Search and Destroy

Sergey Kovalev blieb in seinen 25 Kämpfen ohne Niederlage
© getty

In der Nacht von Samstag auf Sonntag trifft der amtierende WBO-Halbschwergewichts-Weltmeister Sergey Kovalev im Revel Casino Hotel in Atlantic City auf Blake Caparello. Vor dem Kampf wirft SPOX einen Blick auf den russischen Titelträger, über dessen Karriere ein dunkler Schatten liegt.

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Eine Kombination nach der anderen prasselt auf Roman Simakov ein. Runde um Runde wird die Lage im Kampf gegen einen übermächtigen Gegner, dessen Fäuste aus Stein zu sein scheinen, auswegloser. Zwar versucht er alles, um den Schlägen auszuweichen oder sie zumindest zu blocken, doch bleiben sämtliche Versuche ohne Wirkung. Ein harter Treffer folgt auf den anderen.

Aufgeben würde der 27-Jährige dennoch nie. Selbst nach einem harten Niederschlag in Runde sechs kämpft er sich zurück auf die Beine. Seinem Schicksal entrinnen kann er damit allerdings nicht. Lediglich eine Runde später kommt der Ringrichter seiner Ecke zuvor, die das Handtuch werfen will, und beendet das ungleiche Duell.

Während sich der siegreiche Sergey Kovalev abwendet, um den Triumph mit seiner Ecke zu feiern, wankt Simakov. Trotz der Hilfe des Ringrichters und seiner Betreuer kann er sich schließlich nicht mehr auf den Beinen halten. Langsam sinkt der Unterlegene zu Boden und verliert das Bewusstsein.

In die Dunkelheit

Zu diesem Zeitpunkt ahnten wohl die wenigsten vor Ort, welches Drama sich soeben vor ihren Augen abgespielt hatte. Denn weder der schnelle Transport in die nahe gelegene Klinik in Jekaterinburg noch die sofortige Notoperation, bei der die Schädeldecke geöffnet und eine Blutung entfernt wurde, konnten verhindern, dass Simakov ins Koma fiel.

Sieg und Niederlage verblassten binnen Stunden. Der streng gläubige Kovalev verbrachte die nächsten Tage in der Kirche, stets begleitet von seiner Frau Natalia. Zusammen beteten sie für das Leben des Kontrahenten, der nur wenige Stunden zuvor nichts weiter als ein Hindernis auf dem Weg zur Erfüllung der eigenen Träume war und dessen Zustand sich zusehends verschlechterte.

In der Hoffnung auf eine positive Wendung besorgte er zusammen mit seinem Manager Flugtickets für die Eltern seines Landsmannes, damit diese zu ihrem Sohn gelangen konnten. Ohne finanzielle Hilfe hätten sich die Simakovs selbige nicht leisten können. Für beide Boxer und ihre Familien war der Sport mehr als nur eine Leidenschaft, er war der Weg in ein besseres Leben.

Das Risiko, welches im Ring allgegenwärtig ist und das den Anhängern des Sports nun erneut vor Augen geführt wurde, hatte in ihren Gedanken keinen Platz.

Die bittere Gewissheit

Letztlich sollten jedoch alle Gebete und die Bemühungen der Ärzte vergebens sein. Drei Tage nach dem Kampf erlag Simakov als erster russischer Boxer seinen schweren Verletzungen. Gleichzeitig begann auch für Kovalev die wohl schwerste Zeit seines Lebens.

In einem offenen Brief schilderte der 31-Jährige nach den tragischen Geschehnissen seine Gedanken. So habe er im ersten Moment nicht sofort wahrgenommen, in welch dramatischen Zustand sich sein Gegner befand. Erst als er in die Kabine kam und Simakov nicht anwesend war, habe er angefangen, die Lage zu verstehen.

"Mein Manager und ich haben dann versucht, mit Romans Eltern zu reden, allerdings wollten sie nichts von uns hören. Ich verstehe ihren Ärger nach dem Tod ihres geliebten Sohnes. Es war eine schreckliche Tragödie. Mein Manager organisierte noch Flugtickets für sie von Kemerowo nach Jekaterinburg, aber es war zu spät. Sie kamen zu spät, ihre Maschine landete nur 30 Minuten nach Romans Tod."

Vor allem die letzten Worte bleiben in Erinnerung: "Vergib mir, Roman... Ruhe in Frieden, Krieger." Schuld am Tod seines Landsmannes trägt Kovalev keine, die Last hingegen wird er wohl ewig spüren.

Die Rückkehr in den Ring

Trotz der Ereignisse und der einhergehenden mentalen Zerreißprobe entschied sich Kovalev, seinen Weg weiterzugehen. Schließlich hatte er, der mit elf Jahren zum Boxen fand und bereits im Amateurbereich zur absoluten Weltspitze gehörte, für seine Chance vieles geopfert und alles auf diesen Weg ausgerichtet. Eine wirkliche Alternative gab es nie.

Nur ein halbes Jahr nach dem Tod Simakovs kehrte Kovalev deshalb in den Ring zurück. Was folgte, war zum einen die Bestätigung seiner boxerischen Fähigkeiten, zum anderen allerdings auch der Beweis, dass er die tragischen Tage in Jekaterinburg zwar nie vergessen wird, sie aber verarbeiten konnte.

