Hambüchen verpasst Medaille

SID
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© Getty

Peking - Die Trainingsjacke bis zum Kinn hochgezogen, die Hände vor den Knien verschränkt: Völlig geistesabwesend kämpfte Fabian Hambüchen mit den Tränen und hörte nicht, wie die Halle rund um ihn herum tobte.

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Während 18 000 Zuschauer mit ihrem kreischenden "Zhogguo jiayou" ("Auf geht's, China") ihren Helden Yang Wei euphorisch feierten, wollte Hambüchen am liebsten im Boden versinken.

Mit dem zweiten Reck-Absturz in nur zwei Tagen hatte der Hesse die historische Chance verpasst, die erste deutsche Mehrkampf-Medaille seit 72 Jahren zu erkämpfen. "Ich habe versucht, ihn zu trösten. Aber in diesem Moment ist das wohl völlig an ihm abgeprallt", meinte Physiotherapeutin Miriam Appel nach dem Sturz des Reck-Weltmeisters auf Platz sieben.

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"Was soll ich noch sagen"

"Schade. Mit dem Zwischenschwung am Barren fing das Unheil an, der Abstieg am Reck war ein Fehler zu viel", meinte Hambüchen, der wie ein begossener Pudel aus der Halle schlich und nur widerwillig auf die Fragen der Journalisten antwortete. "Was soll ich noch sagen: Bums, klatsch, da lag ich da", brachte er seinen Seelenzustand auf den Punkt.

"Es war nicht sein Tag. Das ist bitter, denn Silber war drin", meinte Vater Wolfgang Hambüchen. "Aber das ist Olympia, in einer halben Stunde ist das vergessen, dann gilt seine volle Konzentration dem Reck-Finale."

Schwieriger wird die Arbeit nun auch für Mentaltrainer Bruno Hambüchen. "Das tat richtig weh. Er hatte drei Chancen, zwei sind weg. Er muss aber niemandem etwas beweisen, nur sich selbst", sagte Fabians Onkel nach dem Patzer beim Kolman-Salto, als sein Neffe zu nah an die Stange heranflog und sich damit verpokerte.

Seit der WM 2006 in Aarhus hatte Hambüchen dieses schwierige Element nicht mehr verturnt, auf der Schaubühne Olympia fehlte das letzte Quäntchen Glück.

Verletzung nicht als Ausrede

Die Kapselverletzung am kleinen Finger mochte er nicht als Ausrede gelten lassen, obwohl ihm die Schmerzen nach Sprung und Barren anzusehen waren. "Die Verletzung ist nicht der Grund, warum es nicht geklappt hat", sagte Hambüchen.

"Die letzten Zehntel, die am Ende zur Medaille fehlten, habe ich am Barren verloren. Ich bin sehr enttäuscht", fügte er hinzu.

Der Wetzlarer war gehandicapt in die Entscheidung gegangen. Erst am Abend zuvor hatte er beim Abschlusstraining entschieden, mit schmerzstillenden Spritzen überhaupt den Wettkampf aufzunehmen. "Diese Medaille war eingeplant. Und ich halte es auch nicht für nicht vermessen, daran zu glauben. Dass der Fehler trotz aller Automatismen ausgerechnet am Reck passierte, tut doppelt weh", bedauerte Sportdirektor Wolfgang Willam.

"Chinesen leben menschenunwürdig"

Ohne Makel turnte Yang Wei, der mit der Traumnote 94,575 sein drittes Olympia-Gold nach den Team-Titeln von 2000 und 2008 erkämpfte. "Ich weiß, wie die Chinesen trainieren und leben. Das ist menschenunwürdig. Für kein Geld würde ich tauschen, lieber werde ich in Deutschland noch ein bisschen besser", meinte Philipp Boy, der nach einem Patzer beim Sprung trotz persönlicher Bestleistung (90,675) nur auf Platz 13 kam.

Hambüchen fehlten mit 91,675 Punkten ganze 0,3 Zähler zu Silber, das an den 19-jährigen Japaner Kohei Uchimura (91,975) ging. Bronze holte der überraschend starke Benoit Caranobe (91,925) und sorgte für die erste Mehrkampf-Medaille der Franzosen seit 1920.

In der Entscheidung war Hambüchen zunächst ein Stein vom Herzen gefallen, als ihn das ungeliebte "Zitterpferd" im Gegensatz zu einigen Mit-Favoriten diesmal nicht abwarf. Auch am Boden, den Ringen und am Sprung ging alles glatt, ehe am Barren der Zwischenschwung schon Abzüge von mindestens einem halben Punkt brachte und ihn auf Rang sieben verharren ließ.

Unter dem Druck, am "Königsgerät" alles geben zu müssen, zeigte der sonst mental so starke Spezialist dann doch Nerven. "Im Reckfinale darf das nicht noch mal passieren", lautete seine Kampfansage an sich selbst.

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