NBA

Minnesota? Plötzlich aufregend

Von Max Marbeiter
Zach LaVine wurde von den Minnesota Timberwolves an 13. Stelle gedraftet
© getty

Seit zehn Jahren warten die Minnesota Timberwolves auf einen Einzug in die Playoffs. Kevin Loves Abgang lässt die Chancen auf die Postseason nicht gerade steigen. Allerdings macht der Trade die Wolves auch zu einem der spannendsten Projekte der Liga - mit jeder Menge Potential.

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Um auf den letzten Playoff-Auftritt der Minnesota Timberwolves zu stoßen, muss man schon ein wenig tiefer ins NBA-Archiv eintauchen. Zehn Jahre tief, um genau zu sein. Bis ins Jahr 2004. Damals, die Liga war noch in vier Divisions eingeteilt, sicherte sich Tracy McGrady die Scoring-Krone. LeBron James hatte soeben seine erste Saison bei den Cleveland Cavaliers hinter sich gebracht, die Lakers ein Superteam rund um Shaquille O'Neal, Kobe Bryant, Karl Malone und Gary Payton zusammengestellt. Meister wurden dennoch die Detroit Pistons.

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Und Minnesota? Minnesota beschloss die Regular Season als bestes Team der gesamten Liga, stellte mit Kevin Garnett den MVP und unterlag erst in den Conference Finals den Lakers. Die Wolves schienen für die kommenden Jahre bestens aufgestellt zu sein. Schienen. Denn plötzlich waren Latrell Sprewell und Sam Cassell mit ihren Verträgen nicht mehr einverstanden. Man stritt. Man verlor Spiele. Man entließ im Winter Coach Flip Saunders.

Die Playoffs wurden dennoch verpasst - und seither nie wieder erreicht. Garnett sah sich das Treiben rund um die Twin Cities noch einige Jahre an, ließ sich 2007 allerdings nach Boston traden, um mit den Celtics dann auch prompt seinen so sehr herbeigesehnten ersten Titel zu gewinnen.

Und Minnesota? Minnesota verkam mehr und mehr zur Randnotiz aus dem kühlen Norden. Es bedurfte schon Garnetts Nachfolger und Namensvetter, Kevin Love, um wieder wenigstens etwas Interesse am basketballerischen Treiben in Minneapolis zu wecken. Immerhin ist seit dem Draft-Abend 2008 Loves Entwicklung zum vielleicht besten Power Forward der gesamten Liga zu bewundern.

Love: Der nächste Superstar-Abgang

Das Problem: Trotz Double-Doubles am Fließband, trotz eines potentiell durchaus soliden Rosters war an Playoffs auch mit Love nicht zu denken. In diesem Sommer hatte dann auch der Power Forward genug gesehen. Wie Garnett ließ er sich traden. Wie Garnett schließt er sich einem Superteam an. Statt in Boston spielt Love ab kommender Saison jedoch in Cleveland neben LeBron James und Kyrie Irving.

Und Minnesota? Minnesota könnte ob des nächsten Superstar-Abgangs erneut in der Versenkung verschwinden, zur Randnotiz aus dem kühlen Norden verkommen. Stattdessen schlummert im Land der tausend Seen plötzlich eines der vielleicht aufregendsten Projekte der gesamten Liga. Denn das Front Office der Wolves hat diesmal wirklich alles aus dem Trade herausgeholt.

Das Beste rausgeholt

"Normalerweise bekommt man in solchen Situationen gute Spieler, aber eher keinen, der das Potential zum Superstar hat", sagt auch Flip Saunders, mittlerweile wieder Coach und gleichzeitig GM der Wolves. Mit "solchen Situationen" meint er jene, in denen der Superstar bereits signalisiert hat, das Team nach Vertragsende - in Loves Fall also kommenden Sommer - ohnehin verlassen zu wollen. Großartigen Gegenwert haben abgebende Teams in solchen Fällen zuletzt tatsächlich nicht erhalten.

Und Minnesota? Minnesota bekommt Andrew Wiggins, "einen Spieler, den viele für den besten Highschooler seit LeBron James halten", sagt Saunders. "Er hat großartiges Potential. Natürlich hat er aber auch noch viel Arbeit vor sich, aber ich weiß, dass er den Willen mitbringt, zu lernen." Ebenfalls nicht ganz unwichtig: Wiggins bringt zudem den Willen mit, in Minnesota zu spielen.

