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Aufstand der Neunziger

DeMar DeRozan befindet sich derzeit in der Form seines Lebens
© getty

Wer ist aktuell der heißeste Spieler der Liga? Russell Westbrook? James Harden? Damian Lillard? Dreimal nein! DeMar DeRozan befindet sich in der Form seines Lebens und führt die Liga als Topscorer an - und das, obwohl sein Spiel alles andere als modern ist. Beyond the Boxscore erklärt, was den Shooting Guard der Toronto Raptors so besonders macht.

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Sieben Saisons in der NBA hat DeMar DeRozan mittlerweile auf dem Buckel. Nach einem durchwachsenen Rookie-Jahr etablierte sich der Shooting Guard schnell und gilt spätestens seit der Saison 13/14, in der er erstmals All-Star wurde, als einer der konstantesten Scorer der NBA.

Drei Saisons am Stück mit über 20 Punkten pro Spiel haben genau diese Wirkung, zumal sich auch sein Team in dieser Zeit mehr und mehr verbesserte, bevor Toronto in der letzten Saison mit 56 Siegen die beste Bilanz der Franchise-Geschichte aufstellte. Danach reichte es trotz durchwachsener Playoffs sogar für die Conference Finals, wo man die Cavaliers immerhin in ein sechstes Spiel zwang.

Das offene Geheimnis dahinter: Eigentlich traute diesem Team niemand zu, mehr zu erreichen. Selbst der Erfolg in der Vorsaison wurde nicht selten darauf geschoben, dass der Osten eben schlecht war. Und diese Skepsis hatte nicht zuletzt mit dem Spiel von DeRozan zu tun.

Der 27-Jährige lebte von Freiwürfen und Abschlüssen aus der Mitteldistanz, Dreier nahm er äußerst ungern. Dieser "altbackene" Spielstil galt als einer, der dem Potenzial DeRozans und damit auch dem der Raptors eine künstliche Grenze auferlegte.

Dementsprechend leise war der Jubel, als "DeChozen One" im Sommer für fünf Jahre und 139 Millionen Dollar gehalten wurde. Einerseits war von vornherein zu erwarten, dass die Raptors ihn nicht ohne Gegenwert ziehen lassen würden. Andererseits: Wie sehr kann man sich wirklich darüber freuen, einem Spieler mit so offensichtlichem Makel so viel Geld zu überweisen? "Bis hierhin und nicht weiter", hieß es nicht selten, wenn von den Raptors die Rede war.

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Auf den Spuren von MJ

Nach den ersten Saisonwochen muss man festhalten, dass diese Skepsis wohl doch etwas verfrüht formuliert wurde. DeRozan befindet sich in der Form seines Lebens: In acht der ersten neun Spiele legte er mindestens 30 Punkte auf, was vorher nur World B. Free, Tiny Archibald und Michael Jordan schafften, zweimal knackte er bereits die 40-Punkte-Marke.

33,2 Punkte legt er derzeit im Schnitt auf und liegt damit vor den Ein-Mann-Abrissunternehmen Westbrook und Harden, die die Scoring-Krone in dieser Saison eigentlich unter sich ausmachen wollten. Und auch die Raptors haben keinen Schritt zurückgemacht, im Gegenteil: Derzeit sporten die Kanadier eine 7-3-Bilanz und mit 110,0 das aktuell drittbeste Offensiv-Rating der NBA.

Interessant ist dabei, dass DeRozan sein Spiel quasi überhaupt nicht umgestellt hat. Nur 1,9 Dreier pro Spiel nimmt er aktuell und trifft davon 26,3 Prozent, die Karriere-Durchschnittswerte liegen bei 1,4 und 28,2. "Er kann den Dreier zwar nehmen, wenn er muss, aber er macht seine Punkte lieber auf eine andere Art", erklärte Backcourt-Partner Kyle Lowry bereits im vergangenen Januar gegenüber SPOX.

