"Habe gelernt, hinterlistig zu sein": Wie Bremer bei Juventus Turin "der beste Verteidiger der Serie A" wurde

Von James Westwood / Patrik Eisenacher
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Verteidiger Bremer hat sich bei Juventus Turin großartig entwickelt. Nun sollen Manchester United anklopfen.

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Die Ära von Investor Sir Jim Ratcliffe bei Manchester United kommt langsam so richtig in Schwung. Der INEOS-Vorsitzende ist derzeit dabei, die Transferpolitik des Vereins zu überarbeiten, um den Rückstand auf Manchester City und Liverpool an der Spitze der Premier League aufzuholen.

Der neue Minderheitseigentümer hat geschworen, "sie vom Thron zu stoßen", hat aber auch davor gewarnt, dass "verschwenderische Ausgaben nicht die Lösung sind", nachdem in den letzten zehn Jahren vielversprechende Neuzugänge versagten.

United versucht nun, die Probleme in der Mannschaft zu beheben, und will für die Zukunft nur Spieler verpflichten, die zum eigenen Ethos passen. Die Wiederbelebung der in die Jahre gekommenen Innenverteidigung wird die erste Aufgabe sein, wenn das Sommertransferfenster öffnet. Gleison Bremer von Juventus Turin soll dabei ganz oben auf der Wunschliste stehen.

Wie das italienische Portal Calciomercato berichtet, haben die Red Devils bereits Kontakt zu den Vertretern des Brasilianers aufgenommen. Juventus sei demnach offen für Verhandlungen, obwohl der Brasilianer im Dezember 2023 einen neuen Vertrag unterschrieben hatte. Laut inews enthält dieser eine Ausstiegsklausel in Höhe von 50 Millionen Euro, was für einen Spieler von Bremers Qualität ein annehmbarer Preis wäre.

United-Fans, die seinen Aufstieg in der Serie A nicht so genau verfolgt haben, werden Bremer vielleicht noch nicht im Detail kennen. SPOX stellt den Brasilianer daher vor.

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Bremer soll Thema bei Manchester United sein: Benannt nach Andreas Brehme

Bremer wuchs in Itapitanga, einer Gemeinde in der brasilianischen Region Bahia, auf. In seiner Jugend wurde er nie professionell trainiert.

Sein Vater erklärte ihm die Grundlagen des Arbeitslebens auf dem elterlichen Bauernhof und zeigte ihm ebenso die Grundlagen des Fußballs, da er selbst auf Amateurebene gespielt hatte. Er benannte seinen Sohn Bremer nach Andreas Brehme, Deutschlands WM-Final-Siegtorschütze von 1990, der am 20. Februar 2024 verstarb.

Erst im Alter von 14 Jahren begann Bremer, sich ernsthaft mit einer Fußballkarriere zu beschäftigen. "In Bahia gab es nur zwei große Vereine in meiner Stadt - und ich wohnte nicht in der Nähe der Stadt", sagte er in einem Interview mit dem britischen Telegraph im Jahr 2023. "Ich musste viele Kilometer zurücklegen und hatte nicht die Möglichkeit, in einen Verein einzutreten und mit einem Verein zu trainieren. Mit 14 zog ich nach São Paulo und mit 16 spielte ich für Desportivo Brasil. Davor habe ich gespielt, wann und wo ich konnte."

Der Innenverteidiger erklärte außerdem: "Auf der Straße habe ich gelernt, nicht zu verlieren. Ich habe gelernt, aggressiv zu spielen. Ich habe auch gelernt, wie man ein bisschen hinterlistig sein kann. Man kann seinen Gegnern und manchmal auch dem Schiedsrichter davonkommen."

Bremer verkaufte Eiscreme, um seine Reisen zu den Auswärtsspielen von Desportivo zu finanzieren. Als Straßenkicker wurde er schnell zu einem wichtigen Mitglied der Mannschaft. 2016 wurde er schließlich an den brasilianischen Spitzenklub São Paulo ausgeliehen. Im selben Jahr gab er als 19-Jähriger sein Profidebüt für die Reservemannschaft und verhalf ihr zum Gewinn der Copa do Brasil (U20).

Wie die südamerikanische Zeitung Hoje em Dia berichtet, hätte São Paulo Bremer für nur 50.000 Euro ein weiteres Jahr behalten können, wartete aber zu lange mit einer Entscheidung - und so schlug Atletico Mineiro zu.

Bremer kam im März 2017 offiziell zu Atletico und wurde drei Monate später in der brasilianischen Serie A gegen Chapecoense eingewechselt. Der talentierte Verteidiger erhielt nach nur vier Spielen in der ersten Mannschaft eine Vertragsverlängerung, was ihn ins Visier einiger großer europäischer Klubs brachte.

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Bremers fast perfektes Spiel gegen Cristiano Ronaldo

Der FC Turin aus Italien gewann schließlich das Rennen um Bremers Unterschrift im Sommer 2018. Der Brasilianer kam damals für 5,80 Millionen Euro von Atletico Mineiro und erhielt einen Fünfjahresvertrag.

