FC Bayern München: Tuchels Probleme mit Jamal Musiala - und der gesamten Offensive

Von Justin Kraft
musiala-1200
© getty

Unter Thomas Tuchel spielt der FC Bayern München einen sehr statischen Fußball. Die Behäbigkeit der Offensive lässt sich ausgerechnet an Top-Talent Jamal Musiala ablesen. Der 20-Jährige müsste trotz seines zarten Alters eigentlich der Star des Teams sein, doch seine Einbindung ist fragwürdig.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Die 67. Minute in Kopenhagen war ein Wendepunkt für den FC Bayern München - und zwar einer, der typischer für den Tuchel-FCB nicht sein könnte. Nachdem der sechsfache Champions-League-Sieger beim Underdog in Rückstand geriet, war es Jamal Musiala, der mit einer Einzelaktion den Ausgleich besorgte.

Zwei Gegenspieler dribbelte er aus, dann folgte der wuchtige Abschluss ins untere Eck. Eine Weltklasse-Aktion des 20-Jährigen. Und doch sinnbildlich für vieles, was derzeit nicht läuft - auch für ihn selbst. Während um ihn herum bayerische Statik herrscht, muss sich der Rechtsfuß im Alleingang in eine gute Abschlussposition bringen. Keine Optionen für einen Steckpass, kaum Ideen, wie man gemeinschaftlich hinter die gegnerische Abwehrkette kommt.

Auch wenn es erstmal nur der Ausgleich war, avancierte Musiala mit seinem Geistesblitz zum Matchwinner. Doch unter Thomas Tuchel läuft es bisher nicht optimal für ihn. Seit der Übernahme des 50-Jährigen ist Musiala pro 90 Minuten an 0,45 Treffern direkt beteiligt. Zum Vergleich: Unter Julian Nagelsmann waren es noch 1,04.

Zur Wahrheit gehört auch, dass Musiala damals einen Traumstart in die Saison erwischte und bereits nach der Weltmeisterschaft abbaute. Doch seit der Nagelsmann-Entlassung kam der Nationalspieler insgesamt nur noch auf zwei Tore und vier Vorlagen. Das normale Formloch eines jungen Spielers - oder doch mehr?

jamal-musiala-1200-0
© getty

FC Bayern München: Jamal Musiala sucht seine Form

Bisher hat er seine Form jedenfalls nicht wiedergefunden und ein Problem könnte die Spielweise unter Tuchel sein. Ein Blick in die Daten in Bundesliga und Champions League zeigt nur teilweise Auffälligkeiten. Denn oberflächlich betrachtet ist vieles gleich oder ähnlich geblieben: Die Anzahl der Abschlüsse (2,42 pro 90 Minuten; vorher: 2,65), die Aktionen, die zu Toren führen (4,47 zu 4,48) oder auch die Ballkontakte (54,98 zu 53,4).

Doch unter der Oberfläche schlummern auch Zahlen, die Raum für Interpretation und tiefergehende Analysen bieten. Kam Musiala unter Nagelsmann noch rund fünfmal pro 90 Minuten im gegnerischen Strafraum an den Ball, ist das jetzt nur noch halb so oft der Fall. Tuchel steht für einen kontrollierteren Fußball, erwartet von seiner Mannschaft, dass sie nicht überhastet und immer mit dem Blick auf Stabilität agiert. Deshalb ist das Positionsspiel der Bayern statischer geworden.

Die Idee dahinter, über mehr Kontrolle mehr Ruhe ins Spiel zu bekommen, geht allerdings nur teilweise auf. Gerade Musiala scheint derzeit darunter zu leiden, dass er nur selten in die offensiven Räume kommt, in denen er besonders gefährlich ist. Streng genommen betrifft die mangelhafte Einbindung auch Harry Kane, der zwar auf eine überragende Torquote kommt, bisher aber zu oft in der Luft hängt.

Bayern braucht derzeit Dribblings vom formstarken Leroy Sané oder eben von Musiala, um Gefahr auszustrahlen. Wirklich gute Kombinationen durch das Zentrum sind Mangelware - so instabil der FCB unter Nagelsmann auch war, so sehr war das vor allem in den guten Phasen ein Markenzeichen seiner Mannschaft. Musiala profitierte davon, dass um ihn herum ständig Dynamik herrschte.

tuchel
© getty

FC Bayern München: Thomas Tuchel sucht nach einer offensiven Idee

Unter Tuchel wirkt das Offensivspiel bisher über weite Strecken ideenlos. Das liegt aber nicht ausschließlich an den Angreifern, sondern auch schon am Spielaufbau. "Insgesamt müssen wir besser unsere Sechser finden", analysierte Thomas Müller in Kopenhagen.

