Der Superstar und die Wundertüte

Von Martin Grupp
Magdalena Neuner ist der unumstrittene Superstar des deutschen Biathlon-Teams
© Getty

Mit Simone Hauswald, Kati Wilhelm und Martina Beck haben drei Viertel der deutschen Bronze-Staffel von Vancouver ihre Karriere beendet. Zudem tritt Ricco Groß in die Fußstapfen des langjährigen Trainers Uwe Müßiggang. Was ist die Philosophie des neuen Trainerteams? Können die jungen Talente die Alt-Stars ersetzen und schafft es Magdalena Neuner, an die Parade-Form des letzten Winters anzuknüpfen? SPOX hat das neue Frauen-Team unter die Lupe genommen.

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Das Trainerteam

Uwe Müßiggang hat die Verantwortung für das Frauen-Team nach 19 Jahren an den viermaligen Olympiasieger Ricco Groß und Ex-Assistent Gerald Hönig übergeben. Er selbst klettert auf der Hierarchie-Leiter eine Stufe nach oben - auf den neu geschaffenen Posten des Bundestrainers. Nach zwei Wintern als TV-Experte will Groß sein Fachwissen nicht mehr den Fernsehzuschauern vermitteln, sondern erstmals als Trainer den Athletinnen selbst. Die theoretischen Voraussetzungen dafür sind geschaffen: Ende März hat der 40-Jährige an der Sporthochschule in Köln sein Trainerdiplom absolviert - Prädikat "sehr gut".

Die anfängliche Skepsis der Biathletinnen gegenüber dem Trainer-Neuling schlug schon nach wenigen Trainingseinheiten in Begeisterung um. "Er geht auf jede Sportlerin ein und läuft auf der Strecke mit. Das ist eine sehr positive Veränderung", sagt Magdalena Neuner. Kathrin Hitzer lobt, dass "er sich noch als Sportler sieht und sich daher richtig in sportliche Situationen hinein fühlen kann." Beste Voraussetzungen für das Team.

Mit Gerald Hönig steht Groß zudem ein erfahrener Coach zur Seite. Bereits seit 2007 betreut der 52-Jährige das Frauen-Team zusammen mit Müßiggang und war davor viele Jahre im Junioren-Bereich tätig. Hönig kümmert sich meist um die Leistungen am Schießstand.

Ziel der Umstrukturierung - ein Bundestrainer und je zwei Disziplintrainer für Männer und Frauen - ist, die vorhandenen Kompetenzen zu bündeln. "Wir wollen wieder als ein deutsches Team auftreten. Die Grenzen zwischen Frauen- und Männermannschaft sollen mehr und mehr verschwinden", erklärt Neu-Bundestrainer Müßiggang.

Die Mannschaft

Magdalena Neuner: Sie ist der unumstrittene Star des Teams und nach dem Abschied von Kati Wilhelm gemeinsam mit Andrea Henkel neue Mannschaftssprecherin. Nach dem Sieg im Gesamtweltcup und zwei Goldmedaillen in Vancouver gönnte sich die 23-Jährige eine verlängerte Sommerpause: "Es gab einiges zu verarbeiten. Die Pause hat gut getan." Stimmt, in den ersten Leistungstests war Neuner stark wie nie. Bei der Deutschen Meisterschaft konnte sie dann aber wieder einmal nicht restlos überzeugen. Die Ski-Roller werden wohl nie Lenas beste Freunde. Von einem Motivationsloch nach der letzten Saison will Groß aber nichts wissen. "Sie möchte trotz der Erfolge noch besser werden."

Prognose: Der Weg zum Gesamtweltcup führt nur über Neuner.

Andrea Henkel: Als Routinier des jungen Teams geht sie in ihre 13. Weltcup-Saison. Dass neben Neuner auch die zurückhaltende 32-Jährige zur Mannschaftssprecherin gewählt wurde, unterstreicht ihren Status. Jahr für Jahr läuft sie konstant in der Weltspitze mit und räumte schon alle Titel ab. Alle? Nein. Zu zwei Olympiasiegen, sechs Weltmeisterschaften und einem Gesamtweltcup gesellte sich im Sommer noch eine weitere Trophäe: Ihr erster Titel bei einer Deutschen Meisterschaft.

Prognose: Ist und bleibt eine Bank im Kampf um die Podestplätze.

Tina Bachmann: Die 24-Jährige war in der letzten Saison immer da, wenn eine der Top-Fahrerinnen ausfiel. Neun Platzierungen in den Top 15 sind ein starkes Ergebnis, das auch die Trainer überzeugt hat. Im Kampf um zukünftige Startplätze im Weltcup-Team bescheinigt ihr Hönig gute Chancen: "Tina werden ihre bisherigen Erfahrungen in die Tasche spielen, wenn es um einen langfristigen Weltcup-Platz geht."

Prognose: Dem Sieg in ihrem dritten Weltcup-Rennen werden noch einige folgen.

Kathrin Hitzer: Eine hartnäckige Fußverletzung versaute der 24-Jährigen die letzten beiden Jahre. Die Qualifikation für Olympia glückte nicht. Trotz allem reichte es in der vergangenen Saison aber für den Sieg in der Einzelwertung der Zweiten Liga, dem IBU-Cup. Nun ist sie zwar noch nicht komplett beschwerdefrei, kann aber wieder gut trainieren. Hönig freut sich bei "biathlon-online" über die Rückkehrerin: "Ich bin froh zu sehen, dass bei Kathrin wieder alles stimmt. Wenn sie gesund bleibt, ist sie vorn dabei."

Prognose: Die Wundertüte. Es hängt alles von der Fitness ab.

Juliane Döll: Im letzten Winter rückte die 24-Jährige für die zu den Langläufern abgewanderte Miriam Gössner ins Weltcup-Team - und machte ihre Sache solide. Unter dem Strich standen zwei Plätze unter den Besten 15. Im Trainingslager hat sie gut gearbeitet und laut Müßiggang "große Fortschritte in der Loipe gemacht". Beim Schießen stand schon im letzten Jahr eine passable Quote von 82 Prozent. Die Tendenz stimmt.

Prognose: Wird hart um den Verbleib im Team kämpfen müssen.

Sabrina Buchholz: Zu Beginn der letzten Saison erhielt die 30-Jährige mal wieder die Chance im Weltcup, konnte die Erwartungen aber erneut nicht erfüllen. Wie zum Trotz trumpfte sie dann im IBU-Cup auf und holte sich den Gesamtsieg. Das überzeugte - sie ist zurück in Leistungsgruppe 1a. Im Sommer gab es bei der DM in Willingen Silber in Sprint und Verfolgung. Die Formkurve zeigt nach oben.

Prognose: Nach mehreren Anläufen wohl ihre letzte Chance, sich im Weltcup zu beweisen.

Miriam Gössner: "In zwei Jahren könnte sie im Einzel in der Langlauf-Weltspitze mitlaufen", schwärmte jüngst Langlauf-Coach Jochen Behle in der "Bild". In der letzten Saison hatte er die 20-Jährige zweimal in seinen Kader berufen. Die Folge: Staffel-Silber bei WM und Olympia. Von einer Karriere ohne Gewehr will Gössner aber nichts wissen: "Nach Vancouver war für mich sofort klar, dass ich wieder Biathlon mache. Ich bin da ein Dickkopf." Und Müßiggang begrüßt diese Entscheidung: "Miri macht einen sehr guten Eindruck beim Schießen. Die Frage, ob sie beim Biathlon richtig aufgehoben ist, stellt sich nicht."

Prognose: Wenn die Scheiben fallen, dann ist fast alles möglich.

Fazit zum deutschen Damen-Team

Nach den äußerst erfolgreichen letzten Jahren steht das Frauen-Team vor einem großen Umbruch. "Eine Simone Hauswald in der Form zu ersetzen, wie wir sie zuletzt gesehen haben, ist unmöglich. Auch eine Kati Wilhelm ersetzen zu wollen, ist schwer", gibt Hönig zu. Auch Groß dämpft die Erwartungen und kündigt den Aufbau der neuen Mannschaft als langfristigen Prozess an: "Das Ziel sind Erfolge bei den Weltmeisterschaften 2012 in Ruhpolding und den nächsten Olympischen Winterspielen in vier Jahren in Sotschi."

So lange will Magdalena Neuner aber nicht rwarten: "Das Team ist nach wie vor stark genug, dass regelmäßig eine von uns auf das Podest laufen kann."

Man kann nur hoffen, dass sie Recht behält. Vereinzelte Top-Platzierungen sind den erfolgsverwöhnten Fans definitiv zu wenig.

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