Olympia - Deutsche Dominanz im Bob, Rodeln und Skeleton: Vorsprung durch Technik

Von SID/SPOX
Der Goldrausch der deutschen Schlittensparte bei den Olympischen Winterspielen in Peking liegt auch im Material begründet. Ein Berliner Institut ist dafür verantwortlich.
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Der Goldrausch der deutschen Schlittensparte bei den Olympischen Winterspielen in Peking liegt auch im Material begründet. Ein Berliner Institut ist dafür verantwortlich.

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Zehn Rennen, neun Siege, 16 Medaillen: Der Erfolg der deutschen Schlitten im olympischen Eiskanal ist einmalig. Das liegt auch am Material. "Es ist im Grunde ähnlich wie in der Formel 1", sagte Bob-Ingenieur Konstantin Schulze vom Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) im SID-Interview. Ob der beste Fahrer oder beste Schlitten entscheidend sei? "Die beste Kombination."

Aus dem besten Schlittensportler wird noch lange kein Olympiasieger, das weiß auch Michael Nitsch genau. "Es ist ein Gesamtsystem", erklärt der FES-Direktor, "und wir als Gerätehersteller sind dabei der i-Punkt." Oder anders formuliert: Ein wichtiges Werkzeug in der deutschen Medaillenschmiede.

Nitsch ist seit 1992 beim FES, zwischenzeitlich war er von 2000 bis 2003 Projektleiter Bobsport. Seit 2019 hat er als FES-Chef den Bau aller deutschen Schlitten im Blick. Nicht nur im Bob, auch im Rodeln und Skeleton. Neun Goldmedaillen bejubelte das Team D im olympischen Eiskanal von Yanqing, darunter der historische Dreifacherfolg mit Francesco Friedrich an der Spitze im Zweier.

Das FES sei "enorm wichtig", sagte Friedrich nach seinem Triumph, "weil wir die Sicherheit haben, dass diese Schlitten, die wir dort fahren, kein anderer auf dieser Welt fahren kann."

Olympia-Dominanz im Rodeln und Bob: Zwei Zehntel pro Lauf

Der Rekordweltmeister arbeitet wie die weiteren deutschen Piloten eng mit Nitsch und Baumeister Enrico Zinn zusammen, testet beinahe mit jeder Fahrt das Material, feilt auch während des Weltcups an Kleinigkeiten. Das Bauen und Weiterentwickeln eines Bobs wirkt von außen betrachtet dabei wie eine Wissenschaft. "Man muss sich das vorstellen wie ein eigener Sportwagen, den der Sportler braucht, um perfekt abliefern zu können", sagt Techniker Schulze.

Friedrich setzt aber auch auf externe Expertise und bei seinen Kufen etwa nicht auf die FES-Modelle: "Das ist wieder ein Alleinstellungsmerkmal, wo ich einen Vorteil gegenüber den anderen deutschen Fahrern habe und gegenüber den anderen Nationen natürlich auch." Dementsprechend gut muss das Know-How geschützt werden: "Solche Sachen, die nur ich habe, dürfen auch nicht in fremde Hände kommen."

Hannah Neise holte im Skeleton die Goldmedaille.
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Hannah Neise holte im Skeleton die Goldmedaille.

Im Kern geht es bei der Optimierung der Bobs um drei Punkte: die Verkleidung, das Fahrwerk und die Kufen. An diesen Schlüsselstellen tüfteln die Bob-Ingenieure im Sommer wie im Winter, direkt an den Eiskanälen oder mit technischen Hilfsmitteln wie Windkanälen oder Computersimulationen mit 3D-Modellen in der FES-Zentrale in Berlin-Oberschöneweide. Das pauschale Ziel: "Wir versuchen im Olympia-Zyklus, zwei Zehntel pro Lauf herauszuholen", sagt Nitsch.

