Das Ende einer Ära

Wladimir Klitschko musste sich Tyson Fury geschlagen geben
© getty

Wladimir Klitschko ist nach seinem Duell gegen Tyson Fury nicht mehr der Herrscher des Schwergewichts. Der Herausforderer von der Insel stieß seinen Kontrahenten in der ESPRIT Arena mit einfachen Mitteln sensationell und nach Punkten einstimmig vom Thron und setzte der Rekordjagd des Favoriten aus der Ukraine ein jähes Ende. Besonders das Auftreten des Titelverteidigers war erschreckend - und wirft Fragen auf.

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"Jeder Schlag kann einen Schwergewichtskampf entscheiden. Da kann man nichts vorhersehen", hatte Vitali Klitschko im Vorfeld des Duells seines Bruders mit Tyson Fury prognostiziert, nur um dann doch selbst Orakel zu spielen: "Ich denke, es wird mehrere Runden dauern, bis Wladimir weiß, wie er mit Fury umzugehen hat. Wenn alles gut läuft, dann glaube ich, dass es nach der halben Kampfdistanz zur Entscheidung kommt." Ein fataler Irrglaube, wie sich am Samstag herausstellen sollte.

Denn statt eines strahlenden Weltmeisters, der mit seiner 19. Titelverteidigung in Serie weiter an seinem Vermächtnis gearbeitet und so gleichzeitig an Joe Louis' Rekord geknabbert hatte, stand nach zwölf Runden ein singender Brite im Scheinwerferlicht der ESPRIT Arena.

Das Duell zwischen Klitschko und Fury im RE-LIVE

Nachdem Fury seine Version von Aerosmiths "I don't want to miss a thing", die er seiner Frau widmete, zu Ende gebracht hatte, stand er überglücklich Rede und Antwort. "Für mich geht heute ein Traum in Erfüllung", sagte der Außenseiter aus Manchester, auf den vor dem Kampf wohl selbst die wenigsten Landsleute einen Penny gesetzt haben dürften, mit Tränen in den Augen: "Sechs Monate habe ich mich auf diesen Moment vorbereitet."

Ein Schatten seiner selbst

Nur wenige Meter hinter Fury beobachtete Klitschko das Schauspiel, welches sich vor seinen Augen abspielte. Noch immer blutend trat der entthronte König des Schwergewichts, der die Gewichtsklasse seit knapp einer Dekade nahezu nach Belieben dominiert hatte, im Anschluss an das Mikrofon. Ein Mittel, wie er mit Fury umzugehen hatte, hatte er zuvor allerdings nicht gefunden. Dabei hatte Dr. Steelhammer selbst eine "Therapiestunde" für seinen großmäuligen Widersacher angekündigt und fest mit einem Knockout gerechnet.

Reaktionen zu Klitschko vs. Fury: "Zwei Deppen, die Angst hatten"

"Ich muss zugeben, dass Fury heute schneller und besser war", sagte ein sichtlich gezeichneter Klitschko mit gedämpfter Stimme: "Die Schnelligkeit hat mir gefehlt. Er war dagegen unglaublich flink, ich habe keine Schläge getroffen und konnte den richtigen Schlüssel nicht finden." Vor allem die Reichweite seines Gegners "sei ein entscheidender Faktor" gewesen, fügte der 39-Jährige ergänzend hinzu: "Ich hatte die ersten sechs Runden eigentlich gar kein so schlechtes Gefühl, aber ich war überrascht, dass er nicht nachlassen musste."

Klitschko, der zu keiner Zeit in den Kampf gefunden hatte, wirkte Minuten nach dem letzten Gong noch immer ratlos und lag auch bei der Einschätzung der Anfangsphase vollkommen daneben. In zwölf Runden konnte er kaum Treffer setzen und wirkte unsicher. Weder von seiner Führhand, die zweifelsohne zu den Besten im gesamten Boxsport zählt, noch von seiner krachenden Rechten oder seinem brandgefährlichen linken Haken war etwas zu sehen. Wirkliche Hände konnte er erst kurz vor Ende ins Ziel bringen, aber selbst diese blieben bei Fury, der seinen Worten Taten folgen ließ, ohne Wirkung.

Stattdessen musste Klitschko sich phasenweise von einem Gegner verhöhnen lassen, der beide Hände hinter dem Rücken verschränkte und dennoch nie mit Konsequenzen rechnen musste. Er wirkte wie ein Schatten besserer Tage. Denn trotz des unorthodoxen Stils und der teils wilden Aktionen seines Kontrahenten hätte er Antworten finden müssen. Das Gezeigte war für einen Mann mit 67 Profikämpfen und der zweitlängsten Regentschaft in der Geschichte zu wenig. Fury investierte mehr und wurde dafür völlig zu Recht belohnt.

