"Ich wurde in Indien versteigert"

Felix Götz
18. August 201513:51
Moritz Fürste will mit der deutschen Nationalmannschaft weitere TitelFrank Uijlenbroek
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Olympiasieger, Weltmeister, Europameister, Welthockey-Spieler, Euro-Hockey-League-Sieger: Moritz Fürste ist das Gesicht seiner Sportart in Deutschland. Im Interview mit SPOX sprach der 30-Jährige über seine Abenteuer in Asien, eine coole Geschichte mit Philipp Lahm, seinen Einsatz für Olympia in Hamburg, die Spiele in Rio und die anstehende Europameisterschaft in London.

SPOX

SPOX: Egal ob bei Olympischen Spielen, Welt- oder Europameisterschaften. Deutschland räumt im Hockey traditionell ab. Woran liegt das eigentlich, Herr Fürste?

Moritz Fürste: Wir haben einfach ein gutes System, insbesondere in der Jugendförderung. Die Talentschmiede funktioniert, weil in unseren Reihen viele Leute mit sehr viel Ahnung arbeiten. In der Spitze, also sozusagen bei den A-Teams, sind die zahlreichen Termine, bei denen die Nationalmannschaft zusammenkommt und deshalb auch wirklich gemeinsam agieren kann, ein wesentlicher Vorteil. Das ist anderen Sportarten in der Form nicht vergönnt.

SPOX: Dabei sind Sie persönlich zunächst durch das gelobte System gefallen. In manchen U-Mannschaften waren Sie gar nicht dabei, zündeten den Turbo erst spät. Wie kam es dazu?

Fürste: Dafür gab es mehrere Gründe. Relativ lange war es so, dass ich mich mit der Möglichkeit, einmal in der Nationalmannschaft spielen zu können, gar nicht beschäftigt habe. Außerdem spielte ich mit meiner damaligen Jugend-Mannschaft nicht in der Spitze mit. Und wenn ich dann doch mal eine Chance bekam, performte ich viel zu schlecht. Aber unverhofft kommt oft. Eines Tages verletzte sich ein Spieler in der U21. Zunächst sollte ein Teamkollege von mir nachnominiert werden, doch mein Trainer bot mich an. Fortan war ich mit von der Partie.

SPOX: Mit Erfolg. Olympiasieger, Weltmeister, Europameister, Welthockey-Spieler, Euro-Hockey-League-Sieger - mehr kann man nicht gewinnen. Dabei sagen Sie, dass es Ihnen gar nicht in erster Linie um Titel geht. Worum dann?

Fürste: Zugegebenermaßen lässt sich das leichter sagen, wenn man schon all das, was Sie eben aufgezählt haben, gewonnen hat. Nichtsdestotrotz ist es die totale Leidenschaft für den Sport, eine Passion, die mich antreibt. Ich genieße es, mit der Mannschaft bei einem Großereignis dabei zu sein, den Zusammenhalt und das Teamgefühl zu erleben.

SPOX: Mittlerweile sind Sie - noch vor Bundestrainer Markus Weise - das Gesicht im deutschen Hockey. Schmeichelt Ihnen das oder nervt es eher?

Fürste: Ehrlich gesagt beschäftige ich mich mit diesem Gedanken nicht. So wie Sie das jetzt sagen, ist es für mich nicht greifbar. Ich mache die Dinge einfach so, wie ich sie für richtig halte. Ich kann also weder sagen, dass mich irgendetwas in dieser Richtung stört, noch ziehe ich irgendwelche Vorteile oder Motivation daraus.

SPOX: Nicht greifbar ist es für Sie sicherlich auch deshalb, weil Hockey wie so viele andere Sportarten in Deutschland extrem im Schatten des Fußballs steht. Kann man dagegen etwas tun?

Fürste: Ich denke schon, dass man für andere Sportarten - individuell gesprochen - einiges tun kann. Man hat es in den letzten zehn Jahren jedoch teilweise versäumt, das auch umzusetzen. Das steht jetzt an und ich glaube, dass schon ein paar Schritte gemacht wurden. Es muss nachhaltig daran gearbeitet werden. Es geht nicht darum, dahin zu kommen, wo der Fußball ist. Aber es gibt noch jede Menge Kapazitäten, die ausgeschöpft werden können.

