Ricardo Quaresma: Der Buhmann

Von Serdar Bilican
Abfahrt? Besiktas will Ricardo Quaresma nur noch loswerden
© anadolu

Er wurde als Superstar geholt und vergöttert. Inzwischen würde Besiktas Ricardo Quaresma lieber heute als morgen verjagen. Für seinen Absturz hat der portugiesische Supertechniker selbst gesorgt.

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Es begann wie immer: Tausende Fans am Flughafen, die den Superstar empfangen und auf Schultern aus dem Gebäude tragen.

Bei Ricardo Quaresma war es im Juni 2010 eine Spur heftiger. Der Atatürk-Airport zu Istanbul drohte buchstäblich auseinander zu fallen, als der neue Mann vom Himmel fiel. Tausende Besiktas-Fans waren gekommen, um "Q7" die Ehre zu erweisen.

Dabei hatte zunächst niemand daran geglaubt, dass er überhaupt kommen würde. Nach wochenlangen Verhandlungen gab er dann doch sein Ja-Wort. 7,3 Millionen Euro Ablöse zahlte Besiktas an Inter Mailand für den portugiesischen Nationalspieler.

Dazu gab es einen Drei-Jahres-Vertrag, der auf elf Millionen Euro dotiert wurde. Bei der Vorstellung im Inönü-Stadion waren 16.000 Fans zugegen, die quasi vom Flughafen ins Stadion überwanderten.

Schnell zum Sündenbock erklärt

Quaresmas erste Worte richteten sich an die Fans: "Ich bin für euch hierher gekommen. Ich bin sehr glücklich und spüre, dass ich in einem sehr großen Klub gelandet bin. Ich verspreche euch, dass ich alles geben werde, um die Meisterschaft zu holen."

Obwohl Quaresma in seiner ersten Saison mit elf Toren und 16 Vorlagen in 39 Pflichtspielen quotentechnisch vollauf überzeugte, blieb Besiktas, das sich zudem noch mit Guti, Simao, Manuel Fernandes und Hugo Almeida verstärkt hatte, mit dem fünften Platz deutlich unter den Erwartungen.

Dazu war auch in der Europa League schon in der Zwischenrunde Schluss. Quaresma wurde ob seiner eigenwilligen, selbstverliebten Art schnell zum Sündenbock erklärt.

In der nächsten Saison wurde die Situation dramatischer. Quaresma erzielte seinen ersten Saisontreffer erst am 12. Spieltag gegen Trabzonspor. Wieder waren alle Augen auf ihn gerichtet, die Medien verfolgten vor allem seine Aktivitäten abseits des Fußballs auf Schritt und Tritt.

Wieder kam er auf respektable Zahlen - sieben Tore, elf Vorlagen in 34 Spielen -, doch in den Medien war er längst als undiszipliniert und egozentrisch abgestempelt. Sein divenhaftes Verhalten wurde ihm angekreidet. Auch um sein Verhältnis zu Trainer Carlos Carvalhal war es nicht zum Besten bestellt.

Zoff um das Gehalt

Gerüchte, wonach Besiktas seinen schwächelnden Star loswerden wolle, gab es schon damals. Zumal der Klub in finanziellen Nöten steckte.

Zum Bruch kam es im vergangenen Sommer nach dem Wechsel an der Klubspitze. Fikret Orman übernahm die Geschäfte von Yildirim Demirören, der zum Präsidenten des türkischen Fußball-Verbands aufgestiegen war.

Der neue Präsident machte sich gleich an die dringendste Aufgabe, der grassierenden Finanzkrise entgegen zu treten. Orman forderte die Spieler zu Gehaltseinbußen auf, und fand dabei durchaus bei vielen Gehör, doch bei einem biss er auf Granit: Ricardo Quaresma. Der Portugiese, mit 3,75 Millionen Euro Jahresgage der Topverdiener bei Besiktas, ging auf keinerlei Vorschläge ein und lehnte jeglichen Beitrag zum Wohle des Klubs ab.

Daraufhin griff der Vorstand knallhart durch und schloss ihn von Spiel- und Trainingsbetrieb aus. Damit einher ging die Freigabe. Quaresma sollte verkauft werden.

"Quaresma ist der teuerste Spieler im Kader. Ein Veli Kavlak verdient ein Zehntel von dem, was Quaresma verdient. Das haben wir unseren Spielern verständlich gemacht und haben auch mit Quaresma gesprochen. Wir haben gesagt, dass wir diese Gelder nicht mehr bezahlen können. Wir wollten seinen Vertrag mit verminderten Bezügen sogar verlängern, doch das hat er nicht akzeptiert. Auch Simao war dagegen und musste gehen", sagte Orman.

