Interview mit Panini-Geschäftsführer Hermann Paul: "Der bekannteste Fan ist Kobe Bryant"

Stefan Petri
01. Juni 201813:12
Panini-Sticker zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland.getty
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WM-Zeit ist Panini-Zeit: Überall auf der Welt sammeln und tauschen Fans die Sticker ihrer Lieblingsstars. Hermann Paul ist Geschäftsführer von Panini Deutschland. Im Interview mit SPOX verrät er, wie ein WM-Album entsteht, warum Tankstellen so wichtig sind und warum das Sommermärchen gleichzeitig Meilenstein und Herausforderung war.

Außerdem spricht er über Panini-Diebstahl, kultige Heiratsanträge und Edelfans im In- und Ausland.

SPOX: Herr Paul, ich muss Ihnen etwas gestehen: Ich habe als Kind nie Panini-Sticker gesammelt. Bin ich mittlerweile zu alt?

Hermann Paul: Ich glaube nicht, dass es dafür eine Altersbegrenzung gibt. Wir haben Sammler, die mit vier oder fünf Jahren gemeinsam mit den Eltern anfangen. Unsere älteste Sammlerin war 2014 andererseits 101 Jahre alt.

SPOX:Sie hat mit 101 angefangen?

Paul: Nein, sie war schon eine sehr engagierte Sammlerin. Sie ist auf uns zugekommen, weil ihr die letzten Bildchen gefehlt haben, um ihr Album zu vervollständigen. Da stellten wir fest, dass die Dame 101 Jahre alt war. Sie hatte Ende der 70er Jahre angefangen und seitdem gesammelt. Es gibt also eigentlich keine Grenzen.

SPOX:Sammeln hauptsächlich Kinder oder Erwachsene?

Paul: Das kommt darauf an, um welche Sticker es sich handelt. Bei einer Disney-Prinzessin oder Eiskönigin, auch bei Batman und Spiderman, sind es Kinder. Vor allem aus der Altersklasse sechs bis zehn Jahre. Der Fußball dagegen vereint Generationen, da sammeln auch Eltern und Großeltern mit ihren Kindern. Ich kenne viele Beispiele, wo die Eltern - oder in diesem Fall hauptsächlich die Väter - die Initiatoren sind und mit dem Sohnemann gemeinsam sammeln möchten. Deshalb sind Tankstellen ein wichtiger Absatzmarkt, denn tanken gehen in der Regel die Männer. Diese Sammelleidenschaft hat sich in Deutschland über die letzten 40 Jahre entwickelt: Erst sammeln die Kinder, dann fängt man ab 25, 30 mit den eigenen Kindern oder später mit den Enkeln neu an.

Hermann Paul, Geschäftsführer von Panini Deutschland (M.).Panini Deutschland

SPOX:Dann ist es für mich noch nicht zu spät.

Paul: Absolut nicht. Aber es braucht den "Initiatoreffekt". (lacht) Hat man früher selbst gesammelt? Wie war das Umfeld? Ich selbst habe mit sechs, sieben Jahren angefangen. Fußballbilder gab es damals noch nicht, aber meine Schulfreunde und ich waren dafür ganz verrückt nach den berühmten Winnetou-Filmen. Mittlerweile habe ich vier Kinder, zum Teil schon erwachsen. Mit denen habe ich in den 80ern gesammelt, da ging es schon um Fußball.

SPOX:Kamen die Sticker in den 80ern erstmals nach Deutschland?

Paul: 1961 hat Panini zum ersten Mal eine Kollektion über die Serie A herausgebracht, die Calciatori. Die gab es jedes Jahr, zusammen mit Kollektionen über Flugzeuge, Tiere, und so weiter. 1970 wagte man erstmals den Sprung außerhalb Italiens mit der WM in Mexiko. Panini Deutschland wurde schließlich 1974 gegründet, mit der EM 1976 ging es los. Heute gibt es neben der Zentrale in Modena insgesamt elf Tochtergesellschaften, hauptsächlich in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent.

SPOX:Gelang der Durchbruch sofort?

Paul: Es gab mehrere Phasen: Das erste Bundesliga-Album war 1979 ein voller Erfolg, später dann die 90er Jahre mit Kollektionen wie zum Beispiel König der Löwen. Auch die Liga ist in den 90er Jahren immer stärker geworden. Ein absoluter Meilenstein war das Sommermärchen mit der Heim-WM 2006.

