NBA

"Ich trank, um zu vergessen"

Von Bastian Strobl
Greg Oden gab erstmals ein Interview über seine persönliche Krise
© Getty

Zum ersten Mal offenbart Greg Oden die dunkelsten Kapitel seiner Karriere. Private und sportliche Schicksalsschläge pflasterten seinen Weg in und abseits der NBA. Der ehemalige Center der Portland Trail Blazers über seinen Alkoholmissbrauch, Verletzungen und den Neid auf Kevin Durant.

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Es ist wohl eines der größten Rätsel der NBA-Geschichte. Und zugleich die Geschichte eines Mannes, der am Profisport fast zerbrochen wäre. Als Greg Oden am 29. Juni 2007 von den Trail Blazers an erster Stelle gedraftet wurde, war er die Versprechung einer großen Karriere.

Eine Physis und Athletik wie Shaquille O'Neal gepaart mit einer Spielweise, die an Patrick Ewing und Bill Russell erinnerte, ließen nicht nur die Experten frohlocken. Fünf Jahre und zahlreichen Knieverletzungen später beendete Portland im März 2012 as Projekt Oden: der Vertrag wurde gekündigt.

Die in ihn gesetzten Hoffnungen konnte der Center nie erfüllen. In welcher Art und Weise die Leidenszeit den Menschen Gregory Wayne Oden Jr. auch mental belastet hatte, ließ sich dabei nur erahnen.

Tod seines Sandkasten-Freundes

Oden galt als extrem introvertiert, gab selten Interviews und bestand auf seine Privatsphäre. Umso überrschender, dass der mittlerweile 24-Jährige sich Mark Titus, einem alten Schulfreund, nun erstmals öffnete - und die Erlaubnis gab, darüber zu berichten. Titus spielte mit Oden an der Ohio State und schreibt für das Portal "Grantland".

Ehrlich und offen wie nie zuvor erzählt Oden vom schwierigen Verhältnis mit seinem Bruder, der ihn als Rivalen sah und bei einer Rangelei das Handgelenk brach, und von Travis Smith, seinem besten Freund seit dem Sandkasten. Als Oden eines Abends die Ohio State University mit 19 Punkten und 6 Rebounds zu einem knappen Erfolg über Michigan führte, kam Smith bei einem Autounfall ums Leben. Seitdem besucht er jedes Jahr Smiths Heimatstadt.

Es sollte nicht der letzte Schicksalsschlag in seiner Karriere gewesen sein, aber vielleicht der schmerzhafteste. Schmerzen physischer Art erlebte Oden im Sommer vor seiner ersten NBA-Saison. Bereits vor dem ersten Tip-Off war sein Rookie-Jahr auf Grund einer Mikrofrakturierung im Knie zu Ende.

Die Suche nach der Bezugsperson

Bereits zu diesem Zeitpunkt suchte er Trost im Alkohol. "Ich habe Dinge gemacht, die ich besser gelassen hätte", erklärt Oden.

Dass er sich in Portland von Anfang an nie wirklich heimisch fühlte, tat sein Übriges dazu. "Wenn man als junger Afro-Amerikaner Geld hat, ist Portland kein einfaches Pflaster. Vor allem, wenn niemand da ist, an dem man sich festhalten kann", so Oden. "Da ich die komplette Saison ausfiel, war ich auf mich alleine gestellt."

Sein zweites Jahr bei den Trail Blazers lief trotzdem besser. Er dominierte nicht mehr so wie am College, konnte seine Fähigkeiten aber dennoch unter Beweis stellen. Als sein Cousin, der in der Air Force gedient hatte, zu ihm zog, schien Oden zudem endlich eine Bezugsperson zu haben.

"Ich wurde zum Alkoholiker"

Das war es, was er wollte. Doch nicht, was er schlussendlich bekam. "Man sollte eine Sache über die Jungs von der Air Force wissen: Sie saufen wie ein Loch. Als mein Cousin den NBA-Lifestyle kennenlernte, wurde in meinem Haus nur noch gefeiert", so Oden.

Es klingt ein wenig wie ein Erklärungsversuch für das, was unweigerlich kommen musste: "Auch ich konnte mich aus diesem Teufelskreis nicht befreien. Ich trank, um eine gute Leistung zu feiern. Ich trank, um eine schlechte Leistung zu vergessen. In meinem zweiten Jahr in Portland wurde ich zum Alkoholiker."

In der folgenden Off-Season riss er sich noch mal am Riemen. Er hörte mit dem Alkohol auf, stellte für eine gesunde Ernährung einen Koch ein und brachte sich in die Form seines Lebens. Die Saison 2009/10 sollte sein Jahr werden. In den ersten 20 Spielen wurde er endlich zu dem dominanten Center, der schon immer in ihm schlummerte.

Angebote aus der Porno-Branche

Bis zum 5. Dezember 2009. In der Partie gegen Houston brach sich die Oden die Kniescheibe. Die Saison war gelaufen. Seitdem spielte er keine Minute mehr in der NBA.

Der Tiefpunkt war jedoch immer noch nicht erreicht. Im Januar 2010 wurden Nacktfotos von ihm im Internet veröffentlicht, die er selbst gemacht hatte. um sie seinen Affären zuzuschicken. Für jeden normalen Menschen wäre das schon ein Schock. Für den introvertierten Oden brach eine Welt zusammen.

Die Tage danach schloss er sich in sein Haus ein. Erst als Verantwortliche der Trail Blazers an seine Tür klopften, ging er wieder in die Öffentlichkeit, wenn auch mit einem mulmigen Gefühl.

"Ich wünsche, dass es nie passiert wäre. Aber ich werde mich dafür nicht entschuldigen. Wenn mir Frauen 100 Bilder zuschicken, muss ich ihnen doch auch mal was zurückgeben. Ich bin aber kein Arschloch", verteidigte sich Oden, der in der Folgezeit angesichts seines besten Stücks sogar Angebote aus der Porno-Branche bekam.

Hilfe bei Sportpsychologen

Um wieder auf die Beine zu kommen, suchte er sich professionelle Hilfe bei Joseph Carr. Nach den ersten, kleinen Erfolgen stellte Portland den Sportpsychologen sogar offiziell für das gesamte Team ein. Was zu Beginn als optimale Lösung schien, entpumpte sich bald als Worst-Case-Szenario.

Oden beobachtete von Zeit zu Zeit Unterhaltungen zwischen Carr und dem Trainerstab und nahm das als Vertrauensbruch wahr. Die Folge: Der Center brach die Zusammenarbeit ab. Zudem bekam das Verhältnis zu den Trail Blazers dadurch weitere Risse.

Dass er danach zu schnell wieder ins Training einstieg, passte ins Bild. Auch wenn er es nie zugab, kann niemand leugnen, dass Oden damals unter immensem Druck stand. Druck, den er sich selber machte, der aber vermutlich auch von Portland und den Ärzten kam.

Blinder Hund stürzt in die Tiefe

Die daraus nötige erneute Knie-Operation nahm Oden fast gleichgültig hin. Die Saison war für ihn mal wieder vorbei, bevor sie richtig begonnen hatte. Erst im letzten Sommer schien es so, als würde er endlich mal Glück haben. Durch den Lockout musste er die Trail Blazers (zumindest vorübergehend) verlassen.

Über Los Angeles führte ihn sein Weg nach New York, wo er einen Knie-Spezialisten treffen sollte, um seine chronischen Probleme in den Griff zu bekommen. Bis das Schicksal erneut zuschlug. Die NBA und die Spielergemeinschaft einigten sich. Der Lockout war vorbei. Und Oden wieder auf dem Gang nach Canossa bzw. Portland.

Wieder fühlte er sich auf der Flucht. Wieder kehrte er zu früh aufs Parkett zurück. Und wieder musste er sich einer Operation unterziehen. Auch privat fand er keine Ruhe. In L.A. verlor sein blinder Hund, den er vier Jahre lang aufgezogen hatte, auf einem Hotelbalkon das Gleichgewicht und stürzte acht Stockwerke in die Tiefe.

Kurz danach wurde bei seinem Cousin von der Air Force Krebs diagnostiziert. Gerade mal sechs Wochen später erlag er dieser Krankheit.

"Ich hasse Durant nicht"

Ob Greg Oden jemals auf einen NBA-Court zurückkehren wird, ist offen. Zurzeit arbeitet er an seinem Comeback. Wie seine Karriere ohne die zahlreichen Schicksalsschläge verlaufen hätte können, beweist Kevin Durant. Der Thunder-Forward war die Nummer zwei im Draft 2007, gilt als MVP-Kandidat und fährt im Sommer zu den Olympischen Spielen nach London.

"Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir nicht weh tut, Durant so zu sehen. Aber ich hasse ihn nicht als Person. Ich weiß nur, dass ich auch an seiner Stelle sein könnte", gab Oden zu. "Hätte ich fünf Jahre zeigen können, was ich drauf habe, wäre das nicht so schlimm. Aber dazu hatte ich nie die Möglichkeit."

Andere Spieler hätten nach seiner Entlassung dennoch bei einem anderen Team unterschrieben, um weiterhin bezahlt zu werden. Aber "das ist nicht mein Stil. Geld ist nicht alles." Trotz der Leidenszeit habe er mittlerweile seinen Frieden mit dem Leben gemacht.

"Mir bringt es nichts, mit 50 ein Krüppel zu sein, nur um jetzt verrückte Sachen zu machen. Es gibt im Leben mehr als Basketball." Eine Lektion, die Greg Oden auf die denkbar schmerzhafteste Tour lernen musste.

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