Für seinen ersten Gegner Darnell Boone aus den Vereinigten Staaten war bereits nach zwei Runden Schluss und auch die nachfolgenden sechs Kämpfe endeten allesamt vorzeitig. Kovalevs Spitzname "Krusher" ist keinesfalls zufälliger Natur, sondern vielmehr eine Garantie. Der 31-Jährige, der in 25 Kämpfen ohne Niederlage blieb und dabei 22 Knockouts verbuchen konnte, trumpft vor allem mit seiner Schlagkraft auf.

Ansonsten boxt er relativ konservativ, verfügt über eine exzellente Ringintelligenz sowie eine ebenso gute Beinarbeit. Durch seinen guten Jab kann er zudem vor allem seine harte rechte Gerade entsprechend zur Geltung bringen. Steigt Kovalev in den Ring, gilt das Motto "Search and Destroy".

Seine beeindruckenden Erfolge gegen Gabriel Campillo, welcher in Runde drei die Segel streichen musste, und Nathan Cleverly, der nur eine Runde länger durchhielt, sorgten für Aufsehen. Letzterem nahm er den WBO-Halbschwergewichts-Gürtel ab. Für die Jagd nach Titeln bedeuteten diese Demonstrationen paradoxerweise nicht nur Vorteile.

Schritt für Schritt

Deutlich wird dies anhand des bevorstehenden Kampfes gegen Blake Caparello. Der Australier ist zwar in 20 Kämpfen ohne Niederlage, hat jedoch noch kein Kaliber der Marke Kovalev geboxt und wirkt mehr wie ein Zwischenschritt als eine ernsthafte Bedrohung. Zwar gibt sich Kovalev vor seiner dritten Titelverteidigung zufrieden: "Ich bin einfach glücklich, wieder in den Ring zurückzukehren", so der amtierende Champion: "Ich freue mich vor allem gegen einen ungeschlagenen Gegner zu kämpfen. Ich weiß, dass er antreten wird, um zu gewinnen." Und legt mit einem Grinsen nach: "Jeder hat einen Plan... bis zum ersten Schlag."

Dennoch schwingt in seinen Aussagen auch stets eine gewisse Enttäuschung mit, hätte er doch einen Vereinigungskampf gegen Adonis Stevenson, den amtierenden Weltmeister der WBC, bevorzugt. Allerdings wich dieser dem Duell aus und wählte stattdessen einen lukrativen Deal mit "Showtime".

Generell scheint es nicht einfach zu sein, einen Gegner für den dominanten Linksausleger zu finden. Dies betont auch Trainer John David Jackson, der dennoch auf einen guten Kampf gegen Caparello hofft: "Es ist sehr schwer, einen Gegner zu finden, der mit Sergey in den Ring steigt. Hoffentlich kann der Australier einen guten Kampf liefern. Wir wollen dem Publikum eine Show bieten. Wir wissen, dass er ein schwerer Gegner ist, jedoch ist Sergey bereit."

Zwar bietet speziell der Boxsport die ideale Bühne für Überraschungen, doch dürfte der Außenseiter aus Down Under - trotz seiner guten Bewegung und seines vorzeigbaren Jabs - keine realistischen Chancen haben. Kovalev ist in der Lage, mit seinem exzellenten Auge und seiner schnellen Auffassungsgabe jeden Gegner zu entschlüsseln und selbst kleinste Lücken sofort zu bestrafen. Lücken, die sich bei Caparello zweifelsohne bieten werden, da er sich anders als Cedric Agnew, der sieben Runden durchhielt, nicht hinter seiner Deckung verschanzen wird. Alles andere als ein Knockout wäre bereits eine Sensation. Doch wie geht es danach weiter?

Erst Alien dann Superman?

Sollte Kovalev seiner Favoritenrolle gerecht werden, wird er wohl noch im November diesen Jahres auf Box-Oldie Bernard "Alien" Hopkins, immerhin stolze 49 Jahre alt und aktueller Weltmeister der IBF und WBA, treffen. Dieser hatte zuvor geäußert, Kovalev auf dem Radar zu haben und beide Seiten sollen auch bereits einen Vereinigungskampf ausgehandelt haben.

Da zudem die IBF-Pflichtverteidigung von Hopkins gegen Nadjib Mohammedi automatisch verschoben würde, wäre der Weg für den Kampf gegen Hopkins frei, wenn Kovalev die Generalprobe gegen Caparello für sich entscheiden kann. Ganz nach dem Geschmack des Russen: "Alles, was ich will, ist gegen die Besten zu kämpfen", so Kovalev: "Ich würde sofort mit Bernard Hopkins in den Ring steigen - zu jeder Zeit, an jedem Ort."

Im Anschluss würde es außerdem auch für "Superman" Stevenson deutlich schwerer, einem Duell auszuweichen. Jeder Titel lässt einen Kampf für beide Seiten lukrativer und für die Zuschauer interessanter werden. Auch hier dürfte es somit nur eine Frage der Zeit sein, wann es endlich zum Duell mit dem Kanadier kommt. Zumindest dann, wenn Kovalev seinen Pfad der Zerstörung weiter geht.

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