NBA

Gewitterwolken über Chicago

Von Stefan Petri
Derrick Rose trifft bei den Chicago Bulls derzeit kein Scheunentor
© getty

Nominell sind die Chicago Bulls in der Eastern Conference nicht weit von der Spitze entfernt. Doch nach drei Niederlagen in Serie regiert beim Team mittlerweile der Unmut: Das Team hat sich noch nicht gefunden. Die größten Sorgen bereitet jedoch Derrick Rose. Der spielt bislang eine Katastrophen-Saison - und die Gründe sind ebenso vielfältig wie schwer zu beheben. In der Nacht auf Freitag treffen die Bulls auf die Los Angeles Clippers. Die Partie gibt es ab 2 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE.

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3. Dezember: Die Chicago Bulls gewinnen mit 99:90 gegen die Denver Nuggets und stehen mit einer Bilanz von 11-5 ganz weit vorn in der Eastern Conference. Im Spiel zuvor hat man sogar die Spurs geschlagen. Also strahlender Sonnenschein in der Windy City?

Eher heiter bis wolkig: Point Guard Derrick Rose trifft nur 3 seiner 17 Würfe aus dem Feld, zudem muss er sich vor dem Spiel von seinem früheren College-Coach John Calipari anhören, dass er "keine hohe Schmerztoleranz" besitzt. Es gibt sicher Schöneres für Rose, der nach der MVP-Saison 2010/2011 insgesamt drei schwere Knie-Operationen durchmachen musste und sich im Training Camp vor der Saison einen Augenhöhlenbruch zuzog.

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"...aber das kann ich derzeit nicht"

Er schüttelt die Stichelei ab, und überhaupt: 3 von 17, was soll's! "Wir stehen bei 11-5. Kommt schon. So lange wir Spiele gewinnen, ist der Rest egal." Er hat noch eine Kampfansage auf Lager: "Ich weiß, wie viel Arbeit ich in mein Spiel stecke. Und ich weiß, wenn ich erst einmal meinen Rhythmus finde, dann sollten sich die Gegner warm anziehen. Wenn man bedenkt, wie viele offene Würfe und Möglichkeiten am Ring ich hatte."

10. Dezember: Drei Niederlagen später ziehen in Chicago so langsam erste Gewitterwolken auf. Zwar haben die Bulls mit acht Pleiten erst eine mehr kassiert als Spitzenreiter Cleveland, doch andererseits steht man im plötzlich breit aufgestellten Osten nur noch auf Platz acht. Eine Heimpleite gegen die Hornets, dann bricht man gegen Phoenix völlig ein und lässt 42 Punkte im Schlussviertel zu. Nach der Niederlage in Boston herrscht nun erstmals Ratlosigkeit. "Das machen wir jetzt zum ersten Mal durch", so Rose. Ich wünschte, ich könnte unsere Probleme benennen, aber das kann ich derzeit nicht."

Dabei fangen sie mit ihm an.

Die Bulls müssen sich finden

Keine Frage, die Bulls sind noch dabei, sich zu finden. Nach "Sklaventreiber" Tom Thibodeau haben sie mit Head Coach Fred Hoiberg plötzlich einen ganz anderen Typ Übungsleiter am Ruder - dazu einen, dem in seinem ersten Jahr in der Liga noch der Kopf schwirren dürfte, kam er doch direkt vom College. Schnell spielen, langsam spielen, über die Guards oder über Pau Gasol im Post, wie passt die Big-Man-Rotation am besten - das klärt sich oft erst im Laufe der Saison, von der ja noch fast drei Viertel bleiben.

Bisher läuft einiges noch nicht rund. Gasol nimmt mehr lange Zweipunktwürfe als jemals zuvor und bekommt den Ball zu wenig im Post. Gleichzeitig spielen die Bulls aber auch kein schnelles Transition Game wie etwa die Celtics: Sie erzwingen die wenigsten Turnover der gesamten Liga, die Zahl der Punkte im Umschaltspiel knackt die Top 20 nicht. Alles Dinge, die man in den kommenden Monaten noch fixen kann.

Rose: schlechter als Bryant

Doch in Sachen Derrick Rose dürften die Alarmglocken mittlerweile ein lautes Jaulen von sich geben. Er ist noch immer das Aushängeschild des Teams, er versteht sich als Leitwolf, obwohl ihm Jimmy Butler in Sachen Leistung längst den Rang abgelaufen hat. "Ich weiß, dass ich ein großartiger Spieler bin", hatte er vor der Saison betont - und angekündigt, sich bereits auf seine Free Agency im Sommer 2017 zu konzentrieren. Dann, so hofft der 27-Jährige, soll es einen neuen Vertrag geben. Mit vielen Jahren und vielen Nullen.

