EM 2024: Dominik Szoboszlai in Topform! Ist Ungarn ein Überraschungskandidat bei der Euro?

Von Justin Kraft
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Ungarn hat sich unter Marco Rossi zu einem der besten Defensivteams der Welt entwickelt. Dank Dominik Szoboszlai, der sich seit Wochen in Topform befindet, könnte die Mannschaft sogar zu einer der großen Überraschungen bei der EM 2024 in Deutschland werden.

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Ungarns Aufstieg seit der Übernahme von Marco Rossi im Jahr 2018 ist beeindruckend. Neben der Qualifikation für die Europameisterschaft 2021, bei der sich Ungarn in einer Gruppe mit Portugal, Frankreich und Deutschland auf dem Rasen achtbar schlug, sorgte sein Team vor allem in der Nations League für Aufsehen.

Dort gewann man einmal gegen Deutschland (1:0) und zweimal gegen England (1:0 und 4:0). Hinzu kam ein Unentschieden gegen das DFB-Team. Das entscheidende letzte Spiel gegen Italien wurde allerdings mit 0:2 verloren, weshalb die Teilnahme am Final Four nur knapp verpasst wurde.

Dennoch haben sich die Ungarn zurück ins Rampenlicht gespielt. Kein Team spielt gern gegen sie, weil es unglaublich schwer ist, Tore zu erzielen - und sie in allen Mannschaftsteilen hervorragende Fußballer haben. Doch was genau macht die Nationalelf unter Rossi so stark?

Marco Rossi freut sich auf das Duell gegen Deutschland.
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Ungarn: Marco Rossi hat das Team enorm stabilisiert

Fünf Gegentore in sechs Partien gegen England, Italien und Deutschland in der Nations League. Nur vier Gegentore in den bisher sechs absolvierten Spielen in der EM-Qualifikation. Die Defensive der Ungarn zählt zu den besten Europas und vermutlich auch in der Welt.

Nach Deutschlands 0:1-Niederlage sagte Jonas Hofmann Sätze, die bezeichnend sind: "Wir haben nie einen freien Fuß gehabt in der Box. Die Ungarn sagen das richtig: Sie sind eine eklige Mannschaft." Rossi hat mit seinem 3-4-2-1-System eine Konstante etabliert. Jeder Spieler kennt seine Rolle, jede Bewegung ist beim Verschieben aufeinander abgestimmt. So entstehen immer wieder Situationen, in denen die ungarische Defensive in Überzahl ist.

Die Handlungsschnelligkeit, mit der die Spieler agieren, resultiert aus der eingespielten Grundordnung. Aber Rossi ist zudem in der Lage, seine Spieler im Detail perfekt auf Gegner einzustellen und kleine Anpassungen vorzunehmen, die einerseits die Analyse der gegnerischen Trainer erschweren und andererseits den eigenen Zugriff auf die Gegenspieler erleichtern.

Eine Mischung aus Vertrauen in die eigenen Stärken, eingespielten Abläufen und detailreichen Vorbereitungen auf die nächsten Gegner macht Ungarn zu jenem Team, das Hofmann und zahlreiche andere Spieler bereits als "eklig" bezeichneten.

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Ungarn: Das muss besser werden

Doch nicht nur taktisch ist das Team gut aufgestellt. Der Mix aus Erfahrung und vielversprechenden Talenten passt. In den vergangenen Jahren haben es immer mehr junge Spieler in den Kader geschafft. Beispielsweise Milos Kerkez, der seit seinem Debüt gegen Deutschland vor gut einem Jahr zehn weitere Einsätze für Ungarn verbuchte. Im Sommer sollen mit dem BVB, Bayer Leverkusen und Wolfsburg auch Bundesliga-Klubs interessiert gewesen sein. Doch der 19-Jährige wechselte zum AFC Bournemouth.

Aber gerade in einer EM-Qualifikations-Gruppe mit Serbien, Montenegro, Litauen und Bulgarien sind Spieler wichtig, die mit dem Ball umgehen können und Ideen aus statischen Situationen heraus entwickeln. Die beiden Partien gegen Mitfavorit Serbien haben gezeigt, dass sich das Team dahingehend weiterentwickelt hat. Hohes Pressing machte den Ungarn wenig aus und auch aus eigenem Ballbesitz heraus gab es gute Ansätze über Flügel und Halbräume.