Doch er kam nicht direkt zum Zug. Bremer kam in seiner ersten Saison für den kleineren Verein aus Turin nur zu sieben Einsätzen und sprach offen über seine Anpassungsschwierigkeiten, nachdem er die vertraute Umgebung in Belo Horizonte gegen eine völlig neue Kultur in Turin eingetauscht hatte.

"Man will ankommen und spielen. Aber ich habe die Taktik des italienischen Fußballs nicht sehr gut verstanden, die ganz anders ist als in Brasilien", sagte er in einem Interview mit TNT Sports Brasilien. "Er ist sehr taktisch, es geht viel um den Raum und ist viel schneller."

Der Wendepunkt kam, als Cheftrainer Walter Mazzarri Bremer in Turins Derby della Mole gegen Juventus zu seinem ersten Einsatz verhalf. Die beiden Mannschaften trennten sich im Allianz-Stadion 1:1, wobei ein gewisser Cristiano Ronaldo mit einem späten Tor einen Punkt für Juve rettete. Bremer hatte einen denkwürdigen Abend im Herzen der Abwehr.

"Die Verteidigung hat gut gehalten und Bremer war außergewöhnlich", sagte Mazzarri nach dem Spiel. "Er hat acht Monate lang im Training an seiner Technik gearbeitet. Das ist sein Debüt und wenn das Tor nicht gewesen wäre, wäre seine Leistung perfekt gewesen."

Kurz darauf gab Teamkollege Emiliano Moretti seinen Rücktritt bekannt, wodurch Bremer einen Stammplatz in der Abwehr bekam und zu einem unverzichtbaren Spieler für Torino wurde. Die Saison 2019/20 war eine turbulente für den Verein, als er in die Abstiegszone geriet und Mazzarri nach der Hälfte der Spielzeit seinen Job verlor. Bremers Leistungen waren einer der Hauptgründe dafür, dass der Abstieg vermieden werden konnte.

Im darauffolgenden Jahr war es ähnlich: Torino beendete die Saison als Tabellen-17. und Marco Giampaolo erlitt das gleiche Schicksal wie Mazzarri. Sein Nachfolger Ivan Juric leitete jedoch die Wende ein und half Bremer, das nächste Level zu erreichen.

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Bremer ersetzte Matthijs de Ligt bei Juventus Turin

Torino kletterte in der Saison 2021/22 auf den 10. Platz der Serie A und Bremer wurde zum besten Verteidiger der Liga gewählt. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Turiner bereits, dass ihr Star zu Größerem bestimmt war, und verlängerten seinen Vertrag vorsorglich bis 2024.

Doch dann kam der große Stadtrivale: Juventus bot 46,90 Millionen Euro für den Brasilianer - und der FC Turin stimmte dem Wechsel zu. Bremer war der Ersatz für Matthijs de Ligt, der für 67 Millionen Euro zum FC Bayern abwanderte.

Allegri setzte Bremer gleich im ersten Spiel der neuen Saison gegen Sassuolo als Partner von Leonardo Bonucci in der Innenverteidigung ein und er machte beim 3:0-Sieg kaum einen Fehler.

"Ich bin ehrlich gesagt erstaunt, wie gut sich Bremer eingelebt hat", sagte Allegri nach dem Schlusspfiff. Die Zusammenarbeit mit Bonucci entwickelte sich prächtig und Bremer wurde schließlich in die brasilianische Nationalmannschaft berufen, wo er unter dem damaligen Trainer Tite in einem Freundschaftsspiel gegen Ghana sein erstes Länderspiel absolvierte.

Bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar sammelte Bremer dann wertvolle Erfahrungen und kam in zwei Spielen zum Einsatz, als die Seleção schon im Viertelfinale ausschied. Stammspieler war der Juve-Star dabei nicht.

Die zweite Hälfte der Saison verlief jedoch nicht ganz so positiv. Im Januar 2023 wurden Juventus Turin wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten und falscher Buchführung zehn Punkte abgezogen. So reichte es nur zu einem siebten Platz in der Serie A - Juve spielt 2023/24 deshalb nicht im Europapokal.

Dennoch hätte Bremers erstes Jahr bei der Alten Dame aus persönlicher Sicht nicht besser laufen können. Er steuerte fünf Tore bei, darunter eines beim 4:2-Heimsieg gegen seinen ehemaligen Verein Torino. "Ich denke, dass er der beste Verteidiger ist, den ich je trainiert habe, und ich habe schon mit einigen guten Verteidigern wie Cristian Romero gearbeitet", sagte Torino-Coach Juric auf der Pressekonferenz nach dem Spiel. "Bremer ist spektakulär. Er will sich immer verbessern und hat sehr viel an seiner Technik gearbeitet. Er ist defensiv herausragend und kann sich immer noch verbessern."

Bremer ist seitdem zum Schlüsselspieler für Juve geworden, weshalb sein Vertrag kürzlich bis 2028 verlängert wurde. Die Bianconeri sind unter Allegri wie gewohnt eine defensiv sehr starke Mannschaft.

