Plastik gegen Tradition?

Von David Theis
RB Leipzig ist als Tabellenzweiter in die Bundesliga aufgestiegen
© getty

RB Leipzig wird in der kommenden Saison Teil der ersten Bundesliga sein - doch kaum jemand scheint sich darüber zu freuen. Tatsächlich waren sich Traditionalisten wie Konferenzgucker selten so einig, wie bei diesem Thema. Die einhellige Meinung: Red Bull ist der Feind. Doch das gezeichnete Bild ist schief. Es folgen Gegenargumente zu einigen der gängigsten Vorurteile.

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1. RB ist schlecht für den sportlichen Wettbewerb

Zweifellos: Die Möglichkeit, durch finanzielle Gefälligkeiten eines Großkonzerns die Bundesligareife zu erlangen, hätten Vereine wie Dynamo Dresden oder Energie Cottbus sicher auch gerne. Red Bull hat mit seinem Engagement in Leipzig das Prinzip, nach dem das große Geld auf gute Leistungen folgt, umgekehrt. Doch wird ein weiterer finanzstarker Verein der Bundesliga wirklich schaden?

Bei einem Blick auf die jüngere Historie fällt es schwer, diese Frage zu bejahen, hat der FC Bayern München doch ganze 10 der 16 möglichen Meisterschaften seit dem Beginn des neuen Jahrtausends gewonnen. Das kommt nicht von ungefähr, denn der finanzielle Unterschied zwischen dem Rekordmeister und dem Rest der Liga ist so groß, wie auf europäischer Ebene sonst nur in Frankreich, wo der Scheich-Club PSG über allem thront. Ein Club, der (wie zuletzt der VfL Wolfsburg) in der Lage ist, dieses Meisterschaftsmonopol kurzfristig zu durchbrechen, kann sich also nur spannungsfördernd auswirken.

Es darf zumindest bezweifelt werden, dass die Bundesliga einen weiteren prestigeträchtigen, aber schlecht geführten Mittelfeldclub der Marke Hamburg, Frankfurt, Köln, Bremen oder Stuttgart benötigt, um sportlich wieder interessanter zu werden. Das Problem der Bundesliga ist nicht, dass RB Leipzig trotz der 50+1 Regel einen "Investor" hat. Sondern viel eher, dass strauchelnde Großstadtclubs wie die genannten nicht die Möglichkeit haben, mit einem eigenen Investor in Konkurrenz zu Red Bulls Marketingobjekt zu treten.

Dass Leipzig (ähnlich wie seinerzeit Jürgen Klopps BVB) vor allem auf junge Spieler setzt, macht Ralf Rangnicks Team umso interessanter.

2. Es fehlt an Fankultur und Tradition

Die Haltung, nach der die Vereine mit der größten regionalen Fanbasis und der längsten Historie auch die gesellschaftlich "wertvollsten" sind, ist eine nachvollziehbare. Der Sport und seine Kultur leben von den Geschichten auf und abseits des Rasens, die zum Teil von Generation zu Generation weitergereicht werden. So feiern BVB-Fans noch heute ihren Vereinsgründer Franz Jacobi und der FC Bayern huldigt seinem vom Naziregime vertriebenen Präsidenten Kurt Landauer. Ein solch kultureller, gar politischer Hintergrund fehlt RB völlig.

Doch Kultur ist keine Frage des Stillstandes, sondern eine Frage der Veränderung und jedem Verein steht die Zeit zu, eine eigene Vereinshistorie zu entwickeln. Wie viele regionale Fans sehnsüchtig auf einen großen Fußballclub in ihrer Umgebung gewartet haben, zeigte sich derweil am Pfingstmontag, als zehntausende Fans in der Leipziger Innenstadt das Erreichen der Erstklassigkeit feierten. Es war der erste Bundesligaaufstieg eines sächsischen Vereins seit dem Absturz Dynamo Dresdens 1995.

