Ein Leben im Zwiespalt

Von Benedikt Treuer
Petra Kvitova mag den Schein des Rampenlichts nicht - trotzdem stellt sie sich ihm
© getty

Petra Kvitova ist die klare Nummer eins im tschechischen Damen-Tennis. Beim Fed-Cup-Finale gegen Deutschland lasten die Hoffnungen einer ganzen Nation auf ihren Schultern. Gemeistert hat sie solche Situationen schon öfters, jedoch ist sie genauso häufig schon gescheitert. Um die Inkonstanz zu besiegen, muss sie nicht etwa an ihrem Spiel arbeiten. Vielmehr kämpft sie gegen den Fakt, dass sie eigentlich gar nicht für das Profi-Tennis gemacht ist.

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"Nach meinem ersten Wimbledon-Sieg erkannten mich plötzlich Leute auf der Straße und schauten mich an. Ich mochte das gar nicht, wollte direkt wieder nach Hause." Es ist ein für Petra Kvitova charakteristisches Statement. Wenn sie von ihrem überraschenden Grand-Slam-Titel 2011 spricht, hat sich nämlich wenig verändert.

Sind alle Augen auf sie gerichtet, antwortet die 24-Jährige bevorzugt in kurzen Sätzen, gelegentlich weicht sie verlegen grinsend mit einem "keine Ahnung" oder "ich weiß nicht" aus. Eine Pressekonferenz macht Kvitova offenbar erst dann Spaß, wenn sie vorbei ist.

Blitzlichtgewitter und rote Teppiche sind nicht ihr Ding. Das minutenlange Posen und sich zur Schau stellen findet Kvitova nicht authentisch. Ganz anders gehen ihre Kontrahentinnen wie Serena Williams, Maria Sharapova oder Ana Ivanovic mit der Öffentlichkeit um: Während sie die mediale Aufmerksamkeit als Bühne zur Selbstverwirklichung nutzen, möchte Kvitova lediglich Spaß haben und die Bekanntheit des tschechischen Tennis fördern.

Wimbledon-Sieg wird nicht gefeiert

So verwundert es kaum, dass ihre selbsternannten besten Freunde auf der Tour mit Lucie Hrdecka und Steffi Vögele auch eher ruhigere Vertreter sind. Auf Glamour und Aufmerksamkeit legt die Linkshänderin keinen Wert, ihren ersten Sieg in Wimbledon feierte sie nicht einmal, da sie keinen Alkohol mag und zudem "keine Zeit dazu fand", wie sie sagt.

Erst in diesem Jahr kaufte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben Schmuck - für das "Champions Dinner" nach ihrem zweiten Grand-Slam-Titel, ebenfalls im All England Lawn Tennis and Croquet Club.

"Musste mich daran gewöhnen"

Die Tschechin als graue Maus zu beschreiben, wäre aber vermessen. Dazu stellt sie sich zu häufig der Öffentlichkeit, nimmt oft an Sponsoren- und Marketingterminen teil. Was jedoch über das gemäßigte Interesse an ihrer Person hinausgeht, missfällt ihr.

Nichtsdestotrotz war sie gezwungen, sich dem Trubel im Profisport zu stellen: "Am Anfang war es schwer für mich, mit der Bekanntheit umzugehen. Ich bin niemand, der es genießt, leicht erkannt zu werden. Ich wollte mich nie verändern, aber ich musste mich daran gewöhnen", sagte sie unlängst der "Daily Mail".

Dass sie sich bemüht, eine glückliche Außendarstellung abzugeben, kann ihr nicht abgesprochen werden: Zuletzt erhielt die in Bilovec geborene Kvitova von der WTA sogar den "Diamond Aces Award", eine Auszeichnung für besonderes Engagement im und um den Tennissport. Prämiert wurde dabei ihre Promotion des Damentennis unter Fans, Medien und lokalen Communitys. Vor allem für den heimischen Verband betrieb sie so viel Werbung.

In der Heimat ein Star, außerhalb nicht

Dort, in Tschechien, ist sie ein Star - berechtigterweise, schließlich hat Kvitova neben zwei Wimbledon-Titeln auch schon die WTA-Finals gewonnen. Mit den Siegen beim Fed Cup 2011 und 2012 machte sie sich im tschechischen Sport endgültig unsterblich, einzig ihr Vorbild Martina Navratilova hat in der sportlichen Wahrnehmung des Volkes ein noch höheres Ansehen.

Außerhalb der Landesgrenzen jedoch, fliegt Kvitova gänzlich unter dem Radar. Wer in Deutschland nach der Weltranglisten-Vierten gefragt wird, dem ist sie allenfalls ein Begriff, von "kennen" kann kaum die Rede sein.

Das liegt an ihrer schüchtern anmutenden Art, andererseits auch an der mangelnden Konstanz ihrer glanzvollen Turnier-Auftritte. Die aktuelle Saison dient als bestes Beispiel: Dem grandiosen Sieg in Wimbledon stehen das Erstrundenaus bei den Australian Open und die Niederlage gegen die Qualifikantin Aleksandra Krunic bei den US Open gegenüber.

