Der Koteletten-Killer und Bullshit-Klödi

Von Stefan Petri
Zwölf Etappen liegen noch vor dem Fahrerfeld. Welche Erkenntnisse gab es bisher?
© Getty
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Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen:

Mark Cavendish: Der Etappensieg ist verbucht, aber ein bisschen mehr haben wir dann doch erwartet vom Supersprinter aus England, der sich auf den letzten Flachetappen von Greipel, Sagan und Matthew Goss abkochen ließ. Vielleicht liegt es an seinem Sturz auf der vierten Etappe, vielleicht am fehlenden Zug für die Ziellinie, vielleicht auch an fehlender Form. Oder schont er sich schon für Olympia? Fest steht: Wenn Wiggins das Gelbe nach Paris trägt, wird Sky mit dem einen Etappensieg vielleicht zufrieden sein, Cavendish aber ganz sicher nicht. Dafür war er in den letzten Jahren zu dominant - und viele Chancen kommen nicht mehr.

Cadel Evans: Wie soll man den Titelverteidiger bewerten, der in den Augen der Experten - und da schließen wir uns mal ein - nur der zweitbeste Fahrer im Feld war? Schließlich ist er es am ersten Ruhetag auch. In den Bergen war Evans bisher makellos, im Zeitfahren ist Wiggins schlicht und ergreifend besser. Aber schon fast zwei Minuten Rückstand, das ist zu viel. So einfach ist das. Vielleicht kann Evans Wiggins in den Bergen noch attackieren, vielleicht wird er aber auch von Christopher Froome kassiert. Das wäre dann endgültig eine Enttäuschung. Wir wollen den Titelverteidiger nicht zu früh abschreiben, aber heiter bis wolkig ist sein Gemüt sicher längst nicht mehr.

Action am Berg: Was wurde nicht vorher gemault und gejammert über die langweiligen Berge der diesjährigen Tour? Nur drei Bergankünfte, viele Abfahrten vor dem Ziel, die das Feld wieder zusammenführen würden - kennt man ja von früher, bla bla. Aber bisher lässt sich das doch ganz ordentlich an! Zwei Bergetappen, eigentlich sogar nur als mittelschwer kategorisiert, haben das Feld kräftig durchgesiebt und zum Schlagabtausch der Favoriten untereinander geführt, und auch die Abfahrt am Sonntag brachte uns keine Ankunft mit 45 Fahrern, sondern eben nur mit den zehn Besten der Besten. Das wollen wir sehen! Außerdem sind die Fahrer ob Wiggins' großem Vorsprung gezwungen, früher zu attackieren. Wenn es so weitergeht, dann: très bien.

Was nun?

Elf Etappen liegen noch vor den Fahrern, 1871,5 Kilometer sind noch zu absolvieren. Da kann also noch einiges passieren: Sechs Bergetappen, ein 53,5 km langes Einzelzeitfahren, vier Flachetappen für die Sprinter - und jede Menge Spannung: Jetzt geht die Tour erst richtig los.

Bradley Wiggins war bisher dominant, keine Frage. In den Bergen hielt er gut mit. Aber von seiner Natur her ist er ein Rouleur, keine Bergziege, erinnert mit seinem Stil an einen Jan Ullrich, der die Berge mit gleichmäßiger Kadenz hinaufstapft. Gut, einen Fahrer der Kategorie Lance Armstrong gibt es nicht mehr, aber viele Hunde sind bekanntlich des Hasen Tod. Evans, Nibali, Menchov, Zubeldia: Wiggins wird sich Angriffen stellen müssen. 15 Berge der ersten oder höchsten Kategorie sind noch zu erklettern - ein schlechter Tag und die Uhr steht wieder bei Null. Zum Vergleich: Es gab bisher erst zwei Berge der ersten und keinen der höchsten Kategorie. Für eine Krönung ist es also bei aller Liebe viel zu früh.

Sky wird versuchen, das Feld zu kontrollieren, aber die Herausforderer werden ihr Heil nicht erst am letzten Berg suchen - das können sie sich nicht leisten. Ein brutaler Test werden die 16. und 17. Etappe: 340,5 km vollgepackt mit vier "Einsern", drei Hors-Kategorien und jeder Menge Kleinkram dazwischen. Hält die Topform von Wiggo wirklich so lange? Das muss sich noch zeigen.

Für all die, die nicht auf die Gesamtwertung schielen, beginnt jetzt schon das Taktieren. Denn: London is calling. Welcher Sprinter zieht voll durch, wer schont sich für Olympia, wer steigt aus? Gehen sämtliche Zeitfahrer von Bord? Werden die Ausreißer weiterhin konsequent gejagt? Die Pause zwischen den Champs Elysées und dem Straßenrennen über 250 km betragt kümmerliche fünf Tage, wiederum vier Tage später wartet das Zeitfahren.

Das wird zur Zwickmühle für die ambitionierten Olympioniken und könnte für Überraschungen sorgen: Gehe ich wirklich in jeder Abfahrt ans Limit? Vielleicht schlägt die Stunde für französische Ausreißer. Auch Andre Greipel könnte noch das eine oder andere Mal zuschlagen. Oder ein Anwärter auf Gelb, der seine Prioritäten spontan ändert. Für Aufregung wird auf jeden Fall gesorgt sein. Die fette Lady hat noch nicht gesungen.

Der Radsport-Kalender 2012