Verrückt, verrückter, Wimbledon 2013

Von Liane Killmann
Sergey Stakhovsky glaubte es kaum: Er warf Roger Federer raus - und dann kam Jürgen Melzer
© getty

Wimbledon 2013 ist verrückt. Ein Beweis? Erstmals seit Roger Federer und Rafael Nadal bei Grand-Slam-Turnieren antreten, schafft es keiner von beiden in die dritte Runde. Und nach einer denkwürdigen ersten Woche an der Church Road steht fest: Philipp Kohlschreiber ist ein Trendsetter.

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Unfassbares Favoritensterben

Dieses Wimbledon hat es in kürzester Zeit geschafft, etliche Stars aufs Kreuz zu legen. Rafael Nadal machte am ersten Tag den Anfang, danach ging es Schlag auf Schlag. Lleyton Hewitt? Gegen Dustin "@DreddyTennis" Brown ohne Chance. Victoria Azarenka und Jo-Wilfried Tsonga stoppte jeweils eine Knieverletzung. Maria Sharapova? Aus in Runde zwei. Titelverteidiger Roger Federer? Gescheitert nur wenige Stunden später.

Nadal, Gewinner 2008 und 2010, unterbot ein Jahr nach seinem Zweitrunden-Aus gegen Lukas Rosol diese Marke sogar noch. Gegen Steve Darcis wirkte der Spanier müde. Nichts zu sehen von der Dominanz des French-Open-Rekordsieges zwei Wochen zuvor.

Seine Bewegungen wirkten auf dem ungewohnten Rasen komplett ohne Vorbereitungsturnier fast schwerfällig. Nichts würde es mit dem "Traum-Viertelfinale" gegen Roger Federer werden.

Ende einer irren Serie

Als jener Federer zwei Tage später gegen die Nummer 116 der Welt, Sergey Stakhovsky, vollkommen zurecht den Kürzeren zog, sprach kaum noch jemand von Nadal. Und niemand von Maria Sharapova. Stattdessen war von einem Erdbeben die Rede. Vom krassesten Tag der Wimbledon-Geschichte. Kein Superlativ schien zu groß.

Der siebenfache Triumphator müsse weiterhin auf Titel Nummer acht warten. Der beste Spieler auf Gras würde sich nicht von den Herren Pete Sampras und William Renshaw absetzen können, um zum alleinigen Rekordchampion an der Church Road aufzusteigen.

Federer verpasste stattdessen erstmals seit den French Open 2002 ein Grand-Slam-Viertelfinale. 36 Mal hatte er seither in den Top 8 der Majors gestanden. 33 Mal kam er ins Halbfinale, 17 Mal reckte er die Trophäe in den Himmel.

Und diesmal? "Es ist enttäuschend und frustrierend, dass ich keine Mittel gefunden habe. Das tut sehr weh, hier zu verlieren", sagte Federer und erkannte an: "Stakhovsky war in den entscheidenden Punkten besser."

No. 13! Neuer Aufgaben-/Walkover-Rekord

Und noch eine unheimliche Serie machte Tag 3 zu einem der ungewöhnlichsten aller Zeiten: Gleich sieben Profis (Wimbledon-Rekord an einem Tag) mussten ihre Matches aufgeben oder traten erst gar nicht an. Azarenka, Yaroslava Shvedova, Marin Cilic und Nadal-Bezwinger Darcis zogen zurück, John Isner, Radek Stepanek und Tsonga gaben verletzt auf.

Doch es sollte noch wilder kommen. Als am Samstag Igor Sijsling gegen Ivan Dodig sein Drittrunden-Match verletzt aufgeben musste, war er schon der 13. Spieler in nur sechs Tagen, der nicht antreten oder das Spiel nicht beenden konnte. Damit stellt Wimbledon 2013 den Negativrekord von 2008 ein. Und in Woche zwei kann durchaus noch No. 14 hinzukommen...

Übrigens: Sijslings Gegner Dodig, der bereits 6:0, 6:1 und 1:0 führte, darf getrost Glückspilz genannt werden. Denn der Kroate gewinnt in dieser Woche bereits sein zweites Match durch Aufgabe.

Wer die ganze Sache ins Rollen gebracht hat? Richtig, Philipp Kohlschreiber. Am Dienstag in Runde eins. Natürlich gegen Dodig. Nach 2:0-Satzführung. Bei 2:1 im fünften Durchgang. Mit den legendären Worten: "I'm tired." Das Ergebnis? Ein Shitstorm, der sich lesen lassen konnte.

"Ein Tritt in den Hintern"

Dabei gibt es ihn, den echten Kampfgeist. Siegeswillen. Bei Laura Robson beispielsweise. Britains New Darling jagte der Nation in Runde drei einen Riesenschreck ein, als sie gegen die Neuseeländerin Marina Erakovic den ersten Satz mit 1:6 abgab.