SPOX:Panini bringt nicht nur Sticker heraus, sondern unter anderem auch Comics und Magazine. Trotzdem ist die Firma im öffentlichen Bewusstsein vor allem mit den Fußball-Sammelalben verankert. Ist das Fluch oder Segen?

Paul: Teils, teils. Zuletzt fiel es uns ehrlich gesagt schwer, Ware an Kunden zu verschicken, denn wenn auf den Paketen Panini drauf steht, denken alle sofort, dass Fußballsticker drin sind - und dann kommt es plötzlich nicht mehr beim Adressaten an. Das ist schon mehrere Male passiert. Ob es jetzt der Nachbar war, der Postbote oder die Verteilerstation ... (lacht) Aber das nehmen wir natürlich gern in Kauf. Was Comics angeht: Sie wissen selbst, dass man dort selten ins Impressum guckt. Bei einer WM hat man dagegen mehrere Millionen Tütchen im Umlauf, überall steht Panini drauf. Das bleibt hängen. Panini steht in Deutschland eigentlich für zwei Dinge: Entweder handelt es sich um eine Stickertüte - oder um ein Sandwich. (lacht)

SPOX:Sie haben die Tütchen angesprochen. Wie viele sind denn im Umlauf?

Paul: Wir haben eine Produktion in Modena, dort liegt der Tagesausstoß bei einer WM bei ungefähr acht Millionen Tüten. In Brasilien werden noch einmal bis zu 16 Millionen Tüten pro Tag für den amerikanischen und asiatischen Markt produziert.

Jeden Tag werden in Modena mehrere Millionen Sticker produziert.getty

SPOX:Sind die Sticker auch ein Mittel, um die Vorfreude auf die WM zu steigern?

Paul: Auf jeden Fall! Das ist wichtig für Sammler, weil sie sich intensiv mit den Spielerdaten auseinandersetzen, die Spieler so vielleicht erst kennen lernen. Das tue ich ja auch: Als ich vor zwölf Jahren zu Panini kam, konnte ich Bundesliga und Champions League nicht unterscheiden, ich war kein Fußballfan. (lacht) Mittlerweile macht es mir unheimlich Spaß und ich bin Feuer und Flamme.

SPOX:Wie lange dauert es von der Planung des Heftes bis hin zum Verkauf?

Paul: Grundsätzlich gilt: Nach der WM ist vor der WM. Sobald das Turnier in Russland abgeschlossen sein wird, ist unser Redaktionsteam in Italien wieder gefragt, die möglichen Kandidaten für 2022 auszuloten. Dabei geht es vor allem darum, die nötigen Lizenzen rechtzeitig einzukaufen - auch auf die Gefahr hin, dass sich Teams nicht qualifizieren. Knapp eineinhalb Jahre vor Turnierbeginn wird an Konzeption und Layout gefeilt: Wie viele Spieler sind dabei? Kommen Legenden ins Heft? Das wird alles der FIFA vorgelegt. Auch das Bildmaterial muss besorgt werden. Meistens wird es von den Verbänden zur Verfügung gestellt.

SPOX:Es geht also los, lange bevor die 32 Teilnehmer feststehen.

Paul: Ja. Wenn dann die heiße Phase der der Qualifikation im Herbst vor dem Turnier abgeschlossen ist und die Teams festgezurrt sind, geht es auf Hochtouren daran, das Album fertigzustellen. Ende Januar heißt es: Das ist das Heft, das sind die Spieler, jetzt geht es in den Druck.

SPOX:Die Spieler im Heft werden ja immer heiß diskutiert, auch in der Presse. Alle überlegen, ob das Aussagekraft besitzt ...

Paul: (unterbricht) Warum ist der Gomez wieder nicht drin? Warum ist Neuer drin? Warum Wagner nicht, aber Werner schon? Gerade in Deutschland hatten wir diesmal ein so großes Portfolio, es waren ja teilweise bis zu 40 Spieler. Davon 18 auszuwählen, ist keine einfache Geschichte. Und dann kommen noch Verletzungen dazu.

