AC Milan im freien Fall: Olivier Giroud und das Belgien-Problem

Von Niklas Staiger
Charles De Ketelaere ist seit seinem Wechsel komplett unsichtbar.
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Der AC Mailand hat beide Stadtderbys verloren, ist aus dem italienischen Pokal geflogen und derzeit sieben Pflichtspiele in Folge sieglos. Mit nur fünf von möglichen 18 Serie-A-Punkten fiel Milan auf den sechsten Platz zurück. Was läuft derzeit schief bei den Rossoneri?

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In der vergangenen Saison konnte Milan zum ersten Mal seit 2011 wieder die Serie A gewinnen und Erfolgstrainer Stefano Pioli schien im Sommer bombenfest in seinem Sattel zu sitzen. Doch nach nur 21 Spieltagen sieht die Situation ganz anders aus.

Das Jahr 2023 begann für die Rossoneri mit einem knappen 2:1-Sieg gegen das abstiegsbedrohte Salernitana. Ein Pflichtsieg so gesehen, der noch höher hätte ausfallen müssen. Doch seitdem ging es steil bergab. In der Liga folgten fünf sieglose Auftritte. Ein glückliches Unentschieden gegen AS Rom, eine verdiente Punkteteilung gegen US Lecce. Dann kamen zwei schallende Ohrfeigen gegen Lazio Rom (0:4) und US Sassuolo Calcio (2:5). Am vergangenen Sonntag folgte dann das enttäuschend schwache 0:1 gegen Stadtrivale Inter.

Als wären die Pleiten in der Liga nicht schon schlimm genug, setzte es auch in den Pokalwettbewerben heftige Dämpfer. Zunächst ließ sich Milan vom FC Turin aus der Coppa Italia werfen. Dann verlor man die Supercoppa mit 0:3 gegen Inter. Die erste der zwei Niederlagen gegen den Erzrivalen innerhalb von nur drei Wochen.

Derzeit liegt die AC auf dem sechsten Tabellenplatz - das bedeutet Conference-League-Qualifikation. Ohne den Punktabzug für Juventus Turin nicht einmal das. SPOX blickt auf die Entwicklung seit der Meisterschaft der AC Mailand und erklärt, warum es für die Rossoneri momentan gar nicht läuft.

Mike Maignan war der Erfolgsgarant der Meistersaison des AC Mailand.
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Milan spielte nie so gut, wie sie punkteten

Zunächst einmal muss die Grundlage gelegt werden. Denn der AC Mailand war nie so gut, wie es die Meisterschaft in der Serie A aussehen ließ. Vor allem im Spiel mit dem Ball hatten die Rossoneri ihre Probleme. Olivier Giroud ist sehr stark als spielender Stürmer und in der Chancenkreation, jedoch sind seine Schwächen im Abschluss kein Geheimnis.

Gleichzeitig funktionierte aber auch die eigene Chancenkreation in der Vorsaison nicht auf dem Top-Level. Sowohl bei den geschossenen Toren (69) als auch den expected Goals (68,2 laut OPTA) lag Milan in der Vorsaison auf dem vierten Tabellenplatz.

Die Defensive gewann ihnen die Saison: Mit nur 31 Gegentoren stellten sie den geteilt-besten Wert der Saison 2021/22. Ein Blick auf die expected Goals allowed (40,4 laut OPTA) zeigt jedoch: Auch hier war nicht alles Gold, was glänzt. Diese Saison liegt Milan mit 24,3 xGA auf Platz acht im Defensiv-Ranking - und kassierte mit 30 Treffern sogar nochmal deutlich mehr. Wieso?

Der Meistermacher Mike Maignan

Die einfache Antwort auf diese Frage wäre: Weil Mike Maignan ein überragender Torwart ist. Und dieser verletzt ausfällt. Maignan parierte 2020/21 bei LOSC Lille in der Ligue 1 fast acht Tore mehr als erwartet und hatte damit einen riesigen Anteil am französischen Meistertitel - und an diese Form knüpfte er 2021/22 an. 4,2 mehr verhinderte Tore als erwartet waren in Milans Meistersaison der Bestwert der Serie A.