Keine offenen Fragen

Der Herausforder lieferte dabei einen soliden Kampf ab, mehr aber auch nicht. Dennoch ließ das Urteil keinen Raum für Zweifel oder Verschwörungstheorien. Klitschko schlug nur 231 Mal und verbuchte davon 52 Treffer. Fury brachte 86 seiner 371 Versuche ins Ziel, hatte zudem aber bei den harten Schlägen mit 48:18 klar die Nase vorn.

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"Es ist nie einfach in einem fremden Land zu kämpfen. In diesem allerdings auch noch durch eine Punktentscheidung zu siegen, ist beinahe unmöglich", resümierte Fury sichtlich zufrieden: "Deshalb bedeutet es mir noch mehr, hier nach Punkten gewonnen zu haben. Wladimir ist ein großer Champion."

Der Sieg nach Punkten ist ein Aspekt, der die Deutlichkeit des eigentlich so ungleichen Duells besonders hervorhebt - vor allem in einer Zeit, in der fragwürdige Urteile zu Gunsten der Titelträger und Lokalmatadoren Konjunktur zu haben scheinen.

Klitschko konnten in Düsseldorf jedoch nicht einmal die Scorecards von Cesar Ramos, Ramon Cerdan und Raul Caiz Sr. helfen. Trotz des ebenso unerwarteten wie selbstverschuldeten Desasters zeigte sich der Mann aus Kiew als fairer Sportsmann und haderte deshalb in keiner Sekunde mit dem Ausgang des Kampfes.

Doch nicht nur der Ex-Weltmeister präsentierte sich in erschreckender Form, auch seine Ecke rund um Trainer Johnathon Banks lieferte ein Bild des Elends ab. Lösungsvorschläge? Fehlanzeige. Zwar versuchte Banks seinen Schützling aufzuwecken, er kam jedoch zu keiner Sekunden durch. So verkam ein durchschnittlicher Gegner zur unlösbaren Aufgabe und eine der größten Titelregentschaften in der Geschichte des Boxens fand ihr abruptes Ende.

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Anspruch und Wirklichkeit

"Er hat das große Pech, in einer Ära zu boxen, in der ernsthafte Gegner einfach nicht vorhanden sind", hatte Lennox Lewis im Interview mit der Welt vor dem Kampf noch analysiert: "Es fehlen die großen Namen, die ganz großen Kämpfe." Auch Fury war kein solcher, sondern eigentlich nur eine Pflichtaufgabe auf dem Weg zum großen Ziel Deontay Wilder - und der damit einhergehenden Chance auf die Vereinigung aller bedeutender Titel im Schwergewicht.

Verglichen mit den Schlachten der Vergangenheit, mit Legenden wie Muhammad Ali, Joe Frazier, George Foreman, Mike Tyson, Evander Holyfield oder Rocky Marciano dürfte Klitschko vor allem eines hart treffen: die Art und Weise, wie er sich geschlagen geben musste. Im Vergleich mit seinem zwölf Jahre jüngeren Kontrahenten machte sich etwas bemerkbar, das der 39-Jährige bislang erfolgreich verdrängen konnte - und das ihn nun einzuholen scheint. Klitschko wirkte alt.

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Dass die biologische Uhr auch vor einem der besten Boxer nicht Halt machen würde, war zwar klar, dennoch kam der Einbruch Klitschkos, der körperlich perfekt austrainiert den Ring betrat, überraschend. "Ich komme und ich komme schnell", hatte Fury im Vorfeld auf den Altersvorteil angespielt: "Ich hoffe, dass du gut vorbereitet und bereit bist. Alter Boxer, junger Boxer - alter Champion, neuer Champion." Er sollte Recht behalten.

Wie genau es für Klitschko nun weitergehen wird, wurde nicht komplett deutlich. Die Chance zur Revanche hat der Mann aus Kiew auf jeden Fall. "Es gibt eine Rückkampfklausel im Vertrag. Wir gehen davon aus, dass diese umgesetzt wird", betonte Manager Bernd Bönte direkt nach dem Kampf. Auch Klitschkos Vertrag mit dem TV-Sender RTL gilt noch für vier weitere Kämpfe. Die Fähigkeit, wieder zurückkommen zu können, hatte er nach der Niederlage gegen Lamon Brewster bereits bewiesen - damals war er allerdings erst 28.

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