SPOX: Wichtig dafür sind dann doch Personen und Gesichter, die man mit dem jeweiligen Sport in Verbindung bringt. Sie tun einiges in dieser Richtung, in dem Sie in sozialen Netzwerken aktiv sind. Kürzlich reagierten Sie beispielsweise auf ein Facebook-Video von Philipp Lahm im Rahmen seiner Aktion "Your Skills for Rio", in dem er im Hinblick auf Olympia fragte: "Seid Ihr schon fit am Hockeyschläger, Mo Fürste?"

Fürste: Richtig. Ich antwortete mit einem Video, in dem ich versuchte, Getränke-Dosen von der Torlatte zu schießen. Das klappte nicht immer (lacht).

SPOX: Wie hat Ihnen Lahms Aktion gefallen?

Fürste: Das war eine coole Geschichte. Es ging dabei nicht nur um mich, sondern auch um andere Sportler, die etwas von sich erzählen konnten. Das bringt Aufmerksamkeit für die olympischen Sportarten, was gut ist und was auch sein Ziel war. SPOX

SPOX: Aufmerksamkeit dürfte auch die anstehende EM in London bringen. Was ist für Deutschland drin?

Fürste: Wir gehen mit einer starken Truppe an den Start. Der Mix aus erfahrenen Akteuren und jungen, wirklich starken Athleten, die ihren Weg gehen werden, stimmt. Da dürfte für uns also einiges drin sein.

SPOX: Ist der Titel das klare Ziel?

Fürste: Wir fahren sicherlich nicht mit dem Ziel zur EM, Zweiter zu werden. Aber den EM-Sieg holt man nicht einfach so. In Halbfinale und Finale stehen definitiv Partien gegen absolute Spitzenteams an, die superschwer zu gewinnen sind. Man kann in solchen Spielen sehr gut sein, wenn der Gegner aber einen Jahrhunderttag erwischt, verliert man sie trotzdem. Dann kann man sich fragen: Haben wir unser Ziel nicht erreicht, oder war es okay, weil die anderen diesmal einfach besser waren? Da muss man einfach abwarten.

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SPOX: Die EM ist natürlich ein Großereignis. Ist es ein Jahr vor Olympia nicht aber trotzdem so, dass der Fokus schon voll in Richtung Rio geht?

Fürste: Nein. Als Sportler kategorisiert man Wettkämpfe nicht. Es gibt keinen A-, B- oder C-Wettkampf. Für einen Sportler ist immer die nächste Veranstaltung die alles entscheidende. Wenn wir das EM-Finale verlieren, dann sag ich ja nicht: Och, egal. Vor drei Jahren sind wir ja Olympiasieger geworden und vielleicht werden wir es kommendes Jahr wieder. Der Fokus liegt jetzt komplett auf der EM. Danach nehmen wir Rio ins Visier.

SPOX: Lassen Sie uns dennoch kurz in Richtung Olympia schielen. Sie könnten nach 2008 und 2012 die dritte Goldmedaille in Folge holen. Was fasziniert Sie denn generell an Spielen? Sie gelten als großer Freund des Olympischen Dorfes.

Fürste: Es ist unglaublich, so besonders. Ich habe schon oft versucht, Worte dafür zu finden. Aber diese Atmosphäre kann man einfach nicht beschreiben.

SPOX: Auch wegen Ihrer Liebe für Spiele sind Sie Olympia-Botschafter für Hamburg 2024. Warum wäre Hamburg genau die richtige Stadt dafür?

Fürste: Ehrlich gesagt bin ich relativ stadtunabhängig. Ich bin einfach der Meinung, dass die Olympischen Spiele mal wieder nach Deutschland müssen. Wir regen uns berechtigterweise darüber auf, wo die Spiele zuletzt und in den kommenden Jahren überall stattgefunden haben beziehungsweise stattfinden. Aber man kann sich nicht immer hinstellen und sagen: Da geht es nicht. Man muss auch mal sagen: Bei uns geht es! Ich finde es deshalb sensationell, dass sich Hamburg für die Bewerbung entschieden hat. Unabhängig davon hat Hamburg ein nachhaltiges Konzept, das finanziell vertretbar ist. Es wären außerdem die Spiele der kurzen Wege. Es wäre ein aufregendes Ereignis für das ganze Land und auch für alle Athleten.

