Der schwarze Blitz aus Kitz

Von Oliver Mehring
Legende Toni Sailer prägte den Skisport nachhaltig
© getty

Bereits als Kind nahm es Toni Sailer mit einer Legende auf. Der Jahrhundertsportler war das erste Pop-Idol der österreichischen Nachkriegsgeschichte und machte auch als Schauspieler eine gute Figur. Dabei war seine kurze Karriere eine einzigartige Machtdemonstration, die den Skisport prägen sollte. Dennoch verlor er nie den Respekt vor seinem größten Lehrer. Heute wäre die Ski-Ikone 80 Jahre alt geworden.

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Es ist ein imposanter Ausblick, der jeden Skifahrer ergreift, wenn er am Start einer Abfahrt steht und weit in die Ferne blickt - schneebedeckte Berge, weißbehangene Tannenspitzen und ein überschaubares Potpourri von Anlagen und Gebäuden, das sich tief im Tal versammelt hat.

Schließlich schärft sich der Blick für die Tiefe, die vor einem liegt. Steht man am Anfang der berühmten Streif, einer der schwierigsten und gefährlichsten Pisten der Welt, dann sucht man diese nahende Tiefe aber vergeblich.

Viel mehr breitet sich ein angsteinflößendes Nichts vor dem Ski aus: Die legendäre Mausefalle. Ein Start mit 85 Prozent Gefälle, der so manchen Läufer schon 80 Meter in der Luft getragen haben soll und der eine solche Krafteinwirkung für den menschlichen Körper bereithält, dass kurzfristig das Zehnfache des eigenen Körpergewichts auf den Athleten lastet. Auch der übrige Verlauf der Strecke wartet mit brisanten Aufgaben auf die Todesmutigen, die sich am Hahnenkamm beweisen wollen.

Bretter, die die Welt bedeuten

Anton Engelbert Sailer, genannt Toni, war fünf Jahre alt, als er das erste Mal über diese Abfahrt ins Tal von Kitzbühel hinunterschoss. Als Sohn eines Spenglers wurde er am 17.11.1935 am Fuße des Hahnenkamm geboren und stand bereits mit zwei Jahren das erste Mal auf Brettern. Wie seine älteren Geschwister versuchte sich der junge Toni früh am immer populärer werdenden Alpin-Sport und rauschte schon als kleiner Junge über wahnwitzige Pisten.

Die verrücktesten Typen des Wintersports

Auch die berühmte Streif war damals "kriminell", wie er später selbst zugab. Doch die Begeisterung hatte ihn längst gepackt, wodurch das scheinbar unkalkulierbare Risiko auf den kaum gesicherten Strecken zu einem täglichen Begleiter im herumwirbelnden Pulverschnee wurde. Schnell machte sich Sailer in der Umgebung einen Ruf als bester Fahrer seiner Altersklasse.

Mit zehn Jahren ging er sein erstes Skirennen an und wurde trotz Bestzeit nachträglich disqualifiziert. Der Nachwuchsfahrer vergoss vor Ehrgeiz bittere Tränen und war kaum zu beruhigen. Aus Mitleid erklärte die Rennleitung den aufstrebenden Fahrer doch noch zum Sieger.

Zwei Jahre später wurde Toni Mitglied im Kitzbüheler Ski Club und verblüffte bald mit seinem rasanten Fahrstil. Seine breitgefächerte Sportbegeisterung hatte ihn mit einer einzigartigen Koordination ausgestattet, die ihn schnelle Richtungswechsel und Spurkorrekturen mit Leichtigkeit ausführen ließen

Vielseitigkeit ist Trumpf

Das Energiebündel spielte Fußball, Eishockey, übte sich im Langlauf, im Skispringen und ging zum Turnen. Besonders das Kunstturnen, das er als einer der wenigen Jungen in der Umgebung betrieb, verhalf ihm seiner Aussage nach zu dieser besonderen Motorik. Zugleich war Sailer überaus vorsichtig in seinem Fahrstil, beschrieb sich selbst sogar als ängstlich, wobei er darin keine Schwäche sah: "Nur so ist man auch immer auf der Suche nach der besten Lösung", sagte er einst.

Einen Schien- und Wadenbeinbruch, den sich Sailer im Training 1953 zuzog, konnte er dennoch nicht verhindern. In der Entwicklung ein wenig zurückgeworfen, verpasste er anschließend die Qualifikation zur WM 1954, feierte aber bei zahlreichen Einzelrennen Erfolge. Unter anderem auch in Cortina d'Ampezzo, wo sich später sein Legendenstatus begründen sollte.

Dabei machte der aufstrebende Fahrer besonders durch sein disziplinübergreifendes Talent auf sich aufmerksam. Bei der legendären Lauberhornabfahrt machte Sailer eine ebenso gute Figur wie beim Slalom in Kitzbühel oder beim Riesenslalom in Morzine. Wenig überraschend wanderten im Laufe seiner Karriere zahlreiche Kombinations-Trophäen in den ohnehin schon prallgefüllten Vitrinenschrank.

Ein 20-Jähriger schockt die Skiwelt

Seine aufkommenden Erfolge führten das Talent letztlich wieder nach Cortina d'Ampezzo zu den Olympischen Winterspielern 1956. In Italien schrieb der damals 20-Jährige schließlich Sportgeschichte. Ausgestattet mit seiner berühmten Zipfelmütze fräste der Tiroler ein Fabelrennen nach dem anderen in die hellweiße Schneedecke und holte sich alle drei möglichen Goldmedaillen.

Erst zwölf Jahre später sollte mit Jean-Claude Killy wieder ein Athlet drei Medaillen am Berg einheimsen, doch nie mehr gelang einem Fahrer bei der Zeitmessung eine solche Machtdemonstration. Die Abfahrt dominierte Sailer mit 3,5 Sekunden Vorsprung, den Slalom schnappte er sich mit 4 Sekunden Abstand und im Riesenslalom hielt der Youngster das übrige Feld mit 6,5 Sekunden auf Distanz. Österreich war im Freudenrausch.

Die kleine Alpenrepublik, die immer noch mit den Nachwirkungen des Krieges zu kämpfen hatte, erfreute sich an einem jungen Helden, der endlich nicht in einer Militäruniform steckte. Sailer wurde mit Preisen überhäuft, vom Bundespräsidenten empfangen, erhielt Ehrenabzeichen und gewann schließlich die Auszeichnung als Österreichs Sportler des Jahres.

Seite 1: Sailers Anfänge, die Liebe zum Risiko und Olympia-Geschichte

Seite 2: Ein Gentleman auf Skiern, Erfolg als Erlösung und ein Leben danach

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