Zuletzt schien es, als habe sie sich zum Saisonende hin wieder gefangen. Ein Sieg in Wuhan und der Finaleinzug bei den China Open Anfang Oktober bestätigten diesen Trend. Dass Kvitova, der durchaus Siegchancen zugesprochen wurden, beim großen WTA-Finale in Singapur jedoch schon nach der Gruppenphase die Segel strich, verdiente abermals das Prädikat enttäuschend.

Zwischen zwei Extremen

Wie eine Sinuskurve verlaufen ihre Erfolgserlebnisse. Gerade, wenn man sie auf dem Höhepunkt ihrer Leistung wähnt, folgt der nächste Rückschlag, der sie daran hindert, eine ernsthafte Anwärterin auf die Nummer eins der Welt zu werden.

Was dem Spiel der tschechischen Hoffnung gut tun würde, wäre so etwas wie Durchschnitt. Ein Mittelding. Solidität. Genau das fehlt ihr nämlich. Denn überspitzt formuliert, sind Kvitovas Auftritte entweder phänomenal oder aber unterirdisch, eine Stufe dazwischen trifft sie äußerst selten. Die Eigenschaft, auch mal ein schwaches oder weniger spektakuläres Match durchzubringen, sucht man bei ihr vergebens. Ihr fehlt es an Beständigkeit.

Das zeigt sich auch in diversen Statistiken. Besonders auffällig ist der Fakt, dass kaum eine Spielerin auf der Tour so oft in den dritten Satz geht wie Kvitova. 2013 reizte sie bei jedem zweiten Match (35 von 70) die maximale Länge aus.

Zum Vergleich: Bei den restlichen Top-Ten-Spielerinnen sind nur etwa 30 Prozent aller Duelle Drei-Satz-Matches. Die internationale Presse betitelte Kvitova daher als "P3tra" - ein Spitzname, der ihr wohl nicht gefallen haben dürfte. "Das ist natürlich lustig. Aber ich bevorzuge zwei Sätze", sagte sie mit gezwungenem Lächeln.

Das mentale Monster "Druck"

Das Problem der Leistungsschwankungen ist jedoch kein spielerisches, es ist ein mentales: "Vor wichtigen Spielen bin ich so aufgeregt, dass ich mit keinem reden kann", gesteht die Tschechin, die das Gros ihrer Karriere noch vor sich haben dürfte.

Einen nicht unwesentlichen Anteil an ihrer Nervosität hat offensichtlich der Aspekt "Druck": Die beiden Wimbledon-Siege feierte die stämmige Linkshänderin zu Zeitpunkten, als sie keiner auf dem Zettel hatte, ihre größten Enttäuschungen dagegen gingen jeweils mit hohen Erwartungen einher.

Um im Vorfeld des Fed-Cup-Finales öffentlich eine möglichst kleine Angriffsfläche zu bieten, greift Kvitova vorsichtig vorweg: "Seit meinem zweiten Wimbledon-Sieg kann ich mit dem Druck besser umgehen, glaube ich."

Es wird daher interessant sein, wie sie in diesem Jahr mit der Last der Verantwortung vom tschechischen Publikum umgeht. Schließlich findet das Fed-Cup-Finale gegen Deutschland in Prag auf heimischem Boden statt.

"Im Fed Cup erwartet jeder zwei Punkte von mir. Ich selbst mache mir den größten Druck, da ich diese Erwartungen natürlich erfüllen will." Wie sie den bewältigt, sollte sie mittlerweile wissen. 2012 stemmten die Tschechinnen den Pokal schon einmal im eigenen Land - angeführt von Petra Kvitova.

Kein Widerspruch, aber Zwiespalt

Dass der Schlagabtausch gegen die Deutschen um Angelique Kerber und Andrea Petkovic im vertrauten Umfeld stattfindet, wird Kvitova helfen. In der Heimat zu spielen, fördert bei ihr eine ganz andere Dimension von Selbstvertrauen. Dieses hat sie im Ausland nur selten.

"Ich glaube, die US Open passen einfach nicht zu meiner Persönlichkeit. Ich bin eher ruhig. Dort ist es immer laut und hektisch. Das raubt mir die Kraft", erklärte sie kürzlich. Sie muss sich eben wohl fühlen.

Kvitova und die Tenniswelt - das ist zwar kein Widerspruch, sicherlich jedoch ein Zwiespalt. Während die Powerfrau den Glamour und die Show eigentlich nicht ausstehen kann, bemüht sie sich, die Extravaganz des Profibusiness mitzuspielen - aus Liebe zum gelben Filzball und aus Dank an den tschechischen Verband, der es ihr ermöglichte, dahin aufzusteigen, wo sie heute ist.

Auf der Suche nach der Balance versucht sie so viel Normalität wie möglich zu wahren - etwas, das ihr gelingt, wenn sie ohne Beeinflussung einfach nur Tennis spielen darf.

Petra Kvitova im Steckbrief

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