Scoren auf die "andere Art"

Wie sieht diese "andere Art" aus? Zum einen sind da natürlich die Freiwürfe: DeRozan zieht aktuell 9,8 pro Spiel (Career High) und trifft davon knapp 80 Prozent, was immerhin schon 8 Punkte pro Spiel ausmacht.

Aber deutlich auffälliger ist die gesteigerte Effizienz aus dem Zweipunkteland: DeRozan nimmt fast sieben Würfe pro Spiel mehr als letzte Saison - und hat die Quote von 45,8 Prozent auf 51 Prozent gesteigert! Seine True Shooting Percentage (TSP), die sämtliche Würfe gewichtet mit einbezieht, ist mit 57,6 Prozent knapp besser als die von LeBron James und mit Abstand die beste seiner Karriere.

Das ist für sich schon beeindruckend, da der Dreier bei der TSP natürlich mehr Gewicht hat als jeder andere Wurf. Noch beeindruckender wird es jedoch, wenn man sich die tatsächliche Wurfverteilung innerhalb des Zweipunktebereichs bei DeRozan vor Augen führt.

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Der Anachronismus

Kurz gesagt: DeRozan macht all die Dinge, die im Zuge der "Statistik-Revolution" eigentlich für tot erklärt wurden. Wenn man ihn in die 90er oder 80er Jahre verpflanzen würde, wäre DeRozan gewissermaßen der prototypische Shooting Guard - heutzutage ist er dagegen ein wandelnder Anachronismus.

DeRozan ist nicht selten ein Ball-Stopper, der erstmal die Luft aus dem Spalding dribbelt, bevor er zum Wurf hochsteigt. Mehr als der Hälfte seiner Wurfversuche gehen mindestens drei Dribblings voraus, bei 5,2 Würfen pro Spiel hält er den Ball mindestens 7 Sekunden. Aus Isolation Plays generiert er durchschnittlich 1,08 Punkte.

Von seinen bisher 125 Field Goals in dieser Saison wurden nur 32 vorbereitet, den Großteil seiner Punkte erarbeitet er sich komplett selbst - mit Post-Ups, Pump-Fakes und natürlich seinen heißgeliebten Midrange-Jumpern am Mann.

Monster from the Midrange

DeRozan hat in dieser Saison mehr als die Hälfte seiner Würfe aus der heutzutage so verhassten Mitteldistanz genommen, abgesehen von einigen Big Men wie Pau Gasol und LaMarcus Aldridge (bei deutlich niedriger Frequenz) macht fast niemand einen größeren Anteil seiner Punkte aus der Midrange (36,1 Prozent).

Faszinierend dabei: Es spielt für DeRozan kaum eine Rolle, wie eng er verteidigt wird. Laut nba.com/stats schließt er sogar mit 56,3 Prozent ab, wenn er per Definition "eng" gedeckt wird. Über 51,4 Prozent seiner Würfe sind Pullup-Jumper aus dem Zweipunktebereich - und damit hat er gewissermaßen mehr mit George Gervin gemein als mit James Harden.

The Beard ist gewissermaßen das Vorbild aller Analytics-affinen Shooting Guards: Seine Würfe sind entweder Dreier, Freiwürfe oder Zweier in der Zone, da diese Kombination als die effektivste angesehen wird. Die Mitteldistanz ist für ihn eigentlich nur dann eine Option, wenn die Uhr abläuft oder er die Chance auf ein weiteres Shooting Foul wittert.

Raus aus dem Korsett

DeRozan spielt bewusst anders: "Ich rechne ihm das sehr hoch an: Er versucht nicht, sich in irgendein Korsett drängen zu lassen oder sich anzupassen, sondern ist mit seinem eigenen Stil zu einem der besten Guards geworden", lobte Lowry im Januar. Trotz seiner guten Stats hätte man dies in der vergangenen Saison noch in Frage stellen können - aber aktuell gibt es an DeRozans Status nur wenig zu rütteln.

