NBA

Die sozialste Seite Amerikas

Der frühere Commissioner David Stern (M.) und die Draft-Klasse 2003 mit LeBron James (r.)
© getty

Jeder ist seines Glückes Schmied? Wo in den USA sonst das absolute Leistungsprinzip gilt, tritt im Sport plötzlich eine fast schon sozialistische Ader zum Vorschein. Sinnbildlich dafür steht der Draft, eine in Europa undenkbare Umverteilung. SPOX erklärt, welche tiefgreifenden Unterschiede in der Sportlandschaft den Draft erst möglich gemacht haben, weshalb er so wichtig ist - und warum er letzten Endes auch den Großen hilft.

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Sportunterricht! Zwei oder mehrere Teamleader stehen am Mittelkreis und suchen sich mit kritischem Blick der Reihe nach ihre Mitspieler aus, irgendwann sitzt nur der kümmerliche, dickliche, asthmatische Rest verschüchtert am Ende der Bank. Stell Dir nun vor, dass Dein Teamleader nach der folgenden hohen Niederlage vor Dir steht und sagt: "Hey, mach Dir nichts draus, das hat auch sein Gutes. Gleich kommt die nächste Klasse rein - und dann dürfen wir uns als Erster einen neuen Mitspieler aussuchen. Weil Du so schlecht warst."

Willkommen beim NBA-Draft.

Faszinosum Draft. In den USA gehört die "Veranstaltung, bei der die Teams der Liga die Rechte an verfügbaren (Nachwuchs-)Spielern erwerben können" (Wikipedia) zum Alltag der großen Ligen NBA, NFL, MLB und NHL, mittlerweile auch der Major League Soccer. Wobei "Alltag" eigentlich das falsche Wort ist: Der Draft ist ein Event, ein Highlight.

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Jahr für Jahr sammeln sich die Fans vor dem Fernseher und fiebern mit, während die Verantwortlichen nach akribischer Vorbereitung die neuen Spieler für die eigene Franchise auswählen - ob Talent, Rollenspieler, Star oder Heilsbringer. Dieses Prinzip ist allen großen Ligen eigen, sie unterscheiden sich lediglich im Hinblick auf den möglichen Effekt: Gerade im Basketball oder Football (der Quarterback) kann schon ein Neuzugang den Unterschied zwischen Tabellenkeller und Titelträumen ausmachen.

In Europa undenkbar

Ein LeBron James zu den Cleveland Cavaliers, ein Michael Jordan zu den Chicago Bulls, ein Larry Bird zu den Boston Celtics: Der Draft kann die Geschicke eines Teams über Jahrzehnte prägen. In Europa wäre ein solches System undenkbar. Ob nun Fußball, Basketball, oder was auch immer: Wer einem Spieler das beste Angebot macht (Perspektiven, Spielzeit, Scheckbuch), der nimmt ihn unter Vertrag. Und vielleicht nicht nur ihn, sondern gleich die besten drei, fünf oder zehn.

Der Grund für diese unterschiedlichen Systeme liegt nicht in einer spontanen Entscheidung im Hinterzimmer. Vielmehr ist er einer fundamental anders aufgebauten Sportlandschaft geschuldet. Und dieser Unterschied macht sich schon von klein auf bemerkbar.

Fehlende Vereinskultur

Die Keimzelle des europäischen (Nachwuchs-)Sports sind die Vereine. Talente durchlaufen von klein auf die Jugendmannschaften, wechseln womöglich zu größeren und prominenteren Klubs, und unterschreiben dann im besten Falle irgendwann einen Profivertrag.

Eine derartige Vereinskultur ist in den USA jedoch nicht vorhanden. Die Teilnahme an diversen Sportarten und dann auch Wettkämpfen ist vor allem über die Schulen gesteuert. Nicht Vereine, sondern Schulen organisieren sich in regionalen Verbänden, ebenso die Colleges und Universitäten. Das kulminiert in der National Collegiate Athletic Association (NCAA), einem Verband von über 1.200 Mitgliedern, der schon 1906 gegründet wurde.

Zu diesem College-Sport, aus dem sich historisch die großen vier Ligen speisten, gibt es in Europa kein Pendant. Ähnliche Nachwuchsrunden locken auf der anderen Seite des Atlantik keinen Hund hinterm Ofen hervor, doch zwischen Alaska und Florida ist der College-Sport mehr als Mainstream, oftmals beliebter als die Profis - und ein Milliardengeschäft, in dem die Spieler und Coaches zu Popstars werden und einzelne Universitäten sogar eigene TV-Networks etabliert haben.

Kein Verband, der die Liga führt

So weit, so gut. Das muss ja noch lange keinen Draft bedingen, in dem die schlechtesten Teams Anrecht auf die besten Spieler haben.

Doch diese fehlende Vereinskultur sorgte eben auch dafür, dass es keinen historisch gewachsenen Verband gibt, in dem diese Vereine organisiert sind - von der Bundesliga bis zur Kreisklasse. Wer in Deutschland einen Fußballklub gründet, gliedert sich in aller Regel in den DFB ein.

Als die großen, traditionsreichen Baseball-, Football- oder Basketballvereine aus der Taufe gehoben wurden, schlossen die sich jedoch nicht in Verbände, sondern in Ligen zusammen - teilweise wurden sogar erst die Ligen gegründet und danach Franchises, um diese zu füllen. Natürlich haben auch die USA einen Basketballverband. Aber "USA Basketball" ist eben für die Nationalmannschaften zuständig - und nicht wie der DFB auch noch für über 25.000 Amateurvereine.

Abstieg = Eurosnobbery

Hat sich eine solche Liga wie die NBA erst einmal gegründet und etabliert, unterscheiden sich die Interessen der Franchises und ihrer Eigner - mit den Green Bay Packers ist nur ein Team der großen Ligen im Besitz der Mitglieder/Fans - drastisch von denen des deutschen "SC 08/15".

Auf- oder Abstieg etwa? Undenkbar. Als Jürgen Klinsmann 2014 ein solches System für die MLS anregte, wurde ihm "Eurosnobbery" vorgeworfen. Im Besitz eines MLS- oder NBA-Teams zu sein, ist ein lohnendes Geschäft. Selbst wenn der Rubel nicht jährlich rollt: Der Wert der Franchise steigt garantiert.

Warum sollte man sich also einer potenziellen Degradierung in die D-League aussetzen? Auf einen Schlag wären Millionen an Einnahmen futsch - und auch die Fernsehanstalten wären nicht begeistert davon, sollten die Lakers oder die Knickerbockers plötzlich nicht mehr für Prime-Time-Partien zu haben sein.

Im Gegenteil: Sollte es der Markt hergeben, wird mit ausgewählten Besitzern sogar noch expandiert. Natürlich gegen Zahlung einer kräftigen "Expansion Fee". Das Konzept "Fressen oder gefressen werden", es wäre den Besitzern zutiefst zuwider.

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