Oft spielen die Bayern schon früh auf die Flügel, was es Gegnern vereinfacht, sich auf die Angriffe einzustellen und die bayerischen Offensivspieler zu doppeln. Es fehlt die Überraschung. Hin und wieder gibt es gefährliche Verlagerungen, doch nicht oft genug. Meist ist man auch hier abhängig davon, dass die individuelle Klasse ausreicht.

Beispielsweise durch Alphonso Davies, der mit dem Kopf durch die Wand dribbelt - oder eben durch Musiala, der sich Bälle mitunter tief abholt, um dann ebenfalls ins Dribbling zu gehen. "Sein nächster Step ist in Phasen, wo es nötig ist, einfach zu spielen und nicht jedes Mal ins Dribbling zu gehen oder die Drehung zu machen", erklärte Tuchel nach dem Duell mit Manchester United noch das Verbesserungspotenzial von Musiala.

Tatsächlich ist die Anzahl der Dribblings unter dem Nagelsmann-Nachfolger nochmal gestiegen: 8,23 sind es pro 90 Minuten im Vergleich zu 5,61 unter dem alten Trainer. Aber auch die Erfolgsquote ist von 51,1 Prozent auf 56,5 Prozent angestiegen. Dass ein Spieler mit den Qualitäten von Musiala häufig die Eins-gegen-eins-Situationen sucht, ist nicht das Problem der Bayern. Doch dass er das hin und wieder im zentralen Mittelfeld macht, wo Ballverluste schnell zu Gegentoren führen können, dürfte Tuchel schon eher ein Dorn im Auge sein.

Dass die Anzahl der Dribblings signifikant angestiegen ist, spricht zudem dafür, dass Musiala sich häufiger dazu verpflichtet sieht, Alleingänge zu wagen. Bayerns Kombinationsspiel hat gelitten, die Unterstützung auf dem Platz ist überschaubar.

FC Bayern München, Einzelkritik, Bewertungen, Noten, Spieler, FCB, FC Kopenhagen
© getty

FC Bayern München: Jamal Musiala sollte der Dreh- und Angelpunkt sein

Dabei sollte es eigentlich andersherum sein: Nicht Musiala, der im Alleingang die Offensive auf den Schultern trägt, sondern das Team, das seinen talentiertesten Fußballer dabei unterstützt, der Mittelpunkt des Spiels zu sein. Musiala muss - Alter hin oder her - der Dreh- und Angelpunkt im Angriff sein.

Nur er hat die Qualität, die Fäden zusammenzuführen, die derzeit überall lose herumliegen. Doch es wird ihm nicht gelingen, wenn er ständig das Gefühl hat, gegen eine Wand aus Gegenspielern andribbeln zu müssen. Je häufiger er sich in Situationen wie in Kopenhagen wiederfindet, desto mehr wird ihm die Leichtigkeit abhandenkommen.

Bisher ist es Tuchel nicht gelungen, um ihn herum funktionierende und wiederkehrende Mechanismen zu etablieren. Alles wirkt einen Tick zu schwerfällig und zu erzwungen. Das Überraschungsmoment fehlt beinahe gänzlich.

Thomas Müller, Jamal Musiala, FC Bayern München
© getty

FC Bayern München: Platzt der Knoten unter Thomas Tuchel noch?

Darüber hinwegtäuschen kann auch nicht die Topform der Einwechselspieler. Eric Maxim Choupo-Moting, Mathys Tel und Müller bringen regelmäßig mehr Dynamik auf den Platz und machen sich zunutze, dass die Beine beim Gegner schwerer geworden sind.

Aber wirklich systematisch wirkt auch das nicht. Es sind einzelne Namen, die die Saison bisher prägen. In Kopenhagen war es Musiala, der den Wendepunkt markierte.

Einen Wendepunkt hätte der vermutlich auch gern für sich selbst. Ob es gelingt, die Torbeteiligungsquote von vor der WM erneut zu erreichen, hängt auch davon ab, wie sich das Offensivspiel unter Tuchel entwickelt. Musiala ist immer mal wieder der Star des Teams. Eigentlich aber müsste er es dauerhaft sein. Es ist Tuchels Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Knoten im Offensivspiel endlich platzt.

Artikel und Videos zum Thema