Das Problem: Quaresmas Gehaltsvorstellungen wollte auch kein möglicher neuer Arbeitgeber entsprechen, sodass es nie zu ernsthaften Verhandlungen kam. Zum Istanbuler Stadtrivalen Galatasaray, der durchaus Interesse hatte, wollte man ihn nicht ziehen lassen. Nicht auszudenken, wenn Quaresmas Leistungen beim Erzfeind explodiert wären. Die Besiktas-Fans wären vermutlich auf die Barrikaden gegangen.

Die vermeintliche Wende

So blieb Besiktas auf Quaresma sitzen, versuchte aber, das Beste aus der verfahrenen Situation herauszuholen. Alle Annäherungsversuche blieben aber ergebnislos, weil sich der Spieler weiterhin beharrlich weigerte, auf Geld zu verzichten.

Eine Wende zeichnete sich dann aber nach dem 0:3 im Derby gegen Fenerbahce Anfang Oktober ab. Allem Anschein nach schien der Ausgebootete den Machtkampf zu seinen Gunsten entschieden zu haben. Die schlechte sportliche Situation, Besiktas belegte mit acht Punkten aus sieben Spielen nur Rang elf, hatte die Verantwortlichen offenbar weichgekocht. Quaresma stand vor dem Comeback.

Besser noch: Es hieß, der Spieler sei nun doch bereit, zur finanziellen Genesung des Klubs beizutragen. 750.000 Euro Gehaltsabzug standen im Raum. Es schien zur Wiedervereinigung zwischen dem stolzen Klub und seinem kapriziösen Superstar zu kommen, doch dann platzte die Bombe.

Quaresma ließ aus seiner portugiesischen Heimat verlauten: "Ich habe es mir anders überlegt. Ich bleibe doch bei den 3,75 Millionen Euro." Daraufhin riss Klub-Chef Orman der Geduldsfaden: "Mit dieser Antwort hat Quaresma seine Karriere bei Besiktas beendet. Letzte Woche hat er gesagt, dass er für drei Millionen Euro auflaufen würde. Funktionär Tamer Kiran und Ahmet Kavalci wollten dem Spieler entgegenkommen, auch der Spieler selbst sollte das tun. Da habe ich mein Okay gegeben. Diese Woche hat er wieder 3,75 Millionen verlangt. Das ist doch hier kein Kinderspiel."

Quaresmas Kritik

Eine andere Version der Geschichte wusste Quaresma zu erzählen. Niemand habe mit ihm gesprochen, niemand sei an ihn herangetreten. Überhaupt sei an allem kein wahres Wörtchen dran: "Ich wollte den Verein nicht unter diesen Umständen verlassen, aber es kursieren etliche Gerüchte, die nicht stimmen. Weder hat der Verein ein klärendes Gespräch mit mir gesucht, noch über etwaige finanzielle Gegenleistungen mit mir gesprochen. So etwas hätte viel früher besprochen werden müssen."

Und: "Ich habe immer versucht, dem Verein zu helfen und meinen Beitrag zu leisten, aber selbiges Entgegenkommen habe ich von Seiten des Vereins nicht gesehen."

Dass auch Trainer Samet Aybaba Quaresma öffentlich kritisierte, miesfiel dem Portugiesen: "Er kennt mich überhaupt nicht."

Warme Worte findet Quaresma nur gegenüber den Anhängern: "Ich möchte mich bei den Fans bedanken. Seit meiner Ankunft unterstützen sie mich hingebungsvoll und standen mir immer nah. Ich kann sagen, dass es die besten Anhänger sind, die ich je gesehen habe. Ich hätte hier unter den Anfeuerungsrufen der Fans meine Karriere beenden können, aber wir sehen, dass dies mit diesem Vorstand und diesem Trainer nicht möglich scheint."

Festnahme in Portugal

Zweifel am einwandfreien Betragen des Spielers sind zumindest erlaubt, sofern nicht alle Gerüchte um ihn frei erfunden sein sollten. So hieß es, Quaresma habe Besiktas' Zeugwart angepinkelt. In Portugal wurde er vorübergehend festgenommen, weil er einen Polizisten tätlich angriff.

Bei den Fans werden die Rufe nach dem einstigen Messias immer leiser. Besiktas hat sich sportlich stabilisiert, die Stimmunglage ist entspannter.

Quaresma, der noch im EM-Kader Portugals in Polen und in der Ukraine stand, steht vor einer ungewissen Zukunft. Mit 29 Jahren ist es für einen Neuanfang