HSV bangt um Bundesliga-Rückkehr: Mit neuem Trend gegen das Vollchaos

Am Boden: Die Spieler des HSV stellen sich nach dem 0:3-Heimdebakel gegen Ingolstadt den heimischen Fans.
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Sieben Spiele in Folge ohne Sieg, eine 0:3-Blamage gegen den FC Ingolstadt: Der HSV wird seinem Image als Chaos-Klub auch im Bundesliga-Unterhaus gerecht und muss mit dem teuersten Kader in der Zweitligageschichte um den Aufstieg bangen. Hannes Wolf trägt daran eine Mit- aber keineswegs die Hauptschuld und darf überraschenderweise vorerst als Trainer weitermachen.

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Es ist gerade einmal acht Wochen her, da war die Welt des Hamburger SV noch in Ordnung. Zumindest hatte es den Anschein. Mit 4:0 schlug der HSV den Stadtrivalen St. Pauli. Die Medienabteilung veröffentlichte wilde Partybilder aus der Kabine der Spieler, die später in der Kultkneipe Zwick am Mittelweg mit dem Segen der Obrigkeit die Nacht zum Tage gemacht haben sollen.

Der direkte Wiederaufstieg? Für jeden im Klub eigentlich nur noch Formsache. Nach dem Einzug ins Pokal-Halbfinale parlierten Bernd Hoffmann und Präsident Marcell Jansen gut gelaunt über die Zukunft des Vereins. Doch der deutliche Derbysieg und die Herbstmeisterschaft mit sechs Punkten Vorsprung täuschten darüber hinweg, dass der HSV fußballerisch nur selten überzeugt hatte und über weite Strecken Magerkost lieferte.

Es folgten sieben sieglose Spiele in der 2. Bundesliga und mit einer 0:3-Heimpleite gegen Abstiegskandidat Ingolstadt am Samstag der vorläufige Höhepunkt der neuerlichen Krise bei den Hanseaten. Mit Tränen in den Augen holten sich Innenverteidiger Rick van Drongelen und Co. eine Standpauke von den erzürnten HSV-Fans nach dem Debakel ab.

Hatte Sportvorstand Ralf Becker wenige Tage vor dem Heimdebakel gegen die Schanzer Trainer Hannes Wolf noch die Stange gehalten und dessen Verbleib auch im Falle eines Nicht-Aufstiegs klargestellt, verweigerte er Wolf nach dem 0:3 die Rückendeckung.

"Wir haben 0:3 gegen Ingolstadt verloren, müssen das erst einmal aufarbeiten und verarbeiten", sagte ein entsetzter Becker. Zwar habe man sich in der Personalie Wolf klar positioniert, aber "am Ende geht es um den Verein". Drei Stunden tagten die HSV-Verantwortlichen am Samstagabend und entschieden dann, an Wolf festzuhalten, weil man "grundsätzlich von unserem Trainer total überzeugt" sei.

HSV-Trainer Hannes Wolf in der Kritik: Der neue Trend

Und das obwohl dieser Trainer (1,59 Punkte/Spiel) mittlerweile einen schlechteren Punkteschnitt hat als Vorgänger Christian Titz (1,80 Punkte/Spiel) hat. Der wurde nach nur zehn Spielen im Bundesliga-Unterhaus von Becker und Hoffmann vor die Tür gesetzt. "Es ist meine Überzeugung, dass in dieser Konstellation unsere Saisonziele gefährdet werden", erklärte Becker damals die vieldiskutierte Entlassung von Titz, der dem HSV im Abstiegsjahr noch einmal neues Leben eingehaucht hatte.

Mit Wolf aber ist das vorher klar formulierte Ziel Wiederaufstieg jedoch mehr denn je in Gefahr. Der 38-Jährige wirkte zuletzt ratlos und zog in den letzten Wochen taktisch alle Maßnahmen, die er noch hatte. Mal ließ er mit einer Dreierkette, mal mit einer Viererkette spielen. Mal mit einem echten Mittelstürmer, mal ohne - verzweifelt auf der Suche nach der passenden Formation.

Böse Zungen behaupten, dass Wolf in seiner Anfangszeit beim HSV nur Erfolg hatte, weil ihm im von Verletzungen ausgedünnten Kader Alternativen fehlten und sich die Mannschaft mehr oder weniger von allein aufstellte. Als er die Qual der Wahl dann hatte, kosteten auch seine unglücklichen Entscheidungen in puncto Aufstellungen und Wechsel den HSV wertvolle Punkte.

HSV-Sportchef Becker fordert Zusammenhalt ein

Nun ist es zunächst einmal grundsätzlich bemerkenswert, dass der HSV, der wie kaum ein zweiter Klub in den letzten Jahren die "Hire-and-Fire"-Mentalität bei Trainer vorgelebt hat, eine Krise mit einem neuen Trend und dem gleichen Trainer bewältigen will.

"Wenn wir immer direkt unruhig werden, stürzen wir irgendwann ins Vollchaos und das wollen wir nicht", sagte Becker daher am Sonntag: "Mittlerweile sind wir ein Zweitligaverein und haben kein tolles Konto. Deshalb muss man auch so eine Situation mal gemeinsam aushalten." Aussagen, die Zweifel daran sähen, dass einzig die Überzeugung der HSV-Bosse von Wolf ein Faktor bei der am Sonntag gefällten Entscheidung war.

Doch die Niebelungentreue, die der HSV nun zumindest in der Öffentlichkeit bei Wolf an den Tag legt, hätten sich viele der nach Kontinuität lechzenden Anhänger der Hanseaten schon Monate zuvor bei Titz gewünscht.

Steht trotz Lippenbekenntnisse von Vereinsseite wohl vor dem Aus: HSV-Trainer Hannes Wolf.
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Steht trotz Lippenbekenntnisse von Vereinsseite wohl vor dem Aus: HSV-Trainer Hannes Wolf.

HSV noch im Kampf um die Bundesliga: Will denn niemand aufsteigen?

Die aktuelle Misere ist auch deshalb zum großen Teil hausgemacht, schließlich ist es kaum vorstellbar, dass der HSV mit Titz anstelle von Wolf schlechter dastehen würde. Noch vor einer Woche sprach Sportvorstand Becker beispielsweise von internen Sturkturproblemen und nahm den Trainer dadurch berechtigterweise aus der Schusslinie.

"Wir haben eine ganz junge Mannschaft. Fakt ist, sie kann mit dieser Drucksituation, die entstanden ist, nicht umgehen", analysierte er darüber hinaus die Lage, die nur deshalb nicht aussichtslos bezüglich des direkten Wiederaufstiegs ist, weil auch die Konkurrenz im Aufstiegsrennen patzt.

Während der HSV am 32. Spieltag gegen Ingolstadt unterging und die eigenen Fans dem Gegner zwischenzeitlich sogar höhnischen Beifall spendeten, verloren auch Paderborn, Heidenheim und Union Berlin. Zwei Spieltage vor dem Saisonende stellt sich die Frage, ob denn niemand aufsteigen will. Der HSV will natürlich, doch es fehlt der Glaube, dass er kann.

Wolf hat bereits alle gängigen Patronen, die ein Trainer in Krisenzeiten verschossen: Die Trainingsgruppe ausgedünnt, Störenfried Lewis Holtby nach seiner Bitte, nicht als Reservist zum Gastspiel bei Union Berlin reisen zu müssen, suspendiert und das bei den Norddeutschen fast schon traditionelle Krisenlager im niedersächsischen Rotenburg aufgeschlagen - ohne jeden positiven Effekt.

Wolf vor Paderborn: "Wir haben jetzt die klare Verantwortung, wieder aufzustehen"

Auch deshalb spricht nicht mehr viel für eine Weiterbeschäftigung von Wolf über das Saisonende hinaus. Dass er überhaupt am kommenden Sonntag im direkten Duell mit Aufstiegskonkurrent SC Paderborn auf der Trainerbank sitzt, ist wohl nur dem selbst auferlegten neuen HSV-unüblichen Trend geschuldet.

"Wir haben jetzt die klare Verantwortung, wieder aufzustehen, um am nächsten Sonntag ein besseres Spiel zu machen", sagte Wolf. Das braucht er auch dringend. Ansonsten folgt auf den neuen Trend die Trendwende und damit das "Vollchaos".

2. Bundesliga, Rückrunden-Tabelle: HSV im Keller

PlatzMannschaftSpieleSiegeUnentsch.NiederlagenToreDif.Punkte
1SC Paderborn 071592435:181729
2SV Sandhausen1574425:20525
3Arminia Bielefeld1574427:24325
4SV Darmstadt 981573523:23024
51. FC Köln1472531:22923
6FC Ingolstadt 041571722:18422
71. FC Union Berlin1564522:19322
81. FC Heidenheim 18461564519:18122
9Jahn Regensburg1564519:22-322
10Erzgebirge Aue1562720:22-220
11Holstein Kiel1554626:26019
121. FC Magdeburg1554615:18-319
13VfL Bochum1553722:27-518
14Dynamo Dresden1545618:18017
15FC St. Pauli1552819:30-1117
16Hamburger SV1544717:22-516
17SpVgg Greuther Fürth1436513:19-615
18MSV Duisburg1536621:28-715
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