangenen Drafts wieder: 2013 wurde erstmals seit 1963 kein Running Back in der ersten Runde gewählt. Dieses Jahr wiederholte sich das nicht nur, Bishop Sankey ging sogar erst an Position 22 der zweiten Runde nach Tennessee. Länger hatte es zuvor noch nie gedauert, bis ein RB im Draft gewählt wurde.

Dazu kommt das noch wesentlich deutlichere Aussterben der Fullbacks. 2009 hatten die zehn besten Rushing-Teams der Liga noch einen Fullback im Kader, der dem Running Back das Laufspiel als starker Blocker, vor allem in der I-Formation, enorm erleichtert.

Doch mit dem Rückgang der Formation, in der Quarterback, Fullback und Halfback in einer Reihe hinter dem Center aufgestellt werden, und dem Aufstieg der Shotgun ging der Anteil an Fullbacks schlagartig zurück. Nur noch wenige Teams nutzen die "schweren Jungs", die oft zu den Publikumslieblingen gehören.

Schwache YAC-Werte

Doch nicht nur das neue System, neue Regeln und eine neue Herangehensweise an das Spiel waren in den vergangenen Jahren für den Rückgang des Running Games verantwortlich. Sieht man von Jamaal Charles und Adrian Peterson ab, fehlten den Akteuren schlicht zu oft die regelmäßigen Big Plays, sprich Runs von mindestens 20 Yards, und genügend Durchsetzungsvermögen - und das obwohl sich Defenses umstellen und immer seltener acht Mann gegen den Rush aufbieten.

Als Faustregel für einen guten Running Back gelten rund zwei Yards nach dem ersten Kontakt mit einem Verteidiger, letztes Jahr lag der Schnitt hierfür bei mageren 1,61 Yards. Bester Starter war Oaklands Jennings mit 2,29 Yards. Receiver dagegen verzeichneten 5,88 Yards after Contact. Kein ganz fairer Vergleich, da sie in offenem Feld agieren. Dennoch eine weitere Zahl, die für das Passing Game spricht.

Zudem schien ein Top-RB in den vergangenen Jahren selbst für den Titelgewinn nicht mehr zwangsläufig notwendig zu sein: Seitdem Corey Dillon 2004 für die Patriots 1.635 Yards erlaufen hatte, dauerte es bis zu den Seahawks im vergangenen Super Bowl, ehe der Titelträger wieder über einen der zehn ertragreichsten Running Backs verfügte,

"Die wichtigste Position auf dem Platz"

Genau an diesem Punkt sollte man die Frage nach der tatsächlichen Bedeutung der Backs in der heutigen NFL wieder aufgreifen. Und da widersprechen die Protagonisten dem Trend energisch.

"Ich glaube nicht, dass sich das verändert hat", sagte etwa Chiefs-RB Jamaal Charles vor Saisonbeginn: "Ich glaube der Running Back ist die wichtigste Position auf dem Platz. Wir stoppen Blitze, laufen mit dem Ball und fangen ihn. Ich denke wir machen mehr als Receiver, die O-Line und vielleicht sogar als der Quarterback."

Die Green Bay Packers waren zudem regelrecht begeistert, mit Eddie Lacy endlich einen kongenialen Partner für Quarterback Aaron Rodgers zu haben um für Entlastung zu sorgen. Sie bauen fest auf ihr Running Game als Balance. So fest, dass zusätzlich Backup-RB James Starks in der Offseason einen neuen Vertrag über 3,1 Millionen Dollar erhielt.

Ohne Running Back geht es nicht

Und das aus gutem Grund. Schaut man sich die vergangenen Playoffs an, so standen in den beiden Championship Games drei Teams, die auf ein exzessives Running Game bauten: Die New England Patriots mit LeGarrette Blount, San Francisco mit Frank Gore und eben die Seahawks mit ihrem Beast Mode.

Lediglich Denver fiel etwas aus der Reihe - und wurde im Super Bowl von Seattle, das mit Derrick Coleman auch noch einen Fullback im Kader hat, mit 8:43 demontiert. Die Seahawks dominierten das Spiel, und das obwohl sie weder den besseren Quarterback, noch die besseren Receiver aufboten.

Ironischerweise war es Broncos-Geschäftsführer John Elway, der bereits ein Jahr zuvor erklärt hatte: "Es muss nicht herausragend sein, aber man braucht ein effektives Running Game, um erfolgreich zu sein. Vor allem dann, wenn man führt und die Zeit herunterlaufen lassen muss. Dann muss man den Gegner, vor allem gute Pass-Rush-Teams, dazu zwingen, ausgeglichen zu agieren.

Und das werden sich Teams auch künftig etwas kosten lassen müssen. In den letzten zehn Jahren gelangen 56 Running Backs gleich mehrere Spielzeiten mit 1000 Yards Raumgewinn. 48 davon wurden in den ersten vier Runden gedraftet.

Der Trend setzt sich fort

Der in der Vorjahres-Postseason deutliche Trend setzte sich direkt am ersten Spieltag der neuen Saison fort. Die Running Backs entschieden gleich mehrere Spiele: Moreno (134 YDS, 1 TD) gegen die Patriots, Lynch (110 YDS, 2 TDS) gegen Green Bay, Chris Ivory (102 YDS, 1 TD) gegen Oakland, oder auch Le'Veon Bell (109 YDS, 1 TD) gegen Cleveland hatten maßgeblichen Anteil an den Auftaktsiegen ihrer Teams - um nur einige zu nennen.

Die letzte 400-Carry-Season (Larry Johnson verzeichnete 2006 für die Chiefs 416 Spielzüge) hat die Liga wohl schon hinter sich, dennoch bleibt das Running Game ein wichtiger Teil des Spiels.

Die große Ära der Running Backs als Fokus der Offenses mag ebenfalls vorbei sein, doch so lange man Uhr, Spiel und Gegner mit einem guten Running Game kontrollieren kann, wird es ein essentieller Part jeder Offense bleiben. Und den einen oder anderen Super Bowl entscheiden.

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