Selbstzerstörung eines Denkmals

Von Torsten Adams
Lance Armstrong kündigte am 9. September 2008 sein Comeback in den Radsport an
© Imago

Lance Armstrong fährt bei der diesjährigen Tour de France hinter der Konkurrenz und den eigenen Erwartungen her. Fehlende Power? Nicht nur! Der einst vom Ehrgeiz zerfressene Amerikaner lässt sein Team im Stich und gibt ein jämmerliches Bild ab. Ein Kommentar von Torsten Adams.

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kommentarKnapp zwei Jahre ist es her, da kündigte Lance Armstrong an, zurück in den Sattel zu kehren. Am 9. September 2008 spaltete die Meldung vom Comeback der Ikone die Radsport-Welt. "Das Schlimmste, was dem Radsport passieren konnte" und "Armstrong wird den Radsport retten". Es gab nur diese zwei Meinungen.

Heute fragt man sich: Warum hat Armstrong dieses Comeback gestartet? Was hat der 38-Jährige damit bezweckt?

Anti-Krebs-Stiftung als Vorwand

2009, als er bei Astana unter Vertrag stand und noch Kapitän 1b hinter Alberto Contador war, schien es noch so, als wäre die Publicity für seine Anti-Krebs-Stiftung Livestrong sein größtes Anliegen.

Vom barmherzigen Samariter war vor Beginn der diesjährigen Tour allerdings nicht mehr viel zu hören.

Alleinherrscher Armstrong

Klar ist: Armstrong ist zurückgekommen, um die Tour noch einmal zu gewinnen. Ihm ging es um das Sportliche. Er wollte gewinnen. Er wollte den achten Triumph. Er wollte sein eigenes Denkmal auf ein noch größeres Podest stellen.

Ausschließlich darauf hatte er seinen Fokus gelegt. Ausschließlich dazu hat der Amerikaner sein eigenes Team RadioShack gegründet, in dem es nur einen Alleinherrscher gibt. Ihn selbst.

Eher Rad-Tourist denn Tour-Teilnehmer

Doch was nutzt einem das beste Rundfahrt-Team, wenn der Boss nur hinterher fährt? Armstrong gibt derzeit ein jämmerliches Bild ab. Sobald es bergauf geht, lässt er abreißen. Ohne Gegenwehr, ohne den Willen zu folgen.

Während Cadel Evans sich mit gebrochenem Ellenbogen die Berge hinauf quält, trudelt Armstrong gemächlich von Start- zu Zielort.

Die einstige Ikone macht momentan eher den Eindruck, als radele er als Tourist durch Frankreich statt ernsthaft an der Tour teilzunehmen. Derart schlecht, wie er sich in den letzten Tagen präsentiert, kann seine Form doch eigentlich gar nicht sein.

Lustlosigkeit oder Kalkül?

Auf der vergleichsweise einfachen Etappe nach Revel kassierte Armstrong satte 4:35 Minuten und witzelte kurz vor der Zieleinfahrt noch mit Teamkollege Jaroslaw Popowitsch. Von Kampfeswille keine Spur.

Sein Auftritt ließ nur zwei Schlüsse zu: Entweder hat Armstrong keine Lust mehr. Oder er spart sich Körner, um in den nächsten Tagen noch etwas Außergewöhnliches zu reißen.

Halbzeit-Bilanz zur Tour: Verfall der alten Helden

Armstrong kündigt Überraschungen an

Dann das fette Statement über sein Propaganda-Instrument Twitter, kurz vor der Ax-3-Domaines-Etappe. "Ich freue mich auf die schweren Etappen. Es wird einige Überraschungen geben."

Zack. Das hatte gesessen. Vor Jahren wären seine Konkurrenten nach solch einer Aussage vor Schreck zusammengezuckt.

Armstrong kann nicht mithalten

Heute lassen Andy Schleck und Alberto Contador solche Aussagen kalt. Zu Recht. Denn was auf die Ansage folgte, war heiße Luft. Wieder am Berg abgehängt. Wieder ohne Ehrgeiz ins Ziel getrudelt.

Will Armstrong etwa einfach nur mitrollen? Geht ihm sein 38. Rang im Klassement nicht an die Substanz? Die Antwort: Armstrong kann nicht mehr!

Kein Kampfeswille, kein Ehrgeiz

Der einstige Patron ist ein anderer als vor seinem Comeback. Keine Spur von Explosivität. Schwächen im Zeitfahren, seiner einstigen Paradedisziplin. Einige mögen das in Zeiten von Doping-Skandalen als positive Erscheinung werten.

Doch wo ist Armstrongs Kampfeswille? Sein Sportsgeist? Die verbissene Miene, das Funkeln in den Augen, bei dem jeder wusste: Der will es allen zeigen. Fehlanzeige.

Armstrongs Verhalten eine Unsportlichkeit

Man könnte meinen, RadioShack würde nach Armstrongs katastrophalen Vorstellungen seine Strategie ändern. Man könnte vermuten, Armstrong würde sich in den Dienst von Leipheimer als Klassement-Bestem stellen. Ihn aus dem Wind halten, Führungsarbeit leisten. Mitnichten!

Ein Armstrong lässt sich nicht zum Helfer degradieren. Lieber grinsend im Ziel einrollen. Sein Verhalten ist eine Unsportlichkeit gegenüber seinen Kameraden. Er lässt seine Teamkollegen rücksichtslos im Stich.

"Armstrong wird es erwischen"

Ungeachtet seiner knapp 40 Minuten Rückstand in der Gesamtwertung ist Armstrong zu Scherzen aufgelegt. "Ich werde aus der Tour aussteigen", sagte er in einem TV-Interview. Und fügte mit einem Lächeln an: "In Paris."

Es kommt einem so vor, als wolle der Amerikaner seine Angst vor den nicht enden wollenden Doping-Anschuldigungen überspielen. Erst kürzlich hatte sein Intimfeind Greg LeMond angekündigt: "Armstrong wird es erwischen, da bin ich mir sicher, er ist Geschichte."

Armstrongs schwächste Tour

Ob der siebenmalige Toursieger jemals des Doping-Missbrauchs überführt oder dafür belangt wird, bleibt abzuwarten.

Fakt ist: Seine letzte Tour wird als seine sportlich schwächste in die Geschichte eingehen. Von der jungen Garde wurde der Held früherer Tage regelrecht gedemütigt. Sein Comeback-Schuss ging ordentlich nach hinten los.

Lance Armstrong hat sein eigenes Denkmal in kleine Stücke zerschlagen.

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