Frau Rittner, wie setzen sich die Porsche-Nachwuchsteams zusammen?
Barbara Rittner: Das Porsche Talent Team sind im Prinzip die Spielerinnen, die schon einen Profi-Status und in den besten Fällen das Abitur bereits in der Tasche haben. Katharina Gerlach hat vor zwei Jahren Abitur gemacht, Jule Niemeier letztes Jahr. Joelle Steur ist zwar eine der jüngsten, hat aber aufgrund besonderer schulischer Leistung eine Klasse übersprungen. Nastasja Schunk hat die Schule nach der mittleren Reife beendet, weil sie sich voll aufs Tennis konzentrieren will. Alexandra Vecic hat in den vergangenen Wochen Abitur gemacht und Kamilla Bartone macht Fernschule. Sie hat im Moment noch keinen deutschen Pass. Wir sind aber auf dem Weg, sie einzubürgern. Diese sechs jungen Damen erhalten durch ihre Zugehörigkeit zum Porsche Talent Team eine besonders intensive Form der Unterstützung, denn ohne schulische Belastung können sie täglich bereits zwei- oder dreiphasig trainieren. Die anderen Mädels sind dann im sogenannten Porsche Junior Team. Nicht, weil sie schlechter sind, sondern weil sie eben noch voll zur Schule gehen.
Wie sind die Porsche-Nachwuchsteams entstanden?
Rittner: Als Porsche damals Partner des DTB wurde, war von Anfang an klar, dass neben dem Porsche Team Deutschland im Fed Cup ein weiterer Fokus auf der Jugendarbeit liegen sollte. Das passte natürlich wunderbar, weil wir unsere Förderstrukturen weiter ausbauen wollten. Ein Teil des Porsche-Engagements geht also zweckgebunden in die Nachwuchsarbeit und in diesem Zusammenhang haben wir dann eben auch diese beiden Nachwuchsteams gegründet. Als erstes gab es das Porsche Talent Team. Die erste "Generation" vor acht Jahren bildeten Dinah Pfizenmaier, Antonia Lottner, Annika Beck und Carina Witthöft. Etwas später kam Anna-Lena Friedsam hinzu. Sie alle haben sich sehr gut entwickelt. Und weil nun auch so viele Talente bei den jüngeren Jahrgängen dabei sind, ist vor einiger Zeit das Porsche Junior Team dazugekommen. Das ist auch das Ergebnis dieser extrem konstruktiven Zusammenarbeit mit Porsche, in der alle Seiten Ideen mit einbringen und voneinander profitieren.
Der DTB wird ja Ziele formuliert haben, was wollen Sie mit diesen Teams erreichen?
Rittner: Das Ziel ist pauschal gesagt, die jungen Talente bestmöglich auf das Profidasein vorzubereiten und ganz individuell auf diesem Weg zu unterstützen, zum Beispiel durch Lehrgänge oder durch Turnierbetreuungen. Bei den Lehrgängen streuen wir dann neben dem Athletiktraining und der Arbeit auf dem Platz auch immer zusätzliche Themen ein. Wir beraten die Spielerinnen in Sachen Ernährung oder im Umgang mit den Medien und bieten Mentaltraining an. Wir schauen auch, dass sie zuhause das bestmögliche Umfeld haben. Sowohl meine Bundestrainer und ich, als auch unser DTB-Fitnesstrainer arbeiten ganz eng mit den jeweiligen Heimtrainern zusammen - egal ob das ein Privattrainer ist oder ein Verbandstrainer. Wir versuchen, die bestmöglich und individuell auf die jeweiligen Spielerinnen angepassten Teams zusammenzustellen, um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Profikarriere zu schaffen.
Barbara Rittner: "Talent ist aber auch, jeden Tag hart arbeiten zu können"
Wie finden Sie eigentlich diese Talente?
Rittner: Im Tennis ist es so, dass wir schon sehr früh Ranglisten haben - was ich gar nicht so befürworte, weil dann zu schnell zu sehr auf die Platzierung geschaut wird - aber dadurch sehen wir eben schnell die Mädchen, die sich dort innerhalb ihres Landesverbandes nach oben spielen. Die Besten spielen dann bei den deutschen Jugendmeisterschaften zweimal im Jahr, einmal in Essen im Winter und einmal im Sommer in Ludwigshafen. Und dort sieht man dann in jeder Altersklasse die Toptalente aus den verschiedenen Landesverbänden. Durch dieses föderale System geht uns eigentlich niemand durch die Lappen. Ich spreche aber auch immer wieder mit vielen Verbandstrainern und erkundige mich nach Spielerinnen, die vielleicht nicht bei den Deutschen Meisterschaften dabei sein konnten, aus den verschiedensten Gründen. Wenn das der Fall ist, dann laden wir auch solche Mädchen zu unseren Sichtungslehrgängen ein, um ihnen eine Chance zu geben und sie auch zu motivieren. Denn wer Leistung bringt, hat immer eine Möglichkeit, in eines der Porsche-Nachwuchsteams aufgenommen zu werden und dadurch noch mehr Unterstützung zu erhalten. Die Tür steht immer offen.
