WM

Asketisch leben bis Maracana

Der Verrückte und sein Rückhalt: Miguel Herrera (r.) und Guillermo Ochoa
© getty

Mexiko hat in der Vorrunde überzeugt und gegen die Niederlande (18 Uhr im LIVE-TICKER) eine realistische Chance. Demut, Kameradschaft und eine Bulldogge auf Speed machen El Tri so gefährlich. Allerdings fehlt gegen Oranje die Schlüsselfigur.

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Am Samstag produzierte Mexiko mal wieder negative Schlagzeilen. Laut dem Bericht einer Sonder-Staatsanwaltschaft für die Ermittlung von Straftaten gegen die Meinungsfreiheit sind in Mexiko in den letzten 14 Jahren 102 Journalisten ermordert worden. Weitere 22 gelten als vermisst, zudem stehen Ermittlungen in über 400 Fällen von Körperverletzung Hausfriedensbruch, Sachschaden und Einschüchterung aus.

Mexiko nimmt in vielen Kriminalstatistiken Spitzenplätze ein, der Drogenkrieg hält ein ganzes Land im Schwitzkasten. Eine kleine Gruppe junger Männer, angeführt von einer "Bulldogge auf Speed" (Süddeutsche Zeitung), schickt sich dieser Tage an, dem mexikanischen Volk eine Menge Spaß zu bereiten und Meldungen über Mord und Totschlag in den Nachrichten auf die hinteren Plätze zu verbannen.

Chaotische WM-Quali

El Tri steht zum sechsten Mal in Folge im Achtelfinale einer WM und hat durch die gezeigten Leistungen in der Vorrunde berechtigte Hoffnungen, erstmals nach 28 Jahren wieder in die Runde der letzten acht Teams einzuziehen.

Sieben Punkte hat Mexiko in der gut besetzten Gruppe A mit Brasilien und Kroatien gesammelt, dem Gastgeber dank der Wahnsinns-Paraden von Torhüter Guillermo Ochoa ein 0:0 abgerungen und den favorisierten Kroaten beim 3:1 nicht den Hauch einer Chance gelassen.

Dabei war die Nationalmannschaft Mitte 2013 am Boden. Die WM-Qualifikation verlief höchst chaotisch; Mexiko reihte ein schwaches Spiel ans andere, verschliss mehrere Trainer und musste ernsthaft um die Teilnahme an der Endrunde in Brasilien bangen.

Verhandeln? Nicht mit Herrera

Nach den blamablen Auftritten gegen Honduras (1:2) und die USA (0:2) verpflichtete der mexikanische Verband im September 2013 Miguel Herrera als Coach. Das 1,68 Meter kleine Energiebündel ging volles Risiko. Er stellte das System um und machte deutlich, dass etwaige Diskussionen über Spielweise und Taktik ins Nichts führen würden, da sein 5-3-2 nicht verhandelbar sei.

Herrera vertraute zunächst nur Spielern aus der mexikanischen Liga, überwiegend vom Klub America, den er zuvor zum Meisterttitel geführt hatte und dessen Akteure mit dem neuen System bereits vertraut waren. Für die WM integrierte er die in Mexiko nicht besonders beliebten Legionäre wie Javier Hernandez von Manchester United. Carlos Vela, der nach mehreren Sexpartys im Kreise von El Tri suspendiert worden war, konnte er dagegen nicht zu einem Comeback in der Nationalmannschaft überreden.

Um das Vertrauen der Mexikaner zurückzugewinnen und in Richtung WM so etwas wie Euphorie zu entfachen, tourte Herrera in den Wochen vor Turnierbeginn durch Talk- und Comedyshows.

Schlüsselfigur Vazquez fehlt

Der Coach hat offenbar den Nerv der Mexikaner getroffen, insbesondere den seiner Spieler. "Unser Trainer ist nicht nur positiv verrückt und kann motivieren, er stellt uns auch taktisch sehr gut auf die Spiele ein", sagte Mittefeldspieler Andres Guardado.

Dabei vertraut Herrera einer fixen Startelf. Als einzige Mannschaft lief Mexiko in der Vorrunde stets mit den gleichen elf Spielern auf. Kapitän Rafael Marquez ist Chef der Fünferkette mit den offensiven Außenverteidigern Paul Aguilar und Miguel Layun. Jose Juan Vazquez ist Mexikos Schlüsselfigur im Mittelfeld, er verbindet Abwehr und Angriff.

Umso mehr trifft Mexiko Vazquez' Ausfall wegen einer Gelbsperre. "Mit ihm verlieren wir einen sehr wichtigen Teil unseres Spiels", sagte Guardado. Herrera legte sich bereits auf einen Ersatz fest. "Carlos Salcido wird spielen. Ich vertraue ihm voll und ganz", sagte der Trainer.

Auch Chicharito reiht sich ein

Mexikos Offensivspiel wird maßgeblich von Guardado und Hector Herrera bestimmt. Beide sind extrem laufstark, gehen weite Wege und kurbeln Mexikos überzeugendes Umschaltspiel an. Ganz vorne warten Giovanni dos Santos und Oribe Peralta auf verwertbare Bälle, wobei Peralta öfter auf die Flügel ausweicht oder sich fallen lässt.

Für Javier Hernandez reichte es bislang nur zu Kurzeinsätzen, aber auch Chicharito stellt sich in den Dienst der Mannschaft. Gegen Kroatien erzielte er nach seiner Einwechslung das 3:0. "Demut, Arbeit und Kameradschaft sind unsere Tugenden. Wir sind eine Einheit, die Geschichte schreiben will", twitterte Hector Moreno.

Dafür muss erstmal Oranje aus dem Weg geräumt werden. Herrera setzt dabei vor allem auf die Mittagshitze im Spielort Fortaleza. "Hoffentlich scheint die Sonne stark. Wir wollen sie körperlich killen", sagte Herrera.

Kein Sex, kein Alkohol

Das Mindeste, was er von seiner Mannschaft verlangt, ist absolute Hingabe. "Wir haben unser Land gut repräsentiert und wollen unsere Landsleute noch ein bisschen stolzer machen. Das geht aber nur mit vollem Einsatz, maximaler Konzentration und Mut", so Herrera.

Vorab ernteten die Mexikaner jede Menge Lob vom Gegner. "Mexiko ist stärker als Chile", sagte Bondscoach Louis van Gaal. Für Arjen Robben ist Mexiko gar eine "fantastische Mannschaft". "Hunderttausend Menschen haben mir gesagt, dass unser Weg frei ist bis ins Halbfinale mit den Gegnern Mexiko, Costa Rica und Griechenland. Das ist Blödsinn. Mexiko wird schon eine schwere Nummer", so Robben.

Ganz Mexiko hofft, dass Herreras Anordnung eines asketischen Lebens noch eine Weile andauert. Der Trainer hat seinen Spielern strikt verboten, rohes Fleisch und Alkohol zu sich zu nehmen. Sex und rauchen geht auch gar nicht. "40 Tage kann man ruhig mal fasten", sagte Herrera. Der 40. Tag vom Mexikos Brasilienreise ist der 13. Juli - der Tag des Finals.

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