Am Montag ist es wieder so weit: Wimbledon beginnt! Im SPOX-Interview lässt Michael Stich seine Wimbledon-Karriere Revue passieren. Mit dabei: Sein großer Triumph gegen Boris Becker 1991, bittere Pleiten und ein fürchterliches Hotel. Außerdem spricht Stich über Tommy Haas und die Big Four.
SPOX: Herr Stich, Ihren ersten Wimbledon-Auftritt hatten Sie 1989. Wie sind Ihre ersten Erinnerungen an Wimbledon?
Michael Stich: Ich weiß noch, dass ich direkt davor in Bristol gespielt habe, mein Bruder begleitete mich, und ich dann in einem Hotel gewohnt habe, das "Hotel Amsterdam" hieß. Und das Hotel war fürchterlich. Ich habe dann abends auch noch etwas Schlechtes gegessen, irgendeine Pizza oder Pasta war verdorben, und ich musste mich sogar übergeben. So ging es für mich schon mal los in Wimbledon. (lacht) Wenn du dann auf die Anlage kommst, fragst du dich erst mal, wo du denn hier gelandet bist. So beeindruckend ist es. Als ich dann die Auslosung sah, dachte ich mir: "Pernfors? Ist ja super, der kann ja auf Rasen gar kein Tennis spielen." Aber wenn ich mich recht erinnere, habe ich dann ziemlich eins auf die Mütze bekommen...
SPOX: Korrekt. Nach Satz eins (7:5) ging nicht mehr viel. 1:6, 3:6, 2:6.
Stich: Dabei hatte ich in Queens noch das Viertelfinale erreicht und erst in drei Sätzen gegen Ivan Lendl verloren. Ich kam eigentlich selbstbewusst nach Wimbledon, bin aber dann leicht abgebügelt worden.
SPOX: Ein Jahr später lief es schon besser (Fünfsatz-Niederlage gegen Guy Forget) und 1991 sollte bekanntlich Ihr Jahr werden. Sie standen davor in Roland Garros im Halbfinale, waren in Wimbledon an 6 gesetzt, haben Sie sich als Mitfavorit gesehen?
Stich: Mit dem Halbfinale in Paris hatte ich eine Duftmarke gesetzt, man wurde dadurch aufmerksamer auf mich, aber ich bin trotzdem nicht als einer der Mitfavoriten angereist. Aber ich wusste, dass ich auf Rasen sehr gut spielen kann und dass ich mich dort wohl fühle. Es war insgesamt ein schwieriges Wimbledon-Jahr, mein Erstrunden-Match habe ich am Montag angefangen und am Donnerstag zu Ende gebracht - so unglaublich hat es geregnet. Es war ja dann auch das erste Jahr in der Geschichte, bei dem der Middle Sunday genutzt werden musste. Ich habe mich von Match zu Match gesteigert und je weiter ich kam, desto größer wurde mein Selbstbewusstsein.
SPOX: Kritisch wurde es im Achtelfinale gegen Alexander Volkov, da waren Sie schon fast raus...
Stich: Das stimmt. Ich lag im 5. Satz mit Break hinten und hatte dann sogar einen Breakball gegen mich zum Doppelbreak. Ich war so genervt und frustriert, dass ich mit dem 2. Aufschlag auf Ass gegangen bin, das hat zum Glück funktioniert. Später ist dann ein Passierball von mir von der Netzkante über Volkovs Kopf ins Feld geflogen, danach war er so gefrustet, dass er nichts mehr getroffen hat. Ich habe neun Punkte oder so in Folge gemacht. In dem Match hatte ich sicher auch das nötige Quäntchen Glück.
SPOX: Nach dem Viertelfinale gegen Jim Courier kam es zu einem legendären Halbfinale gegen Stefan Edberg. 4:6, 7:6, 7:6, 7:6. Ein Match zu gewinnen, ohne ein einziges Break zu schaffen, so oft kann es das bis heute nicht gegeben haben.
Stich: Vermutlich nicht. (lacht) Es war schon sehr außergewöhnlich. Die Tiebreaks waren ja auch geprägt von Fehlschlägen von Edberg. Einmal hat er einen Schmetterball verhauen, einmal einen Volley, er hat auch mitgeholfen, sagen wir es mal so. Aber ich war an dem Tag vielleicht einfach den Tick besser und heißer als er.
SPOX: Wie haben Sie die Tage vor dem großen Finale gegen Boris Becker dann geschlafen?
Stich: Gut. Wenn man im Finale ist, geht man davon aus, dass man es auch gewinnt. So ging es mir jedenfalls. Ich wusste auch am Finaltag selbst, dass ich super drauf bin, ich habe mich richtig gut gefühlt. Ohne überheblich zu sein, habe ich mir gesagt: "Ich gewinne das." Mit der Einstellung bin ich auf den Platz gegangen, Gott sei Dank hat es ja dann auch geklappt.