Doch zum einen konnte Maignan persönlich seine Form nicht halten. Und zum anderen fällt der Franzose seit dem 19. Oktober 2022 mit einem Wadenmuskelriss aus. Sein Vertreter Ciprian Tatarusanu kann diese Fußstapfen nicht im Ansatz ausfüllen. Bei den Rossoneri verhinderten die Torhüter in der laufenden Saison 4,9 Tore weniger als erwartet - zweitschlechtester Wert der Serie A.

Zum aktuellen Zeitpunkt der Saison hatte Maignan in der Vorsaison etwa 2,3 Tore mehr verhindert als statistisch erwartet - alleine 7,2 der mehr kassierten Tore lassen sich also auf die Torwart-Situation der Rossoneri zurückführen. Nach 21 Spieltagen stand die AC Milan mit 23 Gegentoren jedoch auf dem zweiten Tabellenplatz. Derzeit stehen sie mit 30 Gegentoren - also exakt sieben Toren mehr - auf dem sechsten.

Charles De Ketelaere ist seit seinem Wechsel komplett unsichtbar.
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Auch die Offensive der AC Mailand krankt

Neben der Torwartleistung gibt es jedoch auch Probleme in der ohnehin schon schwächelnden Offensive. Besonders Giroud scheinen die Nachwirkungen der Weltmeisterschaft hart zu treffen. Während er mit fünf Treffern an den ersten 13 Spieltagen für seine persönlichen Trefferquoten gut im Soll lag, erzielte er in acht Pflichtspielen 2023 nur einen einzigen Treffer.

Frankreich-Teamkollege Theo Hernández scheint ähnliche Probleme zu haben. Während er defensiv einige Lücken lässt, fehlte vor allem sein Offensivspiel der AC Milan enorm. Er kombiniert schwächer mit Linksaußen Rafael Leao, als es noch zuvor der Fall war. Die Final-Niederlage scheint Frankreich schwerer getroffen zu haben, als erwartet.

Und auch die Kreativität krankt mal wieder - nicht nur die von Giroud. 3,9 herausgearbeitete expected Goals waren in den fünf sieglosen Serie-A-Spielen einfach nicht genug für ein Spitzenteam. Die daraus erzielten sechs Treffer sind dagegen fast überragend.

Das Belgien-Problem: De Ketelaere, Origi, Vranckx

Man könnte meinen, die Rossoneri hätten im vergangenen Sommer ihre Schwachstellen erkannt und über Transfers aufgearbeitet. Dabei scheiterte es jedoch nicht am Erkennen der schwächelnden Offensive - es wurde massiv investiert. Doch die Sommertransfers enttäuschen bislang auf ganzer Linie. Allen voran drei Belgier: Charles De Ketelaere, Divock Origi und Aster Vranckx.

De Ketelaere kam für kolportierte 32 Millionen Euro von Club Brügge. Im ganzen Transferfenster gab die AC Mailand nur rund 49 Millionen Euro aus. Der belgische Kreativspieler sollte also genau diese Probleme beheben, die man ausgemacht hatte. Chancenkreation, Flair, Torgefahr. Doch bisher klickte der 21-Jährige in Italien noch gar nicht. Zu Saisonbeginn war er noch Stammspieler, bereitete am dritten Spieltag das 1:0 gegen den FC Bologna vor. Doch sonst kam von ihm nichts. In 2023 spielte er gerade mal 108 Minuten in der Liga.

Auch Origi ist bei den Rossoneri bisher gar kein Faktor. Zwar steuerte er zwei Tore und einen Assist bei, doch die gewünschte Entlastung für den 36-jährigen Dauerspieler Giroud brachte auch dieser Belgier absolut nicht. Der Mittelstürmer kam zwar ablösefrei, dürfte jedoch einige Millionen im Gehaltsetat in Beschlag nehmen.

Der dritte Belgien-Neuzugang, Aster Vranckx, Leihspieler vom VfL Wolfsburg, konnte sich ebenfalls noch nicht durchsetzen. Gerade einmal sieben Ligaspiele mit 70 Minuten Einsatzzeit stehen diese Saison auf seiner Liste. Der Spielgestalter sollte aus dem zentralen Mittelfeld das Spiel nach vorne ankurbeln. Da auch Stammkraft Sandro Tonali hier in seinen Leistungen zur Vorsaison etwas abgesackt ist, wären neue Impulse hier ebenfalls wichtig gewesen.