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Momentan ist dieser Max Contract in weite Ferne gerückt. Stattdessen grüßt die Null vom Scoreboard, wenn Rose zum Jumper hochsteigt oder in die Zone zieht. Man muss es so hart sagen: Er gehört in dieser Saison zu den schlechtesten Schützen der gesamten Liga. Von Downtown nimmt er 2,6 Würfe pro Partie und trifft nicht einmal 23 Prozent davon, insgesamt fallen kaum 36 Prozent aller Versuche. Selbst von der Linie schwächelt er, 72 Prozent stellen die schlechteste Marke seiner Karriere dar.

Addiert man diese Zahlen, kommt man auf ein True Shooting von .409. Das macht von 324 Spielern in der Liga Platz 316. Oder, um es anders auszudrücken: Kobe Bryants Abschiedstour, die Nächte mit 4/19 und 2/15 aus dem Feld, bewirken beim Zuschauer eine Mischung aus Amüsement, Mitleid und Ehrfurcht. Kobes Quoten sind fast schon legendär - er müsste seine nächsten 77 Würfe treffen, um Jordans Marke in dessen letzter Wizards-Saison zu erreichen. Derrick Rose trifft schlechter als Kobe (.409 zu .411).

Der Ring als Feind

Wie diese Marken zustande kommen, ist ein Fall für Galileo Mystery. Er war in seiner Karriere nie ein großartiger Dreipunktschütze (insgesamt 30 Prozent), da sind die 23 Prozent kein allzu großer Ausreißer und tun auch nicht so weh, wenn man bedenkt, dass er sein Volumen im Vergleich zur letzten Saison zurückgeschraubt hat (von 5,3/Spiel auf 2,6).

Beim Rest regiert die Ratlosigkeit. Schließlich ist es nicht so, als habe sich Rose wegen lädierten Knies und atrophierter Athletik darauf verlegt, sein Glück mit Jumpern zu versuchen. Im Gegenteil: Er nimmt über 37 Prozent seiner Würfe am Ring - nur in seinem Rookie-Jahr waren es noch mehr Layups, Floater und Bank Shots. Davon fallen gerade einmal rund 40 Prozent, bei einem Karrierewert von 55 Prozent.

Dunks fehlen in dieser Aufstellung nicht von ungefähr. Unglaublich, aber wahr: Seit April hat Derrick Rose in keinem NBA-Spiel mehr gestopft.

Auf der Suche nach Antworten

Ist das die Antwort? Liegt es also doch nur an den Verletzungen? Kein Lift mehr im Jumper, kein explosiver erster Schritt mehr in Richtung Korb, keine Flugshow unter - und über - dem Ring mehr? So einfach ist es wohl nicht. Natürlich sieht man die ultimative Urgewalt von dereinst nicht mehr. Aber sie ist nicht nur aufgezwungen, sondern auch mit Bedacht gewählt. "Ich kann noch dunken, ja", sagte Rose im November. "Ich bin nur ein bisschen schlauer geworden. Ich spiele jetzt klüger." Und die Tatsache, dass er so viele Würfe am Ring nehmen kann, beweist, dass er seine Gegenspieler noch immer hinter sich lassen kann.

So kommen wohl viele Faktoren zusammen. Die Angst vor einer weiteren schweren Verletzung lauert im Hinterkopf des Superstars, so spielt er gerade am Ring mit angezogener Handbremse. Der Augenhöhlenbruch, der ihm in den ersten Wochen der Saison laut eigener Aussage eine schwammige Sicht bescherte. Verteidiger, die ihm den wackligen Jumper erlauben, dafür aber am Ring beherzter zupacken. Und Teamkollegen, die teilweise auch nicht gerade für viel Platz sorgen: Joakim Noah ist einer der acht Spieler mit noch mieseren Quoten...

Kratzen an der Oberfläche

Oder einfach nur ein episches Zwischentief, die "Slump" schlechthin sozusagen. Front Office und Fans der Bulls gleichermaßen werden hoffen und beten, dass es sich um jene handelt. Dass Rose wieder klare Sicht hat und sich an seine Gesichtsmaske, die er seitdem trägt, gewöhnt wie einst Rip Hamilton. Dass er das Timing unter dem Korb findet, ebenso wie die Offense der Bulls im Allgemeinen.

"Ich fühle mich sehr wohl. Sehr, sehr wohl", hatte das Sorgenkind der Stadt unlängst bekräftigt. "Es ist aufregend, dass wir Spiele gewinnen, obwohl ich mein volles Potenzial noch nicht erreicht, noch nicht einmal an der Oberfläche gekratzt habe." Nach drei Niederlagen in Serie ist diese Aufregung wohl verflogen. Jetzt warten die Clippers und Pelicans. Wenn Rose nicht bald zu alter Form zurückfindet - und sei es nur in Ansätzen - könnte das Gewitter in Chicago zu einem Orkan anwachsen.

Von einem neuen, hochdotierten Vertrag ganz zu schweigen.

Derrick Rose im Steckbrief