Laura Siegemund hat gesagt, sie habe einen anderen Weg gewählt. Mit 18 Jahren war die Förderung an sich vorbei und dann musste man abliefern. Das hat sich heute geändert, wo haben Sie da angesetzt?
Rittner: Genau dort. Wir haben festgestellt, dass eine Spielerin mit 18 Jahren, wenn sie nicht ein absolutes Ausnahmetalent ist, noch Zeit braucht, um sich voll zu entwickeln, und dass wir ihr mehr Zeit geben müssen. Dies ist nicht zuletzt bedingt durch die schulischen Belastungen, die in Deutschland enorm hoch sind. Durch die Unterstützung von Porsche konnten wir genau dort ansetzen und den Spielerinnen in dieser wichtigen Phase die nötige Ruhe geben, die sie brauchen, um den großen Schritt ins Profitennis zu machen. Ganz entscheidend ist, dass sie selbst feststellen und wirklich wissen, was sie wollen. Man kann durchaus auch mit Anfang 20 noch durchstarten, wie wir in den letzten Jahren immer wieder feststellen konnten. Grundsätzlich finde ich es auch wichtig, wenn es irgendwie geht, einen Schulabschluss zu machen. Man kann sich jederzeit verletzen und die geplante Karriere ist dahin.
Es gibt ja in diesem Alter viele junge Sportler, die unfassbares Talent haben, aber das reicht ja nicht. Was muss man noch mitbringen, um diesen Schritt zu gehen, wirklich Profi zu werden?
Rittner: Für mich hat sich in den Jahren meiner Arbeit als Bundestrainerin herauskristallisiert, dass es für alle Talente sehr wichtig ist, die eigene Komfortzone zu verlassen. Das hört sich jetzt sehr pauschal an, aber das ist es auch in vielen Bereichen. Man muss mental genau da weitermachen, wo es eben anfängt, unbequem zu werden. Das heißt, man muss vielleicht auch mal wochenweise von zu Hause weg, weil man woanders besser trainieren kann. Um neue Impulse zu bekommen. Man muss auf dem Platz körperlich an Grenzen gehen. Man muss sich eben auch an Tagen, an denen man sich nicht so fit fühlt, durchquälen und sein Pensum abtrainieren. Talent heißt natürlich, dass man ein gutes Händchen hat, dass man Ballgefühl hat, dass man ein Auge für Situationen auf dem Platz hat. Talent ist aber auch, jeden Tag hart arbeiten zu können. Das versuchen wir, den Mädchen nahezubringen.
Und ein bisschen individueller zu werden. Beispiel Alexandra Vecic. Was hat sie denn schon oder woran muss sie noch arbeiten?
Rittner: Alex ist ein ganz extremes Beispiel für Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und Fleiß. Sie hat Talent zur härtesten Arbeit, das kann ich mit voller Überzeugung sagen. Ich kenne sie jetzt 6 Jahre und weiß, man muss sie eher bremsen als motivieren. Meiner Meinung nach muss Alex lernen, sich Auszeiten und Regenerationsphasen zu nehmen und im Kopf vom Tennis auch mal abschalten zu können. Wenn man Alex sagt: 'Mach 7.800 Seilsprünge', dann hört sie unter 8.000 nicht auf. Sie ist so diszipliniert und so ehrgeizig. Der Schlüssel wird sein, es wirklich zu schaffen, sie zu bremsen, damit sie sich nicht überbelastet. Hier erinnert sie mich sehr an Andrea Petkovic.
Barbara Rittner: "Wir lassen die Mädels wirklich an einer langen Leine"
Gerade in diesem Alter gibt es ja für viele auch etwas anderes als Karriere. Inwiefern geben Sie Raum dafür oder sollen sich die Mädchen auch Raum nehmen, sich entwickeln zu können?