Milan-Trainer Stefano Pioli (links) berät sich mit Frederic Massara (rechts) und Paolo Maldini.
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Milans Transferstrategie ging nicht auf

Man sieht also: Die Analyse der AC Milan, an welchen Stellen sie sich verstärken müssen, hat perfekt funktioniert. Hohe Priorität hatte ein kreativer Offensivspieler. Auch die anderen Lücken wurden mit Origi (Sturm), Vranckx (Zentrales Mittelfeld), Malick Thiaw (Innenverteidigung) sowie Sergino Dest (Außenverteidiger) adressiert. Doch eben nicht sofortverstärkt. Weil sie alle bisher kaum funktionieren. Das macht sich in einer eng-getakteten Saison mit einer kräftezehrenden Weltmeisterschaft besonders im Januar bemerkbar.

Dass keiner der Transfers eingeschlagen ist, könnte auch an der Veränderung in der Transferstrategie liegen. Der Königstransfer war der damals 26-jährige Maignan. Erfahren bei einem Top-Klub wie PSG und zuletzt Leistungsträger in einer Top-5-Liga. Dazu wurden mit Fikayo Tomori und Sandro Tonali zwei geliehene junge Spieler fest verpflichtet, die ihre Eingewöhnung bereits abgeschlossen haben.

Anders jedoch im Sommer 2022. Bis auf Origi waren alle größeren Neuzugänge junge Talente, die sich bisher nicht konstant in Top-Ligen unter Beweis gestellt haben: De Ketelaere (belgische erste Liga), Thiaw (deutsche zweite Liga), Dest (Probleme beim FC Barcelona), Aster Vranckx (Probleme beim VfL Wolfsburg). Der Plan ist also klar: Die Transfers sollten die Weichen auf Zukunft stellen, anstatt Sofortlösungen zu bieten.

Ist Milan-Trainer Stefano Pioli in Gefahr?

Liegt das Problem also beim Trainer Stefano Pioli, der die Spieler nicht richtig integriert hat? Möglicherweise. Doch in der Regel sollte besonders jungen Spielern, die teils zum ersten Mal das Land wechseln, zu einem Top-Klub gehen und ganz andere Bedingungen vorfinden, eine gewisse Eingewöhnungszeit zugestanden werden. Das kann viele Gründe haben.

Viel wahrscheinlicher ist es, dass Frederic Massara (Sportdirektor) und Paolo Maldini (Technischer Direktor) sich für die Probleme der Rossoneri verantworten müssen. Doch beide wurden mit dem langfristigen Wiederaufbau der AC Milan beauftragt und können bereits nach wenigen Jahren einen Scudetto vorweisen.

Dabei stand auch im Vorjahr trotz etwas anderer Transfers eigentlich die langfristige Zukunft im Vordergrund. Die Meisterschaft war dabei gar nicht eingeplant - zumindest nicht so früh. Ein Wechsel bei den Verantwortlichen scheint also nicht unbedingt sinnvoll zu sein. Doch wenn die Ergebnisse ausbleiben, geht im Fußball vieles entgegen der Logik. Seines Postens sicher sollten sich wohl weder Pioli noch Massara oder Maldini sein.

Serie A: Die aktuelle Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Napoli2151:153656
2.Internazionale2141:261543
3.Roma2128:181040
4.Lazio2137:172039
5.Atalanta2139:241538
6.Milan2137:30738
7.Torino2122:22030
8.Udinese2128:23529
9.Bologna2128:31-329
10.Juventus2133:171626
11.Monza2127:30-326
12.Empoli2119:26-726
13.Fiorentina2123:28-524
14.Lecce2121:24-323
15.Sassuolo2124:31-723
16.Salernitana2125:41-1621
17.Spezia2117:35-1818
18.Hellas Verona2119:33-1414
19.Sampdoria2110:36-2610
20.Cremonese2115:37-228
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