SPOX: Wie weit weg ist dieses Match, dieser große Triumph, wenn wir heute darüber sprechen?
Stich: Das Match selbst ist schon lange her, es sind ja jetzt 22 Jahre vergangen, das ist eine lange Zeit. Ich bin in der Zwischenzeit immer wieder in Wimbledon gewesen und habe ja auch für die "BBC" gearbeitet. Es sind schöne Erinnerungen und je älter ich werde, desto mehr realisiere ich, dass ich Teil von etwas ganz Besonderem in der Welt des Sports bin. Darüber bin ich sehr glücklich, darauf bin ich auch stolz. Aber das Match ist echt lange her, wenn ich nur dran denke, was für Klamotten wir anhatten... Diese kurzen Hosen, in denen wir rumgelaufen sind, da ist schon "Nostalgie" dabei.
SPOX: Den Matchball haben Sie mit einem Vorhand-Return verwandelt. Was ging Ihnen in den ersten Momenten nach dem Triumph durch den Kopf, es muss Ihnen surreal vorgekommen sein alles, oder?
Stich: So richtig begreifen kann man das erst, wenn man die Karriere beendet hat und zurückblickt. Ich wusste natürlich, dass ich etwas Großes erreicht habe. Ich hatte aber gar keine Zeit, mich mehr damit zu beschäftigen, weil so viel auf mich eingestürmt ist. Fototermine, Presse, einen Smoking für das Champions Dinner organisieren - und am nächsten Tag bin ich schon zum nächsten Turnier nach Gstaad geflogen. Ich war sogar ganz froh, als ich dann in Gstaad war, weil ich da etwas mehr Ruhe hatte.
SPOX: Ein Jahr später scheiterten Sie im Viertelfinale an einem gewissen Pete Sampras.
Stich: Und für mich war es damals absehbarer, dass Andre Agassi mal Wimbledon gewinnt, als dass Pete einmal so dominieren würde. Es ist schon sehr außergewöhnlich, wenn jemand ein Turnier über sieben, acht Jahre so beherrscht wie Pete in Wimbledon oder Rafael Nadal in Paris. Ich muss aber auch sagen, dass ich total schlecht gespielt habe gegen Pete in dem Jahr, ich war sehr unzufrieden mit meiner Leistung.
SPOX: Wenn man Wimbledon gewonnen hat, erwartet man sicher, dass man es auch ein zweites Mal gewinnen kann. Aber in den Jahren danach lief nicht mehr viel zusammen. Was war los?
Stich: Ich habe zweimal in der ersten Runde verloren, einmal gegen Jacco Eltingh auf dem Centre Court und einmal gegen Bryan Shelton auf Court 2. Das waren einfach ganz schwache Leistungen, völlig indiskutabel. Aber so ist eben auch der Sport. Du bist nicht jeden Tag super drauf. Dass ich ausgerechnet in Wimbledon so schlechte Tage erwischte, war natürlich sehr ärgerlich.
Seite 2: Stich über Tommy Haas, die Big Four und den Nachwuchs
SPOX: 1996 kam das Aus im Achtelfinale gegen den späteren Sieger Richard Krajicek. 1997 waren Sie dann noch mal nahe an einem Finale, verloren aber im Halbfinale in fünf Sätzen gegen Cedric Pioline. Im Endspiel hätte Pete Sampras gewartet, wie sehr hat Sie diese Niederlage gefuchst?
Stich: Ganz klar, das Match gegen Pioline hätte ich nicht verlieren müssen. Irgendwie war dieses Match ein Querschnitt meiner Karriere. Sehr gut gespielt, dann ganz ganz schlecht gespielt, dann wieder herangekämpft und gut gespielt. Im fünften Satz hatte ich gefühlt bestimmt zehn Breakbälle, aber Pioline hat an diesem Tag wahrscheinlich auch eines seiner besten Matches seiner Karriere gespielt. Die Niederlage war umso enttäuschender, weil ich wusste, dass ich im Finale eine sehr gute Chance gehabt hätte. Pete hat sehr ungern gegen mich gespielt. Aber okay, Halbfinale beim letzten Mal Wimbledon, auch nicht ganz schlecht.
SPOX: 1997 standen neben Ihnen auch Boris Becker und Nicolas Kiefer im Viertelfinale, im vergangenen Jahr erreichten Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer die Runde der letzten Acht. Die größte deutsche Hoffnung heißt in diesem Jahr aber sicher Tommy Haas. Was sagen Sie zu diesem unfassbaren 35-Jährigen?
