Lukas Raeder vom VfB Lübeck im Interview: "Ich musste meinen Müll auf meine Nachbarn verteilen"

Von Max Schrader
Lukas Raeder absolvierte für den FC Bayern zwei Bundesliga-Spiele.
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Vor einigen Jahren galt Lukas Raeder als einer der talentiertesten Torhüter Deutschlands. 2012 wechselte er zum FC Bayern München. Nach einem entscheidenden Fehler bei den FCB-Amateuren wechselte Raeder ins Ausland. Aktuell steht der 26-Jährige bei Viertligist VfB Lübeck im Tor.

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Dieser Artikel wurde im März 2020 veröffentlicht.

Im Interview mit SPOX und Goal spricht Raeder über seine Zeit beim FC Bayern, die Abenteuer in Portugal und England und seinen Neuanfang in Lübeck.

Außerdem äußert sich Raeder zum vermeintlichen Interesse des BVB und erklärt, weshalb ein Gehaltsverzicht in Zeiten der Corona-Krise eine Selbstverständlichkeit für ihn wäre.

Herr Raeder, Sie sind in Essen geboren, haben in Ihrer Jugend für den MSV Duisburg und RWE gespielt und sind 2010 als 16-Jähriger in die Nachwuchsabteilung von Schalke 04 gewechselt. Wie erinnern Sie sich?

Lukas Raeder: Es war ein großer Schritt, in Essen hätte ich es mir einfacher machen können. Das erste Jahr auf Schalke war auch sehr schwierig, da ich nur zehn Spiele absolvieren durfte. Als ich in meinem zweiten Jahr in der U19 der Stammtorwart wurde, wusste ich aber, dass es mit der Profikarriere klappen könnte. Nebenher den Schulabschluss zu machen, war auch eine echte Herausforderung. Auf der Gesamtschule, mit der Schalke kooperierte, hatte man oft extrem lange Tage, um den verpassten Stoff aufzuholen. Von 8 bis 20 Uhr in der Schule zu sein und keine Ruhe zu haben, das war schon hart.

2012 verließen Sie die Schalker U19 aufgrund mangelnder Perspektiven und wechselten zum FC Bayern München - das kam damals überraschend.

Raeder: Ich hätte bei Schalke nicht einmal mit den Profis trainieren dürfen, da es dort ein Überangebot an Torhütern gab. Man wollte mich schon halten und es waren auch einige Menschen nach meiner Entscheidung enttäuscht. Der Schritt nach München fiel mir relativ leicht, denn dort trainierte ich mit der ersten Mannschaft und sammelte bei den Amateuren in der Regionalliga Spielpraxis. Es war überwältigend, das erste Mal in der Bayern-Kabine vor den ganzen Stars zu stehen. Mit der Zeit spielte sich das natürlich ein und wir hatten untereinander einen sehr lockeren, offenen Austausch.

SPOX-Mitarbeiter Max Schrader traf Lukas Raeder im Stadion an der Lohmühle, der Heimstätte des VfB Lübeck, zum Gespräch.
© SPOX
SPOX-Mitarbeiter Max Schrader traf Lukas Raeder im Stadion an der Lohmühle, der Heimstätte des VfB Lübeck, zum Gespräch.

Lukas Raeder über das Training mit Pep Guardiola und Manuel Neuer

Ihr Trainer in der U23 war Erik ten Hag, bei den Profis Pep Guardiola. Wie sah Guardiolas Austausch mit den Torhütern aus?

Raeder: Er hat spielerisch von uns sehr viel verlangt. Der Torhüter wurde oft ins Training einbezogen, um das Herausspielen zu üben. Manuel Neuer konnte das alles perfekt. Manchmal musste man aber auch einen langen Ball spielen. Wenn das passierte, obwohl es andere Möglichkeiten gab, hat einen Pep aber nicht angeschnauzt. Dafür fanden nach dem Training Gespräche statt, in denen er mir Lösungen für solche Situationen aufzeigte.

Wie eng war Ihr Draht zum damaligen Sportvorstand Matthias Sammer?

Raeder: Er wollte nicht, dass wir jungen Spieler abheben oder uns etwas einbilden, nur weil wir beim FC Bayern spielen. Dafür hat er sehr gesorgt und uns außerdem in die Pflicht genommen, in der U23 eine Führungsrolle zu übernehmen. Gespräche mit ihm waren sehr professionell. Da hat man sich sehr konkret und nicht über Gott und die Welt unterhalten. Er hat mir auch enorm bei meiner Knie-OP geholfen. Ich hätte auch darauf verzichten können, aber er wollte nicht, dass ich mir einen Knorpelschaden zuziehe und noch mehr kaputtgeht.

Sie sprechen Ihren Kreuzbandriss an: Im ersten Jahr bei den Bayern-Amateuren spielten Sie regelmäßig, doch dann folgte die Ruptur.

Raeder: Ich wollte es gar nicht wahrhaben, da ich keine Beschwerden hatte. Es ging dann eben um die Frage, ob ich mich operieren lasse oder nicht. In Absprache mit den Ärzten und Matthias Sammer haben wir uns für die OP entschieden. Im Nachhinein bin ich sehr froh darüber, dass mir das bei den Bayern passiert ist. Eine solche medizinische Behandlung hätte ich nirgendwo sonst bekommen.