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Bremer zu United? Seine Vorbilder spielten einst in der Premier League

Bremer verfügt über alle Eigenschaften eines Top-Verteidigers: Kraft, Schnelligkeit und Stärke in der Luft. Außerdem hat er eine hervorragende Spielübersicht und ist in Eins-gegen-Eins-Duellen bockstark.

Der ehemalige Interimstrainer von Turin, Moreno Longo, fasste Bremers Stil in einem Interview mit TuttoJuve im Februar treffend zusammen: "Wenn ich Trainer einer solchen Mannschaft wäre, würde ich nach einem solchen Verteidiger Ausschau halten", sagte Longo. "Er hat eine überwältigende Physis, er verteidigt ohne Angst, 40 bis 50 Meter hinter sich zu haben, und er spielt dominanten Fußball."

United könnte Bremer auch wegen seiner Qualitäten am anderen Ende des Spielfelds wollen. Denn die Mannschaft von Erik ten Hag hat in dieser Saison Probleme, Tore aus Standardsituationen zu erzielen. Bremer ist nach Ecken und Freistößen brandgefährlich, verfügt über einen guten Instinkt im Strafraum und scheint ideal für die Premier League geeignet zu sein.

"Ich habe einige Vorbilder in England, die in der Innenverteidigung spielen", sagte Bremer kürzlich im Gespräch mit dem Telegraph. "Ich habe David Luiz bei Chelsea beobachtet, einen Premier-League- und Champions-League-Sieger. Aber auch Vincent Kompany in all den Jahren, in denen er bei Manchester City gespielt hat."

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Bremer: Eher schwach mit dem Ball am Fuß

Trotz seiner großen Stärken hat Bremer bisher nur vier Länderspiele für Brasilien absolviert. Das liegt wahrscheinlich daran, dass er nicht wirklich ein Innenverteidiger ist, der auch am Ball stark ist. Die Seleção ist bekannt dafür, technisch versierte Spieler zu entwickeln, die nicht nur Ergebnisse, sondern auch schönen Fußball bieten.

In der Serie A hat diese Schwäche Bremer nicht wirklich behindert, aber in der schnelleren Premier League könnte er auf die Probe gestellt werden, wenn er nicht daran arbeitet. Der Juve-Star ist auch im Dribbling nach vorne nicht gerade überragend und könnte ein leichtes Ziel für Mannschaften mit hohem Pressing wie City, Liverpool und Arsenal sein.

Bremer versucht oft, einen langen Pass nach vorne zu spielen, anstatt die Dinge einfach zu halten - das führt manchmal zu Ballverlusten. Nach der Verletzung von Gabriel Magalhaes von Arsenal wurde Bremer im März zum ersten Mal seit 2022 wieder in die brasilianische Nationalmannschaft berufen und könnte auch bei der Copa América im Kader stehen.

Mit ein wenig Einzeltraining an seinen Ballkünsten ist Bremer in der Lage, sich auf ein noch höheres Niveau zu begeben. Es hilft auch, dass er lernwillig ist, wie er im Januar 2024 gegenüber der FIFA-Webseite erklärte: "Ich habe fünf Jahre in Italien verbracht, aber ich kann nicht sagen, dass ich alles gelernt habe, was es zu wissen gibt. Ich habe noch viel Raum für Verbesserungen."

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Bremers Wunsch: Die Premier League

Bremers Augenmerk liegt derzeit auf Juve, das in der Serie A zumindest noch auf Platz zwei kommen will - diesen Rang belegt derzeit die AC Mailand. Ein Spitzenteam sind die Bianconeri aber weiterhin nicht. Wenn nun noch Bremer gehen würde, würde sie das bloß weiter zurückwerfen.

Auch Vereinslegende Sergio Brio ist von seiner Leistung begeistert. "Ich mag Bremer sehr. Er ist ein außergewöhnlicher Spieler mit großartigem Timing und guter Positionierung auf dem Spielfeld", sagte Brio gegenüber der italienischen Tuttosport. "Der Brasilianer ist heute der beste Verteidiger in der Serie A. Da bin ich mir sicher."

Doch die Verlockung eines Wechsels ins Ausland dürfte sich als zu groß erweisen. Chelsea und Tottenham werden ebenfalls mit Bremer in Verbindung gebracht, auch Real Madrid soll an seinen Diensten interessiert sein.

Ein Wechsel ins Old Trafford würde jedoch am meisten Sinn machen, da United dringend einen Verteidiger seines Formats braucht. Laut der italienischen Gazzetta dello Sport wären die Red Devils sogar bereit, Mason Greenwood als Gegenleistung für Bremer an Juve abzugeben. Das könnte die Ablöse von 50 auf etwa 40 Millionen Euro senken.

"Ich mag LaLiga und die Premier League, aber die Premier League ist eine sehr spannende Meisterschaft und ich schaue mir viele Spiele an, die sehr unterhaltsam sind", sagte Bremer gegenüber dem Telegraph. "Eines Tages würde ich gerne in der Premier League spielen.