Rückwärts in die Zukunft

Richard Douglas Fosbury revolutionierte eine ganze Sportart
© getty

Mittelmaß. Richard Douglas "Dick" Fosbury wurde von Trainern, Verantwortlichen und Rivalen im Hochsprung der 1960er-Jahre abgestempelt. Doch mit einer Technikrevolution katapultierte sich der Amerikaner nicht nur zum Sensations-Olympiasieger 1968. Er veränderte auch den Ruf der beliebten Leichtathletikdisziplin. Am Montag wird der Revolutionär 70.

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Quasi bei jeder Disziplin der Leichtathletik waren und sind die Athleten stets auf der omnipräsenten Suche nach der berühmten Hundertstel weniger oder dem Zentimeter mehr: höher, schneller, weiter eben. So auch beim Hochsprung.

Doch im Kampf um neue Sphären waren die technischen Auswüchse nirgendwo so vogelwild wie im Hochsprung. Als Paradebeispiel dafür dienen die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Geschichtlich zweifelsfrei der Vorreiter eines dunklen Kapitels, war der Hochsprungwettbewerb im Berliner Olympiastadion ein Lichtblick.

Nicht nur, weil mit Cornelius Johnson ein schwarzer Athlet in Nazideutschland Gold gewann und den Berichten zufolge Adolf Hitler so erzürnte, dass dieser wutentbrannt das Stadion verließ. Die sechs bestplatzierten Athleten erzielten ihre Bestwerte allesamt mit einer unterschiedlichen Technik - teilweise sah das nicht nur halsbrecherisch, sondern auch amüsant aus.

Die Entwicklung des Hochsprungs im Video

Fosbury erblickte erst elf Jahre später das Licht der Welt. Aber Inspiration benötigte er ohnehin nicht. Weder von den Athleten 1936, noch von den führenden Hochspringern in den Jahrzehnten danach.

"Dick", wie sein Spitzname lautete, beendete den Ruf des Hochsprungs als Freistil-Disziplin. Mit seinem "Fosbury-Flop" düpierte er 1968 in Mexiko Stadt die gesamte Weltelite. Ein Jammer für ihn: Heute erinnert sich heute kaum noch jemand daran, dass der Sprung nach ihm benannt wurde. Einfach, weil der Titel zur Unterscheidung von anderen Techniken nicht mehr benötigt wird. Jeder springt heute so wie einst Dick.

Nach einem bogenförmigen Anlauf überquerte der US-Boy bei den Olympischen Spielen 1968 mit Schultern und Rücken zuerst die Latte. Um dann auf einem der damals verwendeten dicken Schaumstoff-Polsterkissen zu landen. Übersprungene 2,24 Meter bedeuteten nicht nur die Goldmedaille in Mexiko. Der 21-Jährige erzielte mit der Höhe auch einen neuen Olympiarekord.

Zuvor gab es eine Fülle an Techniken. Mit den Füßen zuerst über die Latte, Scherensprung - noch früher im Jahrhundert zudem den Kreuzschnepper, Rückenroller und den Tauchroller.

Und obwohl Fosbury zweifelsfrei Erfolg hatte mit seinem neuen Sprung: Ruhm und Ehre wurden dem Leichtathleten dennoch nicht sofort zuteil. Reporter versuchten ihn vor, während und nach seinem goldenen Wettkampf zu verunglimpfen.

"Der faulste Springer der Welt"

Er springe wie jemand, der aus einem Fenster des 30. Stocks springe, schrieb einer. Bekannt wurde der überlieferte Spruch eines anderen: "Das ist der faulste Springer der Welt." Faul, weil er auf den raren Fotos rücklings auf der Latte zu liegen schien.

Doch schnell war der Amerikaner. Pfeilschnell. Sein Schwung hob ihn im steilen Bogen in die Luft. Die 80.000 Zuschauer in Mexiko Stadt hatte er sofort auf seiner Seite. Nach dem Sensationssieg gab es gar ganze sportwissenschaftliche Konferenzen, auf denen diskutiert wurde, warum seine Technik gar nicht funktionieren könne.