Stich: Das Schöne bei Tommy ist, dass er gesund ist und das alles im Moment genießt. Man muss davon ausgehen, dass irgendwann ein Einbruch kommt, aber darüber macht er sich Gott sei Dank keine Gedanken. Wenn er noch mal eine Chance hat, einen Grand Slam zu gewinnen, dann in Wimbledon. Von der körperlichen Belastung ist es das Einfachste der vier großen Turniere. Es ist extrem hart, in zwei Wochen sieben Matches auf höchstem Niveau zu spielen, aber dass Tommy in Paris zum ersten Mal ins Viertelfinale kommt, hätte auch niemand gedacht. Er ist fit, er hat Spaß - alles ist möglich. Bei Goran Ivanisevic hätte auch kein Mensch gedacht, dass er noch mal in Wimbledon gewinnt. Oder Jimmy Connors, der war mit 39 im Halbfinale der US Open. Es gibt immer wieder besondere Situationen, Alter spielt da keine Rolle.
SPOX: Von den letzten 33 Grand-Slam-Turnieren hieß der Sieger 13 Mal Federer, 12 Mal Nadal, 6 Mal Djokovic, 1 Mal Murray und 1 Mal Del Potro. Abgesehen von Del Potros US-Open-Sieg 2009 gab es keinen Sieger außerhalb der aktuellen Big Four, die alles dominieren. Und es deutet nichts darauf hin, dass sich das demnächst ändern sollte.
Stich: Das stimmt. Es sind ja wirklich immer die gleichen vier Jungs, die sich vom Rest absetzen. Es gibt dahinter allerdings auch gute Spieler, die immer für eine Überraschung gut sind. Die Big 4 sind wieder die Favoriten, einer von ihnen wird es gewinnen. Welcher? Keine Ahnung.
SPOX: Federers Niederlage gegen Tsonga in Paris war insofern etwas erschreckend, weil er da extrem mies gespielt hat. Was natürlich sofort die üblichen Fragen aufwirft, geht's bergab bei King Roger?
Stich: Das schreiben die Journalisten ja seit fünf Jahren, dass seine Zeit jetzt vorbei ist. Und er ist immer den Gegenbeweis angetreten. Gegen einen an dem Tag starken Tsonga kann man verlieren, auch wenn Federer zugegeben definitiv schlecht gespielt hat. Auch wenn sich die Top 4 vom Rest abheben, haben sie es nicht so leicht. Früher hat Nadal in Paris ohne Satzverlust gewonnen, heute verliert er auch in Runde eins mal einen Satz gegen Daniel Brands. Wenn Roger fit und motiviert ist, was er ohne Frage ist, dann kann er wieder in Wimbledon gewinnen, das steht außer Frage. Aber er kann auch gegen jemanden wie Tsonga oder Berdych verlieren, das ist immer drin, das gilt aber auch für die anderen Drei.
SPOX: Nadal steht bei 12 Grand-Slam-Titeln, Federer bei 17. Hat der Spanier eine reelle Chance, Federer einzuholen und womöglich sogar zu übertreffen?
Stich: Er hat auf jeden Fall eine Chance. Die Frage wird sein, ob sein Körper mitspielt. Bei den Australian und US Open sind seine Siegchancen mit seinen Knien vielleicht nicht mehr so groß. Aber auch da ist die Frage, wie schlimm es wirklich ist, das weiß ja niemand so genau, das weiß nur er selbst. Aber worüber reden wir? Nadal hat jedes Grand Slam schon gewonnen, angenommen er würde noch drei Jahre spielen, hätte er theoretisch noch 12 Chancen. Und um mit Roger gleichzuziehen, bräuchte er "nur" 5 Titel. Alles ist möglich. Aber ich glaube nicht, dass es für Rafa so wichtig ist, dass er diesen Rekord unbedingt knacken muss, lieber gewinnt er 10 Mal die French Open und hört dann auf.
SPOX: Paris war auch ein erfolgreiches Turnier für den deutschen Nachwuchs. Antonia Lottner und Alexander Zverev erreichten das Finale. Die Familie Zverev kennen Sie sehr gut. Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Youngsters?
Stich: Ich habe mit Mischa Zverev viele Jahre trainiert und ihn ein bisschen begleitet, ich kenne die Familie deshalb wirklich ganz gut. Alex habe ich in Paris spielen sehen, er hat ohne Frage ein großes Potenzial. Du stehst bei den Junioren nicht auf Position 3 der Welt, wenn du kein Potenzial hast. Aber auf der anderen Seite müssen wir die Kirche auch im Dorf lassen. Wenn er sich so weiterentwickelt, wie er es bis jetzt getan hat, kann er weit nach oben kommen. Aber auf der Herren-Tour zu bestehen, ist noch mal eine andere Geschichte. Wir haben viele erfolgreiche Jugendliche gesehen, die es auf der Herren-Tour nicht gepackt haben. Aber die Voraussetzungen sind gut. Er hat die Erfahrungen des älteren Bruders, die er für sich nutzen kann, es steckt insgesamt sehr viel Know-how im Umfeld. Es ist ein schöner Ausblick für die Zukunft, dass wir solche Talente wie Antonia und Alex haben.
Die ATP-Weltrangliste
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren



