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Warum Baseball eben doch ein geiler Sport ist

Baseball: Ebenso faszinierend wie undurchschaubar?
© spox

Die MLB fristet in Deutschland im Vergleich zu anderen US-Ligen immer noch ein Schattendasein. Mittlerweile ist SPOX auch offiziell Baseball, aber warum sollte man diesem Sport überhaupt eine Chance geben? Ist er nicht viel zu langsam und langweilig? SPOX-Redakteur Stefan Petri outet sich als Baseball-Fan und erklärt, was an diesem "unmöglichen" Sport so faszinierend ist, wieso die üblichen Kritikpunkte nicht immer greifen - und was die MLB der Konkurrenz sogar voraus hat.

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Ein bisschen komme ich mir gerade vor wie ein Relief Pitcher im neunten Inning von Game 7 der World Series. Ausgeglichener Spielstand, 2 Outs, Bases Loaded, der 3-2-Pitch steht an - was so viel heißt wie: Ich habe wahrscheinlich nur einen einzigen Versuch, um mein Ziel zu erreichen. Und wenn der nicht ins Ziel geht ... Sagen wir mal so: Ich bin ganz froh, dass es gerade keine Shot Clock gibt.

Die erste Anmerkung: Wer mit den eben genutzten Fachtermini nicht viel anfangen kann, dem sei unser Glossar wärmstens ans Herz gelegt. Man könnte auch sagen "WM-Finale gegen Italien, ich laufe beim Stand von 3:4 zum fünften und letzten Elfmeter an."

Gut, direkt die zweite Anmerkung hinterher: Ganz so dramatisch ist es natürlich nicht. Aber wenn parallel zum SPOX-MLB-Launch ein Text ansteht, dessen Ziel es ist, Baseball nicht nur zu erklären, sondern vor allem die Faszination hinter diesem in Deutschland doch recht obskuren Sport rüber zubringen, dann fühlt es sich doch ein bisschen nach großer Chance (und großem Risiko) an.

"Oh, SPOX ist jetzt auch Baseball, mit ausgebauter Coverage und allem Drum und Dran, mit Spielberichten, Videos, Hintergrundberichten, und so weiter? Und DAZN hat jetzt auch noch MLB satt im Programm? Na gut, dann verrate mir mal, was an Baseball so geil sein soll ..." Wenn der bisher uninteressierte Leser einem solchen Text - und als Reaktion darauf der MLB, Daumen drücken! - wirklich eine Chance gibt, dann ja wohl jetzt.

Wissen, was da eigentlich abgeht

Eines sowieso vorneweg: Die kompletten Baseball-Regeln in einen überschaubaren Text zu verpacken, ist eher schwierig. Das PDF auf der Homepage der Major League Baseball hat nicht umsonst schlanke 172 Seiten - und mit den "Unwritten Rules" fangen wir am besten gar nicht erst an. Für derartige Bestrebungen gibt es Wikipedia, hilfreiche YouTube-Clips oder auch unser schon jetzt monströses Glossar.

Was dieser Text leisten soll und hoffentlich kann: Baseball-Novizen (übrigens auch in der SPOX-Redaktion - hallo, liebe Kollegen) ein bisschen Rüstzeug an die Hand zu geben, sodass klar wird, warum der Sport auf seine Fangemeinde eine so große Anziehungskraft hat. Und dass besagte Novizen anschließend in ein MLB-Spiel auf DAZN zappen oder auf ein Highlight-Video klicken können und wissen, warum das eigentlich gerade großer Sport ist..

Danach? Um es mal mit Jennifer Garner zu sagen: "Bei Baseball-Spielen ist es wie mit einer Seifenoper: Wenn man sich fünf Folgen am Stück anschaut, weiß man genug, um angefixt zu sein."

Und keine Angst, liebe Skeptiker: Der Vorwurf, Baseball sei schlicht und ergreifend "zu langweilig", soll ebenfalls nicht zu kurz kommen.

Pitcher vs. Batter - es kann nur einen geben

Auf den Kern reduziert ist Baseball ein Zweikampf im klassischen Highlander-Style: Pitcher gegen Batter - es kann nur einen geben. Der Rubber, die Gummiplatte in der Mitte des Pitching-Hügels, ist 25 Zentimeter erhöht und genau 18,39 Meter vom hinteren Ende der Home Plate entfernt, wo der Referee über Strikes und Balls entscheidet. Zu diesem Rubber muss der Pitcher Kontakt halten, während er den Ball in Richtung Catcher feuert.

Die Strikezone, also die imaginäre Fläche, die der Ball für einen Strike durchqueren muss, befindet sich über der 43,18 Zentimeter breiten Home Plate. In der Höhe misst sie von den Knien des Schlagmanns bis etwa zur Mitte seines Oberkörpers - ein Danny DeVito böte also etwas weniger "Angriffsfläche" als ein Dirk Nowitzki.

Ja, ich weiß. Es wird schon wieder langweilig. Was heißt das also konkret?

Es heißt, dass Baseball ein "kaputter" Sport ist, wenn man so will.

Ein unmöglicher Wimpernschlag

"Boah, Baseball? Nee, Baseball geht echt gar nicht." Richtig. Es ist physikalisch eigentlich unmöglich, den Wurf eines Major-League-Pitchers zu treffen - und dann auch noch so gut, dass er ins Feld oder darüber hinaus fliegt.

Mathematisch entschlüsselt hat diese Tatsache Robert Adair, Physiker der Universität Yale. Er fand heraus, dass ein rund 90 Meilen schneller Wurf von der Hand des Pitchers bis zur Home Plate gerade einmal vier Zehntelsekunden unterwegs ist. Viel Zeit ist das nicht. Und es kommt noch besser:

  • Ein Zehntel davon kann man direkt abziehen: Rund 100 Millisekunden braucht das menschliche Auge, um den Ball überhaupt zu sehen und das Bild ans Gehirn weiterzuleiten.
  • Der Schlägerschwung an sich - von der Schulter bis parallel zum Schlagmal - benötigt noch einmal etwa 150 Millisekunden, die dem Batter fehlen, er muss seine Bewegung ja schon früher beginnen. Bleiben also eineinhalb Zehntel.
  • Es kostet weitere ca. 25 Millisekunden, dem Körper das Signal zum Schwung zu übermitteln, sollte man sich dafür entscheiden.
  • Die vier Zehntel sind also gehörig zusammengeschrumpft. In diesen verbleibenden 125 Millisekunden muss der Pitch - Geschwindigkeit, Rotation, Flugkurve - eingeschätzt und die Entscheidung getroffen werden, ob es zum Schwung kommt und wie der aussehen soll. Ein Wimpernschlag, um einen mit 145 km/h heranrauschenden Ball zu berechnen.
  • Und zwar mehr oder weniger perfekt zu berechnen: Mehr als 0,3 Zentimeter entfernt von der Mitte des Schlägers und der Schlag ist zum Scheitern verurteilt.
  • Ist der Schwung nur 7 Milisekunden zu früh oder zu spät dran, landet der Ball ebenfalls nicht im Feld.
  • Und weil das Ganze ja so immer noch viel zu einfach wäre, kommen noch unterschiedliche Wurfarten und -Geschwindigkeiten dazu: Breaking Balls, die im letzten Moment nach unten oder zur Seite wegbrechen. Oder vielleicht gar nicht durch die Strikezone segeln, die bei einer Körpergröße von 1,80 Metern etwa 0,27 Quadratmeter beträgt (etwas über vier Din-A4-Blätter). Und wer spricht eigentlich von 90 Meilen pro Stunde? Viele Pitcher gehen heutzutage eher in Richtung 100 Meilen pro Stunde ...

Fazit: Einen solchen Ball perfekt zu treffen ist "eindeutig unmöglich", um es mit Adair zu sagen. Oder, um Hall-of-Famer Ted Williams zu zitieren: "Baseball ist die einzige Unternehmung, bei der man in nur drei von zehn Fällen Erfolg hat und das trotzdem als gute Leistung gilt."

Ist Baseball einfach zu schwierig?

Aber macht nicht gerade diese Tatsache den Sport eben für viele so langweilig?

Es ist der Vorwurf, dem sich die MLB immer wieder ausgesetzt sieht: Die Spiele sind zu öde. Es passiert einfach zu wenig, zu viele Pausen, zu wenige Hits, zu wenig Action. Was ist dran an diesen Vorwürfen?

Natürlich muss man zuallererst festhalten, dass Sportarten Geschmackssache sind. Auch die bestmögliche Baseball-Apologetik wird nicht aus allen Zweiflern plötzlich glühende Anhänger des "Ball Games" machen. Und die Liga selbst ist sich der Tatsache bewusst, dass an der einen oder anderen Stelle durchaus noch an der Geschwindigkeits-Schraube gedreht werden könnte.

Aber, um jetzt mal ein bisschen polemisch zu werden: Diejenigen, die erklären, sie würden sich niemals ein Baseball-Spiel in voller Länge anschauen, sind eben oft auch die, die sich noch nie ein Spiel in voller Länge angeschaut haben. Die noch nie wirklich mit dem Sport in Berührung gekommen sind und (auch mangels Alternativen in TV und Streaming) ihr Urteil aufgrund einer handvoll Clips oder Fotos gefällt haben.

Was ließe sich auf die häufigsten Kritikpunkte entgegnen? Und womit könnte man den Baseball-Agnostikern zumindest ein klein bisschen Lust darauf machen, in den Sport hereinzuschnuppern?

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