"Als all diese Tradegerüchte aufkamen, habe ich mit Andrew gesprochen", erzählt Wiggins' College-Coach Bill Self, "und Andrew sagte mir: 'Ich hoffe, ich werde getradet.' Ich sagte nur: 'Nein, das willst du nicht.' Er sagte: 'Doch, Coach. Es ist besser für mich. Es ist besser für mich, irgendwo hinzugehen, wo ich gezwungen bin, etwas zu bewegen, anstatt irgendwo hinzugehen, wo sie Geduld mit mir haben." Er wolle einfach für ein Team spielen, das in auch wirklich wolle, erzählte Wiggins selbst "USA Today".

Vertrauen in Wiggins' Potential

Und Minnesota? Minnesota will Wiggins. Minnesota ist überzeugt vom Kanadier. Von dessen Potential. Und davon bringt der Kanadier nun mal eine Menge mit. Trotz seiner erste 19 Jahre ist Wiggins' Athletik bereits jetzt beeindruckend. Den zweiten Sprung des ehemaligen Jayhawks nennt Kansas Assistant Coach Kurtis Townsend den beeindruckendsten, den er je gesehen hat. So griff sich Wiggins am College für einen Flügel starke 5,9 Rebounds. Rebounds, die Wolves nach Loves Abgang bestens gebrauchen können.

Ebenso wie die gute Defense des Rookies. Denn, so jung Wiggins auch noch sein mag, so wenig seine Entwicklung abgeschlossen ist, am hinteren Ende des Courts ist er bereits jetzt bereit für die beste Basketballliga der Welt. Dank seiner Athletik und seines guten Gespürs sollte der Kanadier im Eins-gegen-Eins kaum Probleme haben. Auch nicht während seiner Premieren-Saison.

Ein wenig anders sieht es allerdings vorne aus. Das Ballhandling: ausbaufähig. Der Wurf: gut anzusehen, aber wacklig. Kreieren: problematisch. Während seines Jahres in Kansas bewies Wiggins, dass ihm gerade in der Offense noch einiges zu jenem Spieler fehlt, den Hype und Experten aus ihm gemacht haben. Andererseits sind all dies Dinge, an denen zu arbeiten ist, die mit zunehmender Erfahrung zunehmend verbessert werden können.

Jung, jünger, Wolves

Wiggins braucht einfach Zeit - und hat damit einiges mit seinen neuen Teamkollegen gemein. Denn die Wolves anno 2014/15 sind jung. Sehr jung. So hat Wiggins' Rookie-Kollege Zach LaVine beispielsweise erst im März sein 19. Lebensjahr vollendet und seine Entwicklung entsprechend noch lange nicht abgeschlossen. Allerdings schlummert auch im ehemaligen UCLA Bruin jede Menge Potential. Das hat er nicht zuletzt mit starken Leistungen während der Summer League noch einmal unterstrichen.

LaVine nennt einen sicheren Distanzwurf sein Eigen. Angesichts von Loves Abgang keine zu vernachlässigende Qualität. Zumal LaVine sowohl auf der Eins als auch auf der Zwei spielen kann. Möglich machen dies einerseits die 1,96 Meter des Rookies und andererseits: Athletik. LaVine ist wie Wiggins ein unglaublicher Athlet und gilt bei nicht wenigen als Lieblingskandidat für eine Teilnahme am Slam-Dunk Contest.

So lange wird Ricky Rubio allerdings gar nicht erst warten wollen, um LaVines Flugfähigkeiten in Augenschein zu nehmen. Allein beim Gedanken an seine beiden neuen Teamkollegen dürfte der Spanier das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht bekommen. Schließlich finden sich nur schwer besser Abnehmer für Rubios aberwitzige Zuspiele. Allein auf seine Assist-Qualitäten wird sich der Playmaker in der kommenden Saison allerdings nicht verlassen können.

Rubio arbeitet mit Shooting Coach

Ohne Love muss Rubio deutlich mehr Verantwortung übernehmen. Auch er muss mithelfen, 26,1 Punkte pro Spiel irgendwie zu kompensieren. Sicheres Shooting ist bislang allerdings nicht wirklich Sache des Spaniers. Nur 36,8 Prozent seiner Würfe verwandelte der während seiner drei Jahre in der Liga und zählt damit zu den 100 schwächsten Schützen seit Einführung der Shotclock. Das soll sich nun jedoch ändern. Rubio arbeitete im Sommer mit einem Shooting Coach, um seinen Wurf endlich zu verbessern.