Matthias Sammer beriet Lukas Raeder bei seiner Knie-OP.
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Matthias Sammer beriet Lukas Raeder bei seiner Knie-OP.

Lukas Raeder über seinen Abschied vom FC Bayern

Ihre Zeit beim FC Bayern nahm 2014 ein unrühmliches Ende. In Ihrem letzten Spiel unterlief Ihnen im entscheidenden Relegationsspiel gegen Fortuna Köln ein schwerer Fehler, weshalb der Aufstieg in letzter Sekunde misslang. Wie sind Sie anschließend vor allem auch mit den Anfeindungen im Internet gegen Sie umgegangen?

Raeder: Ich habe mir nichts davon durchgelesen, weil mir diese Kommentare egal waren. Aber natürlich kommt man nicht ganz daran vorbei. Viele meiner Freunde haben das gelesen und sind damit zu mir gekommen. Die meisten dachten, es wäre mir egal, weil es mein letztes Spiel für den FC Bayern war und ich mich dann ja eh verpissen würde. Letztlich war es ein normaler Fehler, der jederzeit passieren kann. Für den Verein und die Nachwuchsförderung war der Zeitpunkt natürlich maximal unglücklich.

Nachdem Ihr Vertrag beim FCB in gegenseitigem Einvernehmen nicht verlängert wurde, wechselten Sie zum portugiesischen Erstligisten Vitoria Setubal. Wieso sind Sie nicht in Deutschland geblieben?

Raeder: Deutschland ist ein Torwart-Land, in dem es damals relativ schwer war, einen ambitionierten Zweitligisten zu finden, der noch keinen Stammkeeper hatte. Ich habe viele verschiedene Gespräche geführt und mich am Ende für die beste sportliche Perspektive entschieden.

Wie war Ihr erster Eindruck des Klubs, in dem einst Jose Mourinho seine Spielerkarriere startete?

Raeder: Die Infrastruktur war alles andere als zufriedenstellend, doch wie ich mit der Zeit lernte, wäre sie an einigen anderen Standorten in Portugal noch schlechter gewesen. Wir hatten schlichtweg keinen Trainingsplatz, sondern haben in unserem Stadion trainiert. Wenn dort der Rasen nicht bespielt werden durfte, mussten wir zu anderen Vereinen ausweichen. Mourinho war ein wenig allgegenwärtig, von ihm hingen mehrere Fotos im Kabinengang. Auch die Vereinsmitarbeiter waren extrem stolz, dass so jemand einmal für ihren Klub spielte. Kennengelernt habe ich ihn jedoch nicht, seine Eltern wohnen aber noch dort.

In welcher Hinsicht war der Kulturschock am größten?

Raeder: Ich habe sehr viele Erfahrungen mit dem Thema Pünktlichkeit gemacht. (lacht) Ob bei der Steuererklärung oder grundsätzlich auf den Ämtern, man musste immer viel Zeit mitbringen. Dort strebte niemand danach, alles schnell zu erledigen. Auch das Training begann immer nach Gefühl. Es wurde einem eine ungefähre Uhrzeit genannt, aber es kam oft vor, dass erst 15 Minuten später begonnen wurde. Das lag gar nicht einmal immer an den Spielern, sondern auch mal am Trainer. Ob untereinander oder mit den Fans, man unterhielt sich einfach gerne. Als Deutscher war das anfangs teils sehr frustrierend. Ich habe aber gelernt: Wenn man sich nicht darüber aufregt, erträgt man es besser. (lacht)

Raeder: "Ich musste meinen Müll auf meine Nachbarn verteilen"

Stimmt es, dass Sie zu Beginn Ihres Lebens dort auch keine Mülltonnen besaßen?

Raeder: Ja, darauf wartete ich Monate. Ich musste meinen Müll auf meine Nachbarn verteilen und in deren Tonnen tun. So lernte man sich wenigstens gleich kennen. Anfangs hatte ich auch noch keinen Wasser- und Gasanschluss. Die Handwerker kamen ebenfalls nach Gefühl und meist war ich dann nicht zu Hause. Auch das dauerte ewig, bis wir uns mal über den Weg gelaufen sind.

Sie blieben in Setubal für drei Jahre. Es begann dort gut für Sie, doch mit der Zeit kamen Sie immer unregelmäßiger zum Einsatz. In der dritten Saison spielten Sie schließlich gar keine Rolle mehr. Wie blicken Sie darauf zurück?

Raeder: Im ersten Jahr war ich noch Stammtorwart. Der Trainer nahm mich nur deshalb heraus, um ein Zeichen zu setzen. Danach spielte ich auch wieder und war zufrieden. Im zweiten Jahr wendete sich jedoch das Blatt und ich durfte kaum noch ran. Damals war ich mit einem Verein aus Deutschland schon sehr weit und bekam von Setubal auch die Freigabe. Vitoria verpflichtete daraufhin einen neuen Torwart, doch mein angedachter Wechsel zerschlug sich im letzten Moment. Und plötzlich musste ich ein Jahr lang zuschauen. Ich habe mir die Zeit dort insgesamt anders vorgestellt, aber ich bereue sie nicht.

Lukas Raeder: Seine Karrierestationen im Überblick

SaisonVerein
2010 - 2012FC Schalke 04
2012 - 2014FC Bayern München
2014 - 2017Vitoria Setubal
2017 - 2018Bradford City
2018 - 2019Rot-Weiss Essen
Seit 2019VfB Lübeck
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