Ein Jahrzehnt bis zur Anerkennung

Und tatsächliche dauerte es ein ganzes Jahrzehnt, ehe sich der neue Sprungstil flächendeckend etablieren sollte. Bei den darauffolgenden Spielen in München 1972 nutzten die Medaillengewinner noch eine seitliche Rolle vorwärts für ihre Bestweiten. In Montreal vier Jahre später war der Flop dann omnipräsent.

Fosbury hatte da längst seine aktive Karriere beendet. Er studierte an der Oregon State University. Dort wurde er zweimal in Folge NCAA-Meister. Nach Studienende arbeitete er als Experte für Vermessungstechniker im Straßenbau.

Heute ist der Olympiasieger Rentner - aber er ruht sich nicht auf seinen Lorbeeren aus. Im Februar trat er als Fernsehgast einer regionalen NBC-Sendung als Vorbereitung auf einen abendlichen Vortrag auf.

Olympiasieger und Motivationscoach

Der jetzt 70-Jährige referiert zudem regelmäßig als Gastredner über den Olympischen Gedanken. Im Interview verriet er, dass er sich als eine Art Motivationscoach sehe. "Dabei geht es darum, wie ich meine Technik weiterentwickelte bis hin zum Olympiasieg." Aber auch um die Zeit nach der Karriere. "Um einfache Dinge, die den Menschen helfen sollen, fokussiert ihre Ziele zu verfolgen", sagte Fosbury.

Schon zu aktiven Zeiten fiel Fosbury mit Motivationstricks auf, die zu jener Zeit unüblich waren. Mit Selbstgesprächen und voller Energie zusammengekniffenen Fäusten motivierte er sich extrovertiert zu Höchstleistungen.

Den Sprung habe er aber nicht bewusst verändert, führte er gegenüber NBC rückblickend aus. Die Bewegung habe sich natürlich in ihm geändert. Sie habe praktisch in der Luft gelegen, sagte Fosbury. "Meine Trainer sind während den Wettkämpfen verzweifelt, weil ich selten den Sprung aus dem Training abrief, dafür eine abgewandelte Form."

Seine Gegner belächelten ihn, Trainer verzweifelten an seinem Eigensinn.

Verzweifelt waren sie dem Vernehmen nach bereits zu Fosburys Jugendzeiten. Damals versuchte Trainer um Trainer erfolglos, dem schnellen, aber ungelenken Talent beizubringen, wie man sich bäuchlings über die Latte rollt.

Als er nach einigen Frustrationen mit eigenen Kreationen begann, wurde er belächelt. "Meine Kontrahenten ließen mich als Eigenbrödler in Ruhe. Damals hatten sie auch keine Konstante, an der sie sich hätten festhalten oder von der sie hätten abschauen können", erklärte er im Interview. Der Sprung habe sich permanent weiterentwickelt. Bis zum großen Auftritt in Mexiko-Stadt.

Doch den Flop hätte die Welt unter anderen Umständen gar nicht zu Gesicht bekommen. Wie Millionen andere junge Männer wollte ihn Amerika nach Vietnam schicken. Er war bereits gemustert und eingeteilt. Da erschien er bei den Militärärzten mit Röntgenaufnahmen und überzeugte sie davon, dass seine Wirbelsäule defekt ist. Wenige Monate später siegte er bei den Trials. Statt in den Krieg flog er nach Mexiko.

Krebs besiegt, heute Einsatz für Inklusion

Viele Jahrzehnte später bereitete ihm der Rücken aber dann doch noch ernsthafte Sorgen. 2008 wurde ein Tumor diagnostiziert. Es drohten sogar Lähmungen. Doch der extrovertierte Ex-Sportler, längst Ingenieur und Unternehmer, kämpfte und ließ die Menschen durch einen eigenen Blog an der Operation und der erfolgreichen Chemotherapie teilhaben.

Fosbury lebt seit nunmehr vier Jahrzehnten in Ketchum im US-Bundesstaat Idaho. Und wenn er nicht gerade Vorträge hält, kümmert er sich als Vorsitzender des gemeinsamen Amerikanischen Olympischen und Paralympischen Sportverbands (USOPA) um sportliche Inklusion. "Ich liebe es, von Sportlern umgeben zu sein und reise gerne. Ich mag die Arbeit und versuche olympische und paralympische Sportler gemeinsam auf das nächste Großereignis vorzubereiten: die Winterspiele 2018 in Südkorea."

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