"Das war ein Tritt in meinen Hintern, um ehrlich zu sein. Ich habe danach nur versucht, dran zu bleiben, bis sie nervös wird." Und Erakovic wurde nervös. Robson drehte das Match mit 7:5 und 6:3 und wusste, bei wem sie sich zu bedanken hatte, um auf Jahre hinaus Wimbledons Darling zu bleiben: "Die Fans sind großartig, es war total aufregend da draußen. Ohne sie hätte ich das nicht geschafft."

Schon jetzt steht fest: Dank des Achtelfinal-Einzugs klettert Robson nach dem Turnier in die Top 30. Als erste Britin seit Jo Durie 1987. Und gegen Kaia Kanepi muss die wunderbare Reise längst noch nicht vorbei sein.

Fast wie damals gegen Steffi

Eine neue Bestmarke stellte Kimiko Date-Krumm auf: Als erste 42-Jährige zog die Japanerin in die dritte Runde ein. Ihr erstes Halbfinale in Wimbledon hatte sie als Kimiko Date 1996 (!) absolviert, als sie in drei Sätzen Steffi Graf unterlag.

Leuchttürme aus deutscher Sicht: Sabine Lisicki und Tommy Haas, die mit tollem Tennis die zweite Woche erreicht haben. Die allerdings auch das große Pech haben, nicht in einem der gefühlt je sieben Achtel beider Tableaus ausgelost worden zu sein, in denen die größten Hürden sich längst aus dem Draw verkrümelt haben.

Lisicki: "Serena auch nur ein Mensch"

Die Gegner der Deutschen in der Runde der letzten 16? Die Weltranglistenersten Serena Williams und Novak Djokovic. Gut, auf dem Weg zum Titel, muss man schließlich jeden schlagen. Lisicki nimmt es gelassen: "Serena ist auch nur ein Mensch", sagt sie breit grinsend, als man sie auf ihre nächste Gegnerin bei ihrem Lieblingsturnier auf ihrem Lieblingsplatz anspricht.

Nun ja, genauer gesagt ist Serena Williams ein Mensch, der gegen Date-Krumm sein 600. (!) Karriere-Match gewann. Ein Mensch, der seit dem Viertelfinale der Australian Open kein Match mehr verloren hat. Eine 34-Siege-am-Stück-Serie hält. 2012 Wimbledon und Olympia auf eben diesem Lieblingsplatz von Lisicki gewonnen hat. Und mit einem Erfolg über die Deutsche die längste Siegesserie auf der Tour, die ihrer Schwester Venus aus dem Jahr 2000, einstellen kann. So ein Mensch ist Serena.

"The Smiling Assassin", wie BoomBoomBine dank ihres Million-Dollar-Lächelns seit dieser Woche in England genannt wird, sagt nur: "Ich freu mich drauf." Wir uns auch. Und hey, auch Lisicki hat in Wimbledon erst 4 Niederlagen (bei 16 Siegen) kassiert. Viel Glück!

Tommy Haas hat seinem Achtelfinalgegner in diesem Jahr bereits das Fürchten gelehrt, als er ihn in Miami bezwang. Djokovic ist gewarnt - und stapelt tief: "Haas spielt vielleicht sein bestes Tennis aller Zeiten. Ich sehe keinen klaren Favoriten. Hoffentlich unterhalten wir die Leute ordentlich." Davon gehen wir aus!

Der Djoker darf am Montag aber auf KEINEN Fall so drauf sein wie am Samstag: Der Serbe gönnte Jeremy Chardy im gesamten Match nicht einen Punkt, wenn der erste Aufschlag saß. Entsprechend bekam der Franzose nicht eine Break-Chance.

Und bis Mitte des dritten Satzes unterliefen Nole NULL Unforced Errors (am Ende waren es drei). Es wäre wirklich unmenschlich, wenn er das ein zweites Mal auf den Centre Court zaubert. Wie auch immer. Daumendrücken!

Wer bekommt den Federer-Nadal-Spot im Halbfinale?

Während Haas durch das obere Draw-Viertel gegen den Djoker ins Halbfinale spaziert und Glückspilz Dodig David Ferrer und Juan Martin Del Potro aussticht, trifft Andy Murray im Halbfinale auf... Ja, auf wen eigentlich!?

Jerzy Janowicz? Das liest unser österreichischer Kollege überhaupt nicht gern, dass sich der polnische Aufschlagriese (2,04 m) am Montag gegen Herrn Melzer durchsetzen dürfte... Wo doch dieser Jürgen Melzer nach dem Sieg über Stakhowsky (Zitat!) "nunmehr glasklar an Roger Federer vorbeigezogen ist". Sagte er lachend über seinen Landsmann.

Vielleicht muss Murray auch gegen Adrian Mannarino ran? Oder Lukas Kubot? Wir geben zu, wir wissen es wirklich nicht und nehmen gerne Wetten an.

Der Wimbledon-Spielplan im Überblick