Und Minnesota? Minnesota plant ebenfalls einen Shooting Coach zu verpflichten. Für die gesamte Saison. Vielleicht sogar ein Indiz, dass die Tradegerüchte rund um den Spanier kaum Substanz besitzen. Da sein Agent für Rubio einen Fünfjahresmaximumvertrag fordert, die Wolves bislang aber "lediglich" 48 Millionen Dollar für vier Jahre bieten und der Point Guard kommenden Sommer Restricted Free Agent werden könnte, soll ein möglicher Deal diskutiert worden sein.

Vielleicht hört sich Flip Saunders tatsächlich Angebote an, vielleicht vertraut er aber auch seinem Point Guard. Ganz sicher wollen die Wolves Rubio allerdings nicht einfach so loswerden. Denn Tanking scheint keine Option zu sein in Minneapolis. Weshalb sonst hätte man im Zuge des Love-Trades Thaddeus Young für Alexej Shved, Luc Richard Mbah a Moute sowie einen Erstrundenpick aus Philadelphia holen sollen?

Young als Love-Nachfolger

Young soll Love ersetzen - jedenfalls positionsgetreu. Denn das Spiel des ehemaligen Sixers ist ein anderes als jenes des Neu-Cavs. Für einen klassischen Power Forward ist Young etwas klein geraten, hat beim Rebound deshalb deutlich größere Probleme als sein Vorgänger (6,0 vergangene Saison). Dennoch ist der Vierer für 17,9 Punkte pro Spiel gut und kann so zumindest einen Teil der von Love hinterlassenen Scoring-Lücke füllen.

Defensiv hat Young mangels Länge zwar Probleme, dort ist Loves Abgang jedoch deutlich besser zu verschmerzen als in der Offense. Immerhin half der Vierer nur selten effektiv aus und galt zudem nie als ausgewiesener Rim Protector (0,4 Blocks vergangene Saison). Einen solchen könnten die Wolves gegen Ende vergangener Saison in Gorgui Dieng entdeckt haben. Mit größer werdenden Spielanteilen explodierte der Senegalese in letzten den Saisonwochen förmlich und produzierte Double-Double auf Double-Double.

Mehr Minuten für Dieng?

Überraschen würde es deshalb nicht, sollten Diengs Minuten kommende Spielzeit weiter ansteigen. Zumal Coach Saunders durchaus ein Herz für Defense hat. Zwischen 2005 und 2008 stellte er mit den Pistons beispielsweise drei Mal eine der zehn besten Verteidigungen der Liga.

Und in Minnesota? In Minnesota gilt es, ein kleines Ungleichgewicht auszugleichen. Auf den kleinen Positionen bringen die Wolves mit Wiggins und Rubio zwei äußerst fähige Defender aufs Feld. Auch Corey Brewer versteht sein defensives Handwerk. Unter dem Brett fehlt allerdings die nötige Präsenz. Weder Young noch Nikola Pekovic oder Anthony Bennett, der im Zuge des Love-Trades ebenfalls nach Minnesota wechselte, gelten als herausragende Verteidiger. Young und Bennett sind zudem undersized.

Einfach wird die Aufgabe also nicht. Jedenfalls defensiv. Denn vorne bringen die Wolves einiges Potential mit. Das Quartett Rubio, Wiggins, LaVine und Brewer schreit geradezu nach schnellem Transition-Basketball. Zudem dürften Pekovic und Rubio vermehrt das Pick-and-Roll laufen. Der Spanier erhält mit Mo Williams zudem endlich einen fähigen Backup, nachdem J.J. Barea und Alexej Shved dieser Rolle nie gerecht werden konnten und zudem nie mit Rubio harmonierten, wenn sie einmal gemeinsam mit ihrem Playmaker auf dem Parkett standen.

Potential und Aufregung statt Playoffs

Kevin Martin galt zwar als Kandidat für einen möglichen Trade, wird - einen Verbleib vorausgesetzt - aber ebenfalls mehr Touches bekommen. Schließlich ist mit Love die primäre Scoringoption gen Cleveland abgewandert und wird dort kommende Saison erstmals in seiner Karriere in die Playoffs einziehen.

Und Minnesota? Minnesota hat das beste aus einem Superstarabgang gemacht. Hat gleich zwei Nummer-1-Picks bekommen und stellt nun eines der spektakulärsten und aufregendsten Teams der Liga. Allerdings benötigt Minnesota auch Zeit, um sein Potential vollends auszuschöpfen. Angesichts der unglaublichen Leistungsdichte im Westen sind die Playoffs kommende Saison deshalb unwahrscheinlich. Erneut zehn Jahre wird man sich in Minneapolis aber wohl nicht gedulden müssen.

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