SPOX:Wie wird denn nun ausgewählt? Haben Sie in Stuttgart Mitspracherecht beim deutschen Kader?

Paul: Nein, wir sind als Tochtergesellschaft für Marketing und Promotion verantwortlich. Wir werden nicht gefragt. (lacht) Die Entscheidung fällt in Italien, dort sind Sportredakteure und Fußball-Kenner, die das Geschäft seit 40, 50 Jahren machen. Es findet ein intensives Scouting statt. Klar, bei 32 Nationalmannschaften mal 18 Sticker haben wir über 550 Fußballer - dass die Trefferquote nicht bei 100 Prozent ist, liegt auf der Hand. Es ist schwer, sich in die Köpfe von 32 Bundestrainern hinein zu denken. Aber wir hatten in der Vergangenheit im Schnitt eine Trefferquote von etwa 85 Prozent.

SPOX:Mehr schaffen wir auch nicht. Welche Spieler am Ende im Heft landen, produziert mittlerweile ja auch Schlagzeilen. Bekommen Sie die Reaktionen mit?

Paul: Natürlich gibt es immer wieder Reaktionen, wir sehen ja auch die Pressemitteilungen: "Mario Gomez schon wieder nicht im Heft." Aber wir können die Uhr nicht mehr zurückdrehen. Zudem gibt es von Panini ein Nachdruckset: Jeder Sammler kann die Spieler, die doch nicht mitgefahren sind, mit Spielern im Kader überkleben.

SPOX:Tun wir mal so, als würde ich meine Sammelleidenschaft noch rechtzeitig zur WM entdecken: Wie viele Tüten müsste ich kaufen, damit ich am Ende das ganze Album voll bekomme?

Paul: Das hängt ganz davon ab, wie viele Freunde Sie haben, die dieses Hobby teilen. Wenn Sie auf einer einsamen Insel sitzen und jeden Tag eine Tüte vom Postboten bekommen, kann es natürlich ziemlich lange dauern, bis eine Kollektion mit 682 Plätzen vollständig ist: vielleicht 1.000, 1.500 oder 2.000 Bildchen. Aber wenn Sie mit Freunden tauschen ...

SPOX:Stimmt. Wie heißt es so schön: "Zum Sammeln und Tauschen".

Paul: Und das findet auch statt. Erwachsene am Arbeitsplatz oder abends in der Kneipe, Kinder auf Schulhöfen - es wird richtig viel getauscht. Online kann man auf Portalen doppelte Bilder hinterlegen, aber es gibt auch tausende von Tauschbörsen. Im Ortsblättchen, im Internet, oder das Kiosk um die Ecke lädt am Samstag ein. Das ist sehr populär geworden.

SPOXgetty

SPOX:So kann ja eigentlich nichts schiefgehen.

Paul: Man muss allerdings ehrlich sagen, dass nicht jeder Sammler sein Heft voll kriegen wird. Viele wollen nur ihr Lieblingsteam haben, vielleicht zum deutschen noch das brasilianische. Ob Costa Rica komplett ist, hat nicht immer den höchsten Stellenwert. Und es kommt zwangsläufig zu einer "Verknappung im Markt", wenn man so will.

SPOX:Warum?

Paul: Nehmen wir einen Spieler wie Cristiano Ronaldo: Wenn ich ihn bekomme, klebe ich ihn ins Album. Bekomme ich ihn ein zweites Mal, gebe ich ihn aber nicht her, sondern er wandert auf das Notizbuch oder den Schulranzen. Oder die Glitzersticker, die bei Mädchen unheimlich beliebt sind. Mittlerweile sind auch Mädchen bei Fußballstickern zu einer beträchtlichen Sammlergruppe geworden, fast 20 Prozent. Wenn sie einen Glitzersticker doppelt haben, geben sie ihn nicht her. Mathematisch gesehen gehen dann andere leer aus.

SPOX:Wäre es dann nicht ein gutes Geschäftsmodell, die Superstars öfter zu drucken?

Paul: Nein. Das widerspricht dem Grundsatz von Panini: Jeder Spieler wird gleich oft gedruckt. So sind wir vor 60 Jahren angetreten und so wird es bleiben. Wir können uns auch nicht anmaßen zu entscheiden, ob ein Messi jetzt populärer ist als ein Ronaldo, oder ein Müller beliebter als ein Khedira. So wäre der Willkür Tür und Tor geöffnet. Außerdem kann man die Bilder bei uns wie gesagt im schlimmsten Fall nachbestellen.