Zumal er sich noch in einem anderen Aspekt gravierend verbessert hat. DeRozans Decision-Making hat sich über die letzten Jahre konstant verbessert, aktuell legt er trotz der höchsten Usage-Rate seiner Karriere (37,8 Prozent) auch die niedrigste Turnover-Rate seiner Laufbahn auf (7,2 Prozent). Das schlägt sich auch bei seinen Zahlen in der Crunchtime nieder.

Wie nachts im dunklen Haus...

Bei den Clutch-Situationen (Punktedifferenz 5 oder weniger in den letzten fünf Minuten eines Spiels), in denen er in dieser Saison bisher Würfe genommen hat, kommt DeRozan auf starke 48,1 Prozent aus dem Feld, in der letzten Saison waren es noch 39. Und das, obwohl er sich 84,6 Prozent dieser Treffer selbst erarbeitet.

Noch besser als diese Zahlen ist nur die Erklärung, die DeRozan selbst kürzlich dafür abgab: "Es ist ein bisschen so, wie wenn man nachts in seinem dunklen Haus ist. Man weiß trotzdem, wo man hin muss, selbst wenn das Licht aus ist. Du weißt, wo deine Möbel stehen und wo es zur Treppe geht, so etwas. Ich glaube, genauso fühlen sich die Situationen am Ende des Spiels mittlerweile für mich an. Ich bin einfach dran gewöhnt und weiß, was ich zu tun habe. Wenn ich auf ein Spielzeug trete, weiß ich, dass ich es nicht dort hingelegt habe."

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Klingt einleuchtend? Vielleicht nicht wirklich, aber das ist bei DeRozan ja nicht überraschend. Mit seinem Stil sollte er in diesen Zeiten eigentlich nicht so erfolgreich sein, aber er pfeift auf die Konventionen und tut es trotzdem. Und könnte damit in einen mehr als illustren Kreis vorstoßen.

Letzte Zweifel bleiben

Seitdem die Dreierlinie in der NBA eingeführt wurde (1979), haben nur sieben Flügelspieler Saisons mit 30+ Punkten im Schnitt hingelegt und dabei weniger als zwei Dreier pro Spiel versucht: Michael Jordan (5x!), Adrian Dantley (4x), Dominique Wilkins (2x), George Gervin (2x), World B. Free (1x) und Bernard King (1x). DeRozan schickt sich derzeit an, dies auch zu tun - als erster Spieler seit MJ im Jahr 1992!

Sind die Zweifel bezüglich seiner Effizienz in den Playoffs deswegen ausgeräumt? Nicht unbedingt - auch wenn er bereits in der vergangenen Postseason durchaus effektiv war, vor allem in den Conference Finals (23 PPG, 50 Prozent FG, bezeichnende 0 Prozent 3FG bei 0,7 Versuchen).

Von daher überraschte auch die Reaktion nicht, als die Raptors am Dienstag (knapp) gegen die Cavaliers verloren und DeRozan sein vielleicht schwächstes Spiel dieser Saison ablieferte (26 Punkte, aber nur 10/27 FG). "Typisch!" Gerade in der NBA braucht es noch mehr, um gewisse Stigmata abzulegen.

Das gilt für DeRozan gleichermaßen wie für die Raptors. Im Sommer ging man nicht unbedingt davon aus, dass dieses Team noch einen Schritt nach vorne machen könnte, am ehesten vielleicht noch durch Jonas Valanciunas. Stattdessen ist es DeRozan, der sich weiterentwickelt hat und dieses Team noch gefährlicher macht - ohne sich dabei anzupassen.

Die Statistiken in diesem Artikel stammen von nba.com/stats, ESPN, NBAwowy und basketball-reference.com und sind auf dem Stand vom 16. November.

DeMar DeRozan im Steckbrief

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