Rodeln, Bob und Skeleton: Deutsche Bilanz von Peking

WettbewerbGoldSilberBronze
Rodeln, MännerDeutschlandÖsterreichItalien
Rodeln, FrauenDeutschlandDeutschlandROC
Rodeln, Doppelsitzer MännerDeutschlandDeutschlandÖsterreich
Rodeln, TeamstaffelDeutschlandÖsterreichLettland
Skeleton, MännerDeutschlandDeutschlandChina
Skeleton, FrauenDeutschlandAustralienNiederlande
Monobob, FrauenUSAUSAKanada
Zweierbob, FrauenDeutschlandDeutschlandUSA
Zweierbob, MännerDeutschlandDeutschlandDeutschland
Viererbob, MännerDeutschlandDeutschlandKanada

Bobfahren bei Olympia: Geld regiert die Welt

All das kann nur mit Geld funktionieren, mit viel Geld. Rund sieben Millionen Euro werden dem FES mit seinen mehr als 80 Mitarbeitern jährlich vom Innenministerium zur Forschung bereitgestellt, allerdings fließt nur ein Teil davon in die Eisrinne. Im Wintersport profitieren etwa auch die Eisschnellläufer vom deutschen Know-How, im Sommersport unter anderem die Kanuten, Schützen oder Radsportler.

Derartige Möglichkeiten haben nicht viele andere Nationen. Ein Zweierbob kostet rund 80.000 Euro, ein Viererbob sogar 100.000 Euro. Das jamaikanische Team versuchte es im vergangen November mit Crowdfunding: Über 170.000 Euro seien nötig, um es nach Peking zu schaffen. "Ohne Elite-Schlitten kann unser Team sein Potenzial niemals erreichen. Wir wollen kein Rennen in einem Prius fahren", hieß es im offiziellen Statement. Allein 35.000 Euro kostete der Transport des Materials nach China.

Vor den diesjährigen Spielen verkaufte Friedrich seinen alten Gold-Bob von Pyeongchang an das kanadische Team. "Wir Deutschen haben so viel Ausrüstung", zitiert ihn ESPN. "Die jungen deutschen Teams haben genug Geld, sie brauchen ihn nicht."

Die ausländische Konkurrenz sei über die Jahre aber immer kleiner geworden, so Friedrich weiter: "Ich wollte das für andere Nationen ohne vergleichbares Material, Trainer oder Sponsoren tun, um die Bob-Familie am Leben zu erhalten."

Deutsche Dominanz: Konkurrenz fordert andere Regeln

Der aktuelle Erfolg der Schlittensportler liegt auch in einer bitteren Niederlage begründet. Als 2014 in Sotschi erstmals seit einem halben Jahrhundert die deutschen Bobs ohne Medaille blieben, war das auch auf das Material des FES zurückzuführen. In der Folge fuhr der Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD) zweigleisig, vertraute auch auf die Ingenieurskunst des österreichischen Herstellers Wallner.

Der erhöhte Konkurrenzdruck zeigte Wirkung, in Pyeongchang gingen alle Olympiasiege an Deutschland - sowohl Friedrich bei seinem Doppel-Erfolg in Zweier und Vierer als auch Mariama Jamanka im Zweier der Frauen saßen dabei in FES-Schlitten. Und auch in China lief das FES-Material der Bobs glänzend, das zeigt nicht nur der Blick auf die Ergebnislisten, sondern auch der auf die Spitzengeschwindigkeiten.

Der Unmut bei der Konkurrenz wächst. Der Schweizer Christian Reich, Silbermedaillengewinner in Salt Lake City 2002 hinter Christoph Langen, will strengere Regularien vom Weltverband, um Kosten zu senken und Chancengleichzeit zu schaffen. So könnten etwa alle das gleiche Chassis fahren, die Aerodynamik aber selbst gestalten.

Das FES als Wettbewerbsvorteil? Definitiv. Aber unfair? Dagegen wehrt sich Nitsch. "Auch die anderen dürfen ja das machen, was wir machen", sagt der FES-Boss. Einheitsgeräte, also gleiche Voraussetzungen für alle, lehnt er nicht nur wegen seines Jobs, sondern auch wegen des Reizes und des Charakters des Schlittensports ab. "Es ist wie in der Formel 1. Wie spannend wäre denn die Formel 1, wenn alle das gleiche Auto hätten", fragt Nitsch. "Ich weiß nicht, ob die Fans das im Bob gut fänden."

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