Nach Europas dramatischem Sieg gegen die USA und einer unglaublich bizarren Woche gibt es zwei Erkenntnisse: Der Ryder Cup ist der coolste Wettbewerb der Welt. Und: Die "Boom-Baby-Bewegung" muss kommen!
10. Martin Kaymers Handbremse: Zwei Matches gewonnen, eins geteilt, nur eins verloren. Stolze 2,5 Punkte zum europäischen Sieg beigetragen. Rein faktisch liest sich Kaymers Bilanz bei seinem Debüt mehr als ordentlich. Aber auch wenn es eine Woche des Teams war und alles andere als der Gesamtsieg unwichtig ist, wird der Deutsche tief im Innern etwas mit sich hadern. Die Erwartungen von außen waren hoch, aber seine eigenen waren noch höher.
Kaymer hat sich den Eindrücken nach zu sehr unter Druck gesetzt. Als sein Spiel seinem Anspruch nicht richtig folgen konnte, kam er bis auf ein paar gute Phasen nicht mehr an seine Bestform heran. Er schaffte es einfach nicht, die Handbremse zu lösen. Das Ende des Lieds war die 6&4-Watschn, die er von Dustin Johnson verpasst bekam.
Aber der nächste Ryder Cup kommt für Kaymer bestimmt. Unter Garantie ist er auch in zwei Jahren in Medinah dabei, da kann er das dann einfach besser machen. Stopp: Er wird es besser machen.
9. God save the Queen! Vier Engländer waren bei Europa dabei. Mein Gott, waren die alle stark. Lee Westwood hat Phil Mickelson in der Weltrangliste an Position zwei abgelöst - mit ein paar guten Ergebnissen in den nächsten Wochen hat Westy exzellente Chancen, nun auch Tiger Woods von der Spitze zu verdrängen. Er hätte es verdient. Kein Spieler auf der Welt schwingt den Golfschläger aktuell besser als Westwood.
Obwohl, Luke Donald vielleicht. Auch Luuuuuuuuuuke war in Wales bombastisch in Form, zwischenzeitlich stellte man sich die Frage, ob der jemals einen Putt nicht locht? So eine Phase hatte auch Ross Fisher. Das ist der Typ, der so überragend spielen kann, aber dessen ulkiger Roboter-Jubel einen manchmal erschreckt.
Und dann gab es da noch Ian Poulter. Der hat so viel Intensität in den Augen wie kein anderer Mensch auf der Welt. Gemeinsam mit "ESPN"-Reporter Jason Sobel fordert SPOX für das Videospiel "Tiger Woods PGA Tour 2012" eine eigene Poulter-Funktion, die seine Augen bei besonders guten Schlägen aus dem Kopf knallen lassen. Genau so sieht es nämlich in Wirklichkeit aus.
8.Tiger, Glückwunsch zum Masters-Sieg! Zwei Matches an der Seite von Steve Stricker gewonnen, eins überaus deutlich verloren, das Einzel dafür in überragender Manier dominiert. Tiger holte drei von vier möglichen Punkten und präsentierte sich dazu als echter Teamplayer, der um seine Kollegen unglaublich bemüht war. Es gab Zeiten, da hatte man ihm vorgeworfen, genau das nicht zu sein.
Gerade an den ersten drei Tagen machte er aber auch viele schlechte Schläge. Vor allem verschob er auf den langsamen Grüns - Woods hasst langsame Grüns wie die Pest - Putt um Putt. Man kommt nicht umher zu denken, dass die Erlebnisse des letzten Jahres einen Effekt auf sein Nervenkostüm gehabt haben. Gehabt haben müssen.
Alles andere wäre völlig unmenschlich. Manchmal scheint es so, als ob er seine mentale Stärke von früher, als man Haus, Frau und Kinder auf einen gelochten Woods-Putt verwettet hätte, einfach nicht mehr hat. Im Einzel drehte er aber dann in großer Manier auf.
Zum einen sicher, weil ihm das Einzel per se mehr liegt. Wie sagte ein Kollege so schön: Der Henker spielt nicht im Softball-Team der Häftlinge mit. Er killt die Leute einfach. Vielleicht war er aber auch deshalb im Einzel so stark, weil er ganz nahe dran ist, seine Topform zu finden. Es gibt da jemanden, auf den ich in Augusta setzen würde.
7. Borey Pavin: Als Spieler war Pavin sehr extrovertiert. Als Captain war er der größte Langweiler der Geschichte. Zumindest in der Öffentlichkeit. Es geht das Gerücht herum, dass sich Pavin vor dem Ryder Cup seine Emotionsdrüse operativ entfernen ließ. Die US-Journalisten wurden von Pavins Getue, als ob er Staatsgeheimnisse hüten müsse, so frustriert, dass sie ihn "Borey" tauften.