Gleichwohl fühlt man sich immer noch unwohl, wenn man zu oft und zu lange den Ball hat. Gegen Litauen hatte Ungarn große Schwierigkeiten damit, den Defensivriegel zu knacken. In der Rolle der Außenseiter fühlen sie sich nach wie vor wohler.

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Ungarn: Dominik Szoboszlai ist der Schlüsselspieler

Vieles ist in Ballbesitz abhängig vom Topstar des Teams: Dominik Szoboszlai. Der Ex-Leipziger spielt im System von Rossi extrem weiträumig, bekleidet quasi von Sechser- bis Zehnerrolle alle Positionen im Mittelfeld. Auch deshalb, weil Rossi um die Schwierigkeiten im Ballvortrag weiß.

Szoboszlai ist mit nur 22 Jahren der Anführer des Teams. Mit dem Erwartungsdruck seines Heimatlandes kommt er mittlerweile hervorragend zurecht. Schon in Leipzig entwickelte sich der abschlussstarke Mittelfeldspieler in der vergangenen Saison zu einem der wichtigsten Spieler.

Es ist beeindruckend, wie vielseitig er geworden ist. Einst vor allem als Halbraumzehner mit gutem Fernschuss bekannt, ist Szoboszlai mittlerweile einer der komplettesten Mittelfeldspieler der Welt. Kein Wunder, dass Jürgen Klopp und der FC Liverpool im Sommer auf ihn aufmerksam wurden. Bei den Reds gehört er bereits zum Stamm, absolvierte bisher acht Premier-League-Partien über die volle Distanz.

Klopp setzt ihn ebenfalls in einer sehr weiträumigen Rolle auf der Achterposition ein, in der er dem Spiel mit vielen Freiheiten seinen Stempel aufdrücken kann. In den vergangenen 365 Tagen kommt er auf 5,21 Aktionen pro 90 Minuten, die zu einen Abschluss zur Folge haben. Unter allen Zehnern und Flügelspielern der Welt zählt er damit laut Datenanbieter FBref zu den besten sieben Prozent, unter den zentralen Mittelfeldspielern zum besten Prozent.

Szoboszlai ist offensiv eine Urgewalt. Seine Dribblings und schnellen Bewegungen sind für die meisten Abwehrspieler kaum zu verteidigen. Er fordert Bälle, verfügt über ein gutes Gespür für freie Räume und sorgt überall auf dem Feld für Überraschungsmomente. In der Vergangenheit gab es hin und wieder Kritik daran, dass er zu viel will. Mittlerweile weiß er aber genau, wann er wo auf dem Platz zu sein hat. Für Ungarn ist er damit unersetzlich – und selbst für einen Topklub für Liverpool ist er schon jetzt von unschätzbarem Wert.

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Ungarn: Überraschungskandidat bei der EM?

In der Nationalelf fällt es dank ihm weniger ins Gewicht, dass das Ballbesitzspiel stark limitiert ist. Wenn gegen Teams wie am Dienstag Litauen wenig funktioniert, ist Szoboszlai da. Erst vom Punkt, um den Anschlusstreffer zu erzielen und dann per Ecke zum Ausgleich. Schadensbegrenzung an einem der wenigen schlechten Tage in diesem Jahr.

Es ist eine Abhängigkeit, die kaum aufzulösen ist. Ungarn weiß um seine Stärken, aber eben auch um seine Schwächen. Rossi versucht deshalb, mit der nahezu grenzenlosen Qualität Szoboszlais aufzufangen, was sein Team weniger gut kann.

Gelingt die Qualifikation für die Europameisterschaft, wovon nach dem 2:2 in Litauen und den bisherigen Leistungen auszugehen ist, ist für Ungarn im kommenden Jahr einiges möglich. Denn mit ihrer aggressiven und disziplinierten Spielweise sind sie das Kryptonit vieler Nationalmannschaften.

Denn die Top-Nationen haben oft zu wenig Zeit, um komplexe Ballbesitzsysteme einzustudieren. Es gibt mit wenigen Ausnahmen kaum Teams in Europa, die sich eine so gut organisierte Abwehrreihe wie die der Ungarn mit Struktur, Geduld und einer klar erkennbaren Spielidee zurechtlegen können.

Schafft es Ungarn nach Deutschland und spielt die Auslosung mit, könnte das Team rund um Szoboszlai aber ein Geheimtipp für ein erfolgreiches Turnier sein. Dafür muss das Ticket zur Europameisterschaft an den kommenden beiden Spieltagen in Bulgarien und gegen Montenegro aber auch gebucht werden.

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