"Hey, Daniel, Hey"

Von Florian Regelmann
Daniel Narcisse ist einer der neuen Stars, die der Bundesliga zu noch mehr Popularität verhelfen
© Getty

Flensburg und Göppingen eröffnen am Mittwoch die neue Saison in der Bundesliga. Klingt auf den ersten Blick wenig aufregend, ist es aber.

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Nicht nur der Handball ist zurück, sondern auch die Spannung in der Bundesliga. Kiels Dominanz ist Geschichte - der HSV, die Löwen und Lemgo greifen an. SPOX hat gemeinsam mit Bundestrainer Heiner Brand die Lage analysiert.

Der erste Spieltag aufgeteilt in fünf Scheibchen an fünf verschiedenen Tagen, Spiele vom 4. und 27. Spieltag zur gleichen Zeit - Welcome back, du geliebte Handball-Bundesliga!

Ein bisschen Ironie muss an dieser Stelle erlaubt sein. Der unüberschaubare Spielplan ist zwar manchmal nervtötend, aber grundsätzlich ist es absolut erlaubt, sich auf die neue Saison zu freuen. Sogar sehr zu freuen.

Bundesliga von Zweiklassengesellschaft geprägt

Der Bestechungsskandal wurde auf mehr oder weniger elegante Art und Weise abgehakt und mit der erschreckenden Dominanz des THW Kiel sollte es ab sofort vorbei sein. Das heißt nicht, dass die Bundesliga in der Breite plötzlich eine riesige Ausgeglichenheit auszeichnen würde.

In kaum einer Liga herrscht eine derart ausgeprägte Zweiklassengesellschaft vor, die sich auf Jahre hinaus nie ändern wird. Auf der einen Seite stehen wenige Top-Klubs, die auch in Zeiten der Wirtschaftskrise Rekordablösesummen investieren.

Auf der anderen Seite steht der ganze Rest, der sich mitunter auch über letzte Auswege wie einen Gehaltsverzicht über Wasser halten muss.

SPOX konzentriert sich zum Saisonstart auf einen Ausblick auf den Titelkampf, der so spannend wie nie werden könnte. Wie sind die Kräfteverhältnisse? Ist Kiel noch die Nummer eins? Bundestrainer Heiner Brand analysiert dazu bei SPOX die Lage der Liga.

1. THW Kiel

It's time for a change. In Kiel wurde der große Umbruch vollzogen. Stefan Lövgren? Weg. Nikola Karabatic? Weg. Vid Kavticnik? Weg, wurde von seinem Buddy Karabatic mit nach Montpellier geschleift. Es gibt nur einen Verein auf der Welt, der solche drei Jungs verliert, aber in der nächsten Saison dennoch nicht an Star-Power einbüßt: Den THW Kiel.

Für Karabatic, Lövgren und Kavticnik kamen Daniel Narcisse (Chambery), Momir Ilic (Gummersbach) und Christian Sprenger (Magdeburg). In der Hinterhand hat Kiel noch den 19-jährigen Isländer Aron Palmarsson, das größte Juwel, das in Sachen Handball auf diesem Planeten so herumläuft.

Die Handschrift von Coach Alfred Gislason wird beim neuen THW noch mehr zu sehen sein. Im Gislason-Style heißt es Tempo, Tempo und nochmals Tempo. Kiel wird durch den Umbruch noch schwerer auszurechnen sein.

Und bei allem Gerede über die Spieler, die kamen und gingen, darf nicht vergessen werden, dass der beste Spieler der Bundesliga nach wie vor in Kiel ist und dort im Tor steht. Thierry Omeyer bleibt der größte Trumpf im Titelkampf.

Heiner Brand sagt bei SPOX: "Für den THW sprechen die unwahrscheinliche Professionalität, das professionelle Auftreten und die professionellen Verhaltensweisen, die Kiel an den Tag legt. Mit Narcisse hat Kiel wieder einiges ausgeglichen. Narcisse ist für mich im Angriff gleichzusetzen mit Karabatic, auch wenn er ein ganz anderer Spielertyp ist. Narcisse hat auch die Fähigkeit, zwei Leute zu binden."