Vor zwei Jahren war Paul Azinger mit seinem Feuer ein Sieggarant der USA gewesen - davon war Pavin weit entfernt. Er war nicht nur langweilig, er vergaß bei der Eröffnungszeremonie nicht nur einen seiner Spieler (Stewart Cink), er machte auch strategische Fehler.
So schickte er in der dritten Session, die im Nachhinein den USA das Genick brach, Stricker und Woods als Foursomes-Duo raus, was absolut keinen Sinn ergab. Stricker war unglaublich heiß und lochte praktisch alles, kommt aber im Foursomes-Format nur jedes zweite Loch zum Putten.
Und Woods, der zu diesem Zeitpunkt Probleme mit seinem Spiel hatte, muss im Foursomes-Format gezwungenermaßen auf Sicherheit spielen. Das nennt man dann: Berauben der eigenen Stärke. Nein, Pavin war keine Offenbarung als Captain. Auch wenn man ihm zugute halten muss, dass er wohl intern anders aufgetreten sein muss. Das ist zumindest zu hoffen.
6. Montys Major: Colin Montgomerie ist einer der größten europäischen Golfer aller Zeiten, aber er wird wohl für immer ohne einen Major-Sieg bleiben. Dafür hat er mit einer Kapitäns-Meisterleistung jetzt sein ganz eigenes Major gewonnen. Man kann keinen besseren Job als Captain machen als der Schotte. Monty hat alles richtig gemacht. A-l-l-e-s.
Als Monty spürte, dass sein Team auf dem Weg zu einer Niederlage ist, verpasste er seinen Jungs nach der zweiten Session einen Tritt in den Hintern, der sich gewaschen hatte. Die Leidenschaft fehlte ihm - und fortan bekam er sie. Die Spieler haben den Ryder Cup auch für Montgomerie gewonnen, weil sie gefühlt haben, wie viel ihm dieser Erfolg bedeutet. Nämlich alles.
Seit seiner Ernennung zum Captain hat er für diese Aufgabe gelebt. Mit viel, viel Herzblut hat er seine Rolle ausgefüllt. Und gleichzeitig mit einer beeindruckenden Methodik. Monty wird sagen, es ist der Sieg der Spieler.
Aber in Wahrheit ist es auch sein Sieg. Sein nächstes Ziel: Im nächsten Team wieder als Spieler dabei zu sein. Erst Spieler, dann Captain, dann noch mal Spieler, das hat noch nie einer geschafft. Monty ist es zuzutrauen.
Die Boom-Baby-Bewegung und ein Dank an Samuel Ryder
5. Wie, es regnet in Wales? Hier kommt die Statistik des Ryder Cups: Was an den ersten drei Tagen an Regen auf den Twenty Ten Course geprasselt ist, waren 55,5 Prozent des durchschnittlichen Niederschlags im Monat! Eigentlich fehlte nur, dass sich der walisische Tourismus-Minister irgendwo von der Brücke stürzt. Das Schlimme an dem ganzen Regen-Fiasko ist, dass es so vorhersehbar war.
Nicht unbedingt in dem Ausmaß, aber dass es im Oktober in Wales häufig regnet, ist jetzt nicht die neueste Erkenntnis. Ergo: Der Ryder Cup muss in Zukunft zwingend früher stattfinden. Aus Europa-Sicht wäre das auch gar kein Problem, aber in den USA laufen im September die hoch dotierten FedEx-Cup-Playoffs.
Und da die US PGA Tour im Gegensatz zur European Tour nichts mit dem Ryder Cup am Hut hat, weil dieser in den Bereich der PGA of America fällt, ist es sehr kompliziert, zu einer Lösung zu kommen. Man kann nur hoffen, dass es eine Lösung gibt. Denn: Der nächste Ryder Cup in Europa wird 2014 in Gleneagles ausgetragen. Auch ein Ort, der für sein schlechtes Wetter bekannt ist.
4. Aufgepasst auf Sergio! Fünf Vize-Kapitäne hatte Montgomerie am Ende. Neben Thomas Björn, Darren Clarke, Paul McGinley und Sergio Garcia wurde kurzerhand noch Jose Maria Olazabal verpflichtet. Olly war in Wales an Ort und Stelle, als Botschafter eines Kaffee-Giganten. Monty erkannte diese Verschwendung an Talent und holte den Spanier ins Team. Olazabal gilt wie Davis Love III bei den USA als Favorit für das Kapitänsamt 2012.