Zudem darf darüber gestritten werden, ob etwa Dortmund, Schalke oder der FC Bayern heute noch viel mit ihrer auf regionale Persönlichkeiten bezugnehmenden Club-Folklore gemein haben. Zum Zwecke des internationalen Wachstums knüpfen Vereine reihenweise Verbindungen mit Unternehmen oder erschließen das Fanpotenzial Asiens. Fußball ist für alle da und Fans müssen inmitten der Globalisierung des Profisports nicht mehr ausschließlich zehn Fußminuten vom Stadion entfernt wohnen. Wirtschaftsunternehmen (oder Nationen wie Katar) wiederum nutzen den Sport schon lange und intensiv als Werbeoberfläche für ihre Marken.

Der Erfolg von Ralf Rangnicks Projekt ist also kein Symbol für einen Angriff des Kapitalismus auf den Fußball - Fußball IST Kapitalismus. Insofern überrascht die Heftigkeit der Reaktionen auf die Marke Red Bull in Zeiten von Signal Iduna, Gazprom, Bayer oder VW und "Die Mannschaft" ebenso wie die Annahme, Sachsens Fans hätten ein geringeres Recht auf Bundesligafußball, als etwa die Anhänger von Eintracht Frankfurt. Die Ironie daran: Wer RB Leipzig partout eine eigene Fankultur in Abrede stellt, vergisst dabei, dass kaum etwas Fußballfans so sehr zusammenschweißt, wie ein Gefühl des "Wir gegen den Rest".

3. RB ist schlecht für die TV-Vermarktung

Die Rechnung scheint einfach:"Retortenclubs"will niemand im TV sehen und sinkende Zuschauerzahlen bedeuten (mittelfristig) sinkende Vermarktungsgelder für die Bundesliga, die so an Konkurrenzfähigkeit einbüßt. Das ist aus gleich mehreren Perspektiven betrachtet eine Scheindebatte. Denn weder besteht mangelndes Interesse an den Spielen von RB Leipzig, noch sind es zu geringe nationale TV-Einnahmen, die zum Beispiel Hamburg oder Stuttgart zu unterdurchschnittlich erfolgreichen Bundesligisten machen.

So nahmen beide Vereine im neuen Jahrtausend gar mehrfach an der Champions League teil, dem Wettbewerb, der die vielzitierte finanzielle Zweiklassengesellschaft im europäischen Vereinsfußball mit seinen Millioneneinnahmen erst in der heutigen Form ermöglichte. Was beide langfristig daraus gemacht haben, ist bekannt. Doch nicht nur "Retortenclubs" wie Leverkusen oder Wolfsburg sind an ihnen vorbeigezogen - sondern auch gut geführte Vereine mit einem deutlichem Standortnachteil, wie etwa Mainz oder Mönchengladbach.

Es kommt also nicht allein auf die TV-Gelder an, sondern auch darauf, was man daraus macht. Ohnehin werden Bundesligafans sich mit Blick auf den englischen Mega-TV-Deal nicht darauf verlassen können, dass eine vermeintlich gerechte Verteilung nationaler Vermarktungsgelder (man denke an das "Team Marktwert") ihren Clubs weiterhin große Chancen auf begehrte Spieler ermöglicht. Clubs, die der durch neue Geldströme entstehenden Schieflage des europäischen Spielermarktes mit finanzkräftigen Investoren trotzen, könnten daher ein großer Attraktivitätsfaktor für die Bundesliga sein.

Dass Pay-TV-Kunden nämlich langfristig allein der Vereinstradition wegen den Fernseher einschalten werden, um schlechten Fußball zu sehen, erscheint fraglich. Beweisen muss sich RB also ohnehin vor allem auf dem Platz. Welche Geschichte oder welche Spielerpersönlichkeiten sie dabei hervorbringen - darüber sprechen wir dann in etwa 30-50 Jahren.

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