THW-Lineup: Omeyer/Palicka/Gentzel (Tor), Klein/Lundström (LA), Ilic/Jicha (RL), Narcisse/Lund/Palmarsson (RM), Andersson/Zeitz (RR), Sprenger/Reichmann (RA), Ahlm/Anic (KM)

2. HSV Hamburg

Wow! Wer sich den Kader der Hamburger anschaut, den haut es erstmal aus dem Sessel. Spätestens nach der Verpflichtung von Domagoj Duvnjak (RK Zagreb), dem kommenden Superstar im Welthandball, muss der HSV in dieser Saison mindestens einen Titel holen. Alles andere wäre eine große Enttäuschung.

Hamburg schnappte sich mit Duvnjak nicht nur eine kroatische Bombe, mit Kreis-Bestie Igor Vori (RK Zagreb) kam noch ein zweiter Mann, der die gesamte Liga bereichern wird.

Das große Problem von Coach Martin Schwalb ist der Fitnesszustand einiger seiner Stars. Pascal Hens ließ sich Ende Juli ein Überbein im Achillessehnen-Bereich operativ entfernen und fällt in den ersten Wochen der neuen Saison aus.

Schlimmer sieht es noch bei Bertrand "Bobo" Gille aus. Der Franzose zog sich einen Teilabriss der Achillessehne im linken Fuß zu und wird wohl erst nach der EM in Österreich wieder zur Verfügung stehen. Aber was soll's? Fallen Hens und Gille aus, spielen halt Lackovic und Vori. Solche Probleme muss man haben...

Heiner Brand sagt bei SPOX: "Der HSV hat mit der Duvnjak-Verpflichtung sofort reagiert, nachdem Kiel mit Narcisse nachgelegt hatte. Die Kieler hatten in den letzten Jahren vom Selbstvertrauen her einen Vorteil, aber ich denke, dass die Hamburger gelernt haben. Sie müssen mit Kiel auf einer Stufe stehen und können Meister werden. Beide Mannschaften haben eine Besetzung, die kaum zu glauben ist. Dafür haben sie auch dementsprechend gezahlt, aber ob die Entwicklung hin zu den hohen Ablösesummen so gut ist, sei mal dahin gestellt. Eine Prognose, wer von diesen beiden Teams das Rennen macht, würde ich nicht abgeben wollen."

HSV-Lineup: Bitter/Sandström (Tor), Jansen/Flohr (LA), Hens/Lackovic (RL), Duvnjak/G. Gille (RM), K. Lijewski/M. Lijewski (RR), Schröder/Lindberg (RA), B. Gille/Vori (KM)

3. TBV Lemgo

Der TBV ist aus deutscher Sicht das spannendste Projekt der Liga. Mit Markus Baur hat der Bundestrainer der Zukunft das Zepter in der Hand. Lemgo ist auf fast jeder Position mit deutschen Top-Stars oder deutschen Top-Talenten besetzt.

Nur im linken Rückraum findet sich kein Deutscher, dafür aber Ferenc Ilyes. Der Ungar kam aus Veszprem nach Lemgo und wird im Duvnjak/Narcisse/Stefansson-Hype gerne vergessen. Das sollte man nicht tun. Ilyes wird einer der großen neuen Stars in Deutschland.

Über die Qualitäten von Michael Kraus, Martin Strobel oder Holger Glandorf muss man sich ohnehin nicht lange unterhalten. Das Problem auf der Torwartposition (Galia ist wegen eines Doping-Vergehens noch bis Ende September gesperrt) wurde durch die Ausleihe von Jesper Larsson behoben.

Wenn der TBV verletzungsfrei durch die Saison kommt, müssen sich Kiel, Hamburg und die Löwen trotz des vielen Geldes warm anziehen. Lemgo kann alles schaffen. Auch Meister werden.

Heiner Brand sagt bei SPOX: "Lemgo ist ein Klub, der sehr maßvoll agiert, was Verstärkungen angeht. Dort wird ein seriöser Weg gegangen, der auch gut ist für den deutschen Handball. Ich traue ihnen zu, dass sie mit den Löwen auf einem Level spielen. Personell kommt Lemgo an Kiel oder Hamburg aber nicht heran."

TBV-Lineup: Lichtlein/Galia/Larsson (Tor), Bechtloff/Geirsson (LA), Ilyes/Kubes (RL), Kraus/Strobel (RM), Glandorf/Hermann (RR), Kehrmann/Schmetz (RA), Preiß/Svavarsson (KM)

4. Rhein-Neckar Löwen

Ewig lange sollte der erste Titel der Löwen nicht mehr auf sich warten lassen. Wer so eine Mannschaft aufbietet, muss gewinnen. Nicht in zwei Jahren, sondern jetzt. Mit Christian Schwarzer (Karriereende) wurde ein absoluter Leader verloren, auch der Weggang der Tormaschine namens Mariusz Jurasik wird nicht unbemerkt bleiben.

Aber auf der Gegenseite stehen in der Spalte Neuzugänge absolute Hochkaräter. Allen voran Olafur Stefansson. Der Isländer ist ein absoluter Weltstar und wird die Bundesliga rocken. Der rechte Rückraum mit Stefansson und Michael Müller (kam aus Großwallstadt) ist erste Sahne. Die Kreisposition wurde mit Carlos Prieto (Valladolid) und Bjarte Myrhol (Nordhorn) exzellent verstärkt.

Die beiden vielleicht größten Verstärkungen werden aber gar nicht auf dem Spielfeld zu finden sein, sondern auf der Trainerbank. Ola Lindgren als Cheftrainer und Kent-Harry Andersson als Assistent - besser geht es kaum. Mit Uwe Gensheimer und Patrick Groetzki ist außerdem die deutsche Flügelzange der Zukunft bei den Löwen zu Hause. Möglicherweise legen die Löwen sogar noch einmal auf dem Transfermarkt nach - es besteht großes Interesse an Rechtsaußen Ivan Cupic (Velenje).

Größtes Löwen-Problem im Moment: Regisseur Grzegorz Tkaczyk fällt wegen einer Knieverletzung vier Monate aus. Ob es zum ganz großen Wurf reicht, wird davon abhängen, ob die Löwen den Tkaczyk-Ausfall mit der kurzfristigen Verpflichtung von Snorri Gudjonsson kompensieren können. Und ob Nationalmannschafts-Abwehrchef Oliver Roggisch den Laden in der Abwehr zusammenhalten kann.

Heiner Brand sagt bei SPOX: "Bei den Löwen muss man abwarten, ob Ola Lindgren Struktur in die Mannschaft bekommt. Letzte Saison hatte das Team kein Gesicht. Es wurde da ein guter Spieler geholt, da ein Top-Torschütze verpflichtet, aber ohne darauf zu achten, ob es auch alles zusammen passt. Personell haben die Löwen auch enorme Möglichkeiten, aber ich glaube nicht, dass sie eine ernsthafte Konkurrenz für Kiel und Hamburg sein werden."

Löwen-Lineup: Fritz/Szmal (Tor), Sigurdsson/Gensheimer (LA), Bielecki/Harbok (RL), Tkaczyk (RM), Stefansson/Müller (RR), Groetzki/Alvanos (RA), Prieto/Myrhol/Klimowets/Roggisch (KM)

Prognose

Das waren also die Big Four. Dass ein anderes Team in den Titelkampf eingreifen kann, wird an dieser Stelle ausgeschlossen. Es ist keine mutige Prognose, es wird einfach nicht passieren.

"Flensburg ist sicher in der Lage, Spitzenspiele zu gewinnen, aber für ganz oben wird es nicht reichen. Ich sehe auch keinen Geheimtipp. Ob Magdeburg, Gummersbach oder Göppingen, für einen Angriff nach ganz oben kommen sie nicht in Frage", sagt Heiner Brand.

Natürlich schmerzen die Abgänge von Karabatic und Lövgren, aber wenn man ehrlich ist, schmerzen sie mehr auf sentimentaler als auf sportlicher Ebene. Wo genau ist Kiel denn bitte schlechter geworden? Narcisse, Ilic und nicht zuletzt auch Sprenger werden voll einschlagen.

Kiel wird eine Zeit brauchen, um sich einzuspielen und der Vorsprung wird sich in der Abschlusstabelle in Grenzen halten, aber Kiel wird trotzdem wieder Meister. Einzige Neuerung: Die THW-Fans müssen ihre Schlachtrufe auf neue Namen umstellen. Aber "Hey, Daniel, Hey" sollte genauso gut funktionieren wie "Hey, Niko, Hey".

Am Mittwoch folgt ein ausführliches Interview mit Heiner Brand, in dem der Bundestrainer über den WM-Titel der Junioren, die Nationalmannschaft und seine persönliche Zukunft spricht.

Oliver Roggisch: "Kiel und Hamburg sind nicht besser als wir"