Die eigentliche Geschichte ist aber Sergio. Dass ein Spieler von der Klasse eines Garcia, der im Ryder Cup Heldentaten vollbracht hat, im Alter von 30 Jahren als Assistenz-Kapitän auftaucht, liegt an der Grenze zur Tragik. Garcia selbst bat Montgomerie, dabei sein zu dürfen, weil er wusste, dass er es als Spieler aktuell nicht schafft.
Die verloren gegangene Leidenschaft war der Hauptgrund für die Krise, in der sich Garcia spielerisch seit längerem befindet und die ihn eine Auszeit nehmen ließ. Der Ryder Cup wird ihm jetzt unfassbar geholfen haben, das Feuer in ihm wieder zu entfachen. Wer Garcia in Wales über den Platz hat hüpfen sehen, hat gemerkt: Es ist schon entfacht. Deshalb kommt hier eine Prognose: Aufgepasst auf Sergio. Der Junge wird ein großes Comeback starten.
3. Bizarre Tage in Wales: Der Regen war nicht die einzig bizarre Geschichte der Woche. Wir fassen mal kurz zusammen.
- Das Format wird geändert. Eine Folge: Fourballs werden von Foursomes überholt. Chaos pur.
- Team USA hat keine Ahnung von Regenanzügen und muss im Merchandise-Zelt neue kaufen. O-Ton von Europas Ex-Captain Ian Woosnam: "Verstehe ich nicht. Als ich Captain war, habe ich mir die Dinger angezogen und bin unter die Dusche, um sie zu testen."
- Team USA hat nicht nur keine Ahnung von Regenanzügen, Team USA hat auch einen fragwürdigen Mode-Geschmack und tritt in lavendel an. Getreu den Nationalfarben: rot, weiß, blau... und lavendel.
- Phil Mickelson spielt am ersten Tag mit Regenhandschuhen an beiden Händen. Hat er noch nie gemacht.
- Die Molinari-Brüder spielen ihr erstes Ryder-Cup-Loch und wissen nicht, wo die Fahne steht, weil ihre Caddies das Info-Blatt nicht bekommen haben.
- Der Ryder Cup muss spätestens am Montag um 18.43 Uhr beendet sein. Ist eine Regel. Warum das so ist, weiß niemand.
- Die walisische Sprache ist keine Sprache. Willkommen in Wales heißt Croeso i Gymru. Und das meinen die ernst!
- Der Ryder Cup lässt alle Leute verrückt werden. Zwei Beispiele: 1. James, Mathe-Lehrer aus Maesteg: "Unglaublich! Wir haben in der Klasse den Ryder Cup angeschaut und dann wurde abgebrochen. Jetzt muss ich wieder Mathe unterrichten. Weiß nicht, wer darüber mehr sauer ist. Ich, oder die 32 Golf-Fans, die dividieren müssen." 2. Matt aus Leicester: "Ich sitze im Haus meiner Eltern fest, nachdem ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten eingeladen wurde. Kein TV oder Radio erlaubt, also muss ich immer mal kurz unter dem Tisch aufs Handy schauen, um zu wissen, wie es steht. Bin nicht glücklich."
2. Das beste Sport-Event der Welt: Wenn ein Superstar wie Graeme McDowell sagt, dass er vor Nervosität fast den Schläger nicht mehr halten konnte, muss man dann noch mehr über den Ryder Cup sagen? Wenn Hunter Mahan danach in der Pressekonferenz sitzt und nichts sagen kann, weil ihm die Tränen kommen, muss man dann noch mehr über den Ryder Cup sagen?
Wenn Jeff Overton nach einem gelochten Eagle so aussteigt, dass SPOX in deutschen Golfklubs die "Boom-Baby-Bewegung" fordert, muss man dann noch mehr über den Ryder Cup sagen?
Wer hat eigentlich den albernen Satz erfunden: Es ist nur ein Spiel? Spiel. Was ein Wort. Halma ist ein Spiel. Aber sicher nicht der Ryder Cup. Der ist das Coolste, was es auf der Welt gibt. Und so cool gemacht wird er durch die Fans und die Spieler.
Als der Ryder Cup am Freitag kurz vor dem Start stand, erschienen die beiden Molinari-Brüder, die am Vormittag noch aussetzten, am ersten Abschlag. Und die Fans stimmten zum ersten Mal an: "There's only two Molinaris, there's only two Molinaris!" Es war im Prinzip ein 72-stündiges Gänsehaut-Gefühl, das sich ab diesem Zeitpunkt einstellte.
1. Das Fazit: Love you, Samuel Ryder! Love you so much.