SPOX: Können Sie nicht nachvollziehen, dass manche Bürger auch aufgrund der Vorlagen des IOC skeptisch sind, wenn Spiele in Deutschland stattfinden sollen? In München ist die Olympiabewerbung beispielsweise am Votum der Bürger krachend gescheitert.

Fürste: Ich kann es nicht so richtig nachvollziehen, habe aber Verständnis dafür, weil ich mir erklären kann, wo es herkommt. Ich glaube, diese Ablehnung resultiert A aus einer Zufriedenheit heraus. Also dass Menschen in ihrer Ist-Situation so zufrieden sind, dass sie Angst vor Veränderungen haben. Das ist besonders bei der älteren Generation noch der Fall und dürfte auch in München so gewesen sein. B ist die mangelnde Kommunikation ein Problem. Die Menschen müssen wissen, was wirklich hinter Olympia steckt und müssten dann nicht mit Halbwissen argumentieren. Jeder, mit dem ich intensiv über Olympia in Deutschland gesprochen habe, sagte hinterher: Ah, okay. So wird das oder das finanziert. Das wusste ich gar nicht, ist ja interessant. Ich halte es für verdammt wichtig, aufzuklären. SPOX

SPOX: Ihnen kann man sicher nicht vorwerfen, dass Sie vor Veränderungen zurückschrecken. Sie sind nun schon mehrmals nach Indien gewechselt, wo im Winter innerhalb von ein paar Wochen die Meisterschaft ausgespielt wird. Das System ist ungewohnt, die Klubs ersteigern die Spieler bei einer Auktion.

Fürste (lacht): Genau. In Indien wurde ich im Prinzip wie ein Gegenstand versteigert.

SPOX: Ist das nicht ein seltsames Gefühl?

Fürste: Im Gegenteil. Ich fand das sogar super lustig. Man wird ja nicht nur von einem Klub ersteigert, sondern dabei wird auch gleich das Gehalt mitversteigert. Deshalb sitzt man da und hofft immer, dass die Angebote noch höher gehen. Eigentlich ist es - bei einer Neugründung - die fairste Art und Weise der Teamzusammenstellung. Jeder hat im Grunde die gleichen Chancen.

SPOX: Sind Sie bei dieser Auktion vor Ort?

Fürste: Nein. Beim letzten Mal verfolgte ich die Auktion via Livestream, vier oder fünf Stunden lang. Das war ziemlich aufregend.

SPOX: Es geht Ihnen dabei - das sagen Sie ganz offen - auch ums Geld. Man kann um die 85.000 Dollar verdienen.

Fürste: Ja, absolut. Das ist viel mehr als in Deutschland, wo es bis zu 2000 Euro gibt und vielleicht noch ein Auto plus Wohnung gestellt wird.

SPOX: Außerdem ist die Hockey-Begeisterung der Menschen nicht mit der in Deutschland vergleichbar. Erzählen Sie.

Fürste: Die Stadien sind mit bis zu 20.000 Zuschauern besetzt. Vor und nach dem Spiel sind die Moderatoren auf dem Platz, am Spielfeldrand gibt es ein Sportstudio. Im Prinzip herrscht dort normale Fußball-Atmosphäre, nur sehr viel lauter. Die Inder machen alles sehr viel lauter.

SPOX: Wie haben Sie Indien erlebt?

Fürste: Ich war inzwischen sieben oder acht Mal dort. Es ist eine völlig andere Welt, in der man erstmal klar kommen muss. Das wird einem immer erst so richtig bewusst, wenn man wieder nach Deutschland zurückkommt. Wenn man dann auf dem Weg vom Flughafen nach Hause ist, überrascht einen die Ruhe, obwohl man mitten im Berufsverkehr steckt (lacht).

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