SPOX:Welche Summe müsste ich für ein komplettes Album investieren?

Paul: Wenn Sie ein komplettes Album auf eBay kaufen wollen, bekommen Sie es wohl für rund 150 Euro, und der Verkäufer will dabei natürlich auch keinen Verlust machen. Man kann ein Album also im Schnitt für diesen Betrag vollständig ausfüllen. Vielleicht schafft man es auch für 100 Euro, aber man braucht einen guten Freundeskreis und eine ausgeprägte Sammelleidenschaft.

SPOXimago

SPOX:Und wenn ich nur 300 von den 682 Stickern schaffe? Bin ich dann guter Durchschnitt?

Paul: Ich würde mal sagen: Es gibt einen Kern von Sammlern, der das Album voll bekommen will. Aber die Mehrzahl ist mit einem Drittel oder der Hälfte zufrieden und konzentriert sich vor allem auf ein Team.

SPOX:Wie stehen die Deutschen dabei im internationalen Vergleich da?

Paul: Deutschland ist historisch gesehen ein großer Stickermarkt. Weltweit getoppt werden wir von Brasilien, aber das sind auch dreimal so viele Einwohner. Pro Kopf gerechnet gibt es ein paar kleinere Länder, die intensiv sammeln: die Schweiz und Kolumbien. Dort lieben sie diese Bildchen wie ihr täglich Brot. Historisch gesehen gibt es übrigens Unterschiede zwischen West- und Osteuropa. Das haben wir auch bei der Wiedervereinigung festgestellt: Während Westdeutschland ein traditioneller Markt ist, hat der Osten das anfangs überhaupt nicht verstanden.

SPOX:Gibt es einen Panini-Sticker, der ganz besonders begehrt ist?

Paul: Ja. Der deutsche Torwart von 2006. (lacht)

SPOX:Jens Lehmann?

Paul: Der war damals tatsächlich nicht im Album, wir hatten uns für Oliver Kahn entschieden. Danach mussten wir ihn irgendwie auf den Markt bringen, mit Promotionen, Beilagen in Tageszeitungen und so weiter. Damals gab es die Nachdrucksets nämlich noch nicht. Deshalb war er ganz besonders begehrt. Was die Alben angeht: Das erste komplette WM-Album von 1970 wurde vor zwei Jahren ersteigert, für rund 12.000 Euro.

SPOX:Panini ist ja längst Kult. Da muss es doch auch lustige Fan-Geschichten geben.

Paul: Oh ja. Ein junger Mann zum Beispiel hat seiner Freundin einen Heiratsantrag gemacht und zu diesem Anlass den gesamten Fußboden im Wohnzimmer mit Panini-Alben und Stickern dekoriert.

SPOX:Weil sie ebenfalls verrückt nach den Stickern war?

Paul: Nein, aber sie hat akzeptiert - und mittlerweile ist auch sie ambitionierte Sammlerin. (lacht) Manche sind richtige "Nerds", wenn man so will: Da werden die Alben daheim gesondert aufbewahrt, vor Feuchtigkeit und Licht geschützt und über Jahrzehnte wie Juwelen gelagert.

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SPOX:Gibt es auch Fußballer oder andere Stars, die Panini-Sticker sammeln?

Paul: Es gibt etliche beim DFB, die früher sehr bekannte Spieler waren und regelmäßig auf uns zukommen: "Könnt ihr mir nicht ein paar Bilder schicken?" Das klappt dann auch. Aber der bekannteste Panini-Fan ist wohl Kobe Bryant.

SPOX:Wieso ausgerechnet Kobe Bryant?

Paul: Bryant hat als Kind sechs Jahre in Modena gelebt, weil sein Vater dort Basketball spielte. In dieser Zeit hat er die Calciatori gesammelt und ist uns bis heute verbunden geblieben. Er macht sogar Werbung für uns, weil er sich an seine Kindheit erinnert und leidenschaftlicher Sammler geblieben ist. Von den Fußball-Alben - dabei haben wir mittlerweile auch Basketball-Sticker.