Rittner: Ich finde das ganz wichtig, aber in Maßen. Wir lassen die Mädels wirklich an einer langen Leine. Natürlich bedeutet das nicht, dass sie komplett machen können, was sie wollen. Sie müssen einfach für sich herausfinden, was ihnen guttut und wofür sie das machen. Und am Ende dieses große Wort ‚Eigenverantwortung' leben lernen. Und das versuchen wir, ihnen beizubringen. Die schwerste Phase ist zwischen 14 und 16 Jahren, wo sie sich einfach immer noch als "Babys" fühlen, gleichzeitig aber schon für voll genommen werden und wie Erwachsene behandelt werden wollen. Das ist so eine Mischung, bei der ich dann sage, dass ich eine Erwachsene wie eine Erwachsene behandele - wenn sie sich so verhält.
Zurück zu Alex Vecic. Das Halbfinale der Australian Open in der Junioren-Konkurrenz war sicher ein Etappenziel. Wie ist sie damit umgegangen?
Rittner: Ich fand es bemerkenswert, wie gut sie mit den extrem hohen Temperaturen bei den diesjährigen Australien Open umgegangen ist. Alex war da wirklich vorbildlich unterwegs, auch in Sachen Regeneration. Zu Anfang des Turniers wussten wir gar nicht, ob sie spielen kann. Sie hatte sich in der Vorbereitungswoche den Oberschenkel stark gezerrt. Nur durch die intensive Behandlung unseres Physiotherapeuten konnte sie überhaupt starten. Aber sie hat sich da durchgebissen und hat dann auch ihr bestes Tennis gezeigt, in wichtigen Momenten bei 40 Grad Hitze. Ich habe da für mich gedacht, Alex ist schon ein besonderer Wettkampftyp. Das war beeindruckend. Sie will immer mehr. Sie war auch mit dem Halbfinale nicht zufrieden, sondern total traurig, denn sie wollte doch gewinnen. Das zeichnet sie eben aus, sie lehnt sich nicht zurück, sondern will am liebsten direkt am nächsten Tag schon wieder Gas geben. Mit dem Trubel um sie herum ist sie recht cool umgegangen. Ich erlebe Alex jetzt, ein paar Monate später, als wesentlich selbstbewusstere junge Dame als noch Anfang Januar. Das gehört aber dazu. Ich glaube nicht, dass Alex irgendeine Tendenz dazu hat, abzuheben. Und wenn doch, holen wir sie zurück auf den Boden. (augenzwinkernd)
Das ist vielleicht in Deutschland eine Besonderheit, aber sobald so ein Erfolg mal da ist, das wirklich erste Etappenziel, wird von großen Namen geschrieben, die nächste Steffi Graf etc. Sprechen Sie über so etwas überhaupt? Wie nehmen Sie ihr diesen Druck?
Rittner: Ich kann darüber immer nur schmunzeln, weil ich das natürlich jetzt schon so oft erlebt habe in meinen vielen Jahren als Bundestrainerin. Alle zwei Jahre wurde eine neue Steffi ausgerufen - aber eine neue Steffi werden wir nie haben. Sie war ein absolutes Ausnahmetalent in allen Bereichen. Sie hat mit 13, 14 Jahren schon Damenturniere gespielt. In Berlin hat sie mit 15 Jahren gewonnen, den Golden Slam hat sie geholt, da war sie gerade mal 19 Jahre alt. Das sind einfach ganz andere Dimensionen. Wir hatten danach das Glück, dass wir mit einer Angie Kerber noch einmal eine Spielerin bekommen haben, die drei Grand Slams gewonnen hat. Das ist unglaublich, da sind die Mädels so weit von entfernt - und das ist gar nicht abwertend gemeint. Diese Generation rund um Alex Vecic hat wirklich Potenzial. Und wenn diese Mädchen es schaffen, hart zu arbeiten, konstant über einen langen Zeitraum, dann werden sie ihren Weg gehen. Ob sie dann ihr Potenzial für die Top 100, die Top 50 oder vielleicht gar die Top 10 ausschöpfen oder sogar was ganz Großes gewinnen, da spielen so viele Dinge eine Rolle. Da hat man gar keine Vorstellung von als Außenstehender. Wie intakt ist das Familienleben? Wie glücklich ist sie zu Hause? Was ist, wenn der erste Freund mal Schluss macht? Das sind so viele Faktoren, die dann ablenken und einfach den Fokus vom Tennis wegnehmen können. Die Gesundheit natürlich auch. Da braucht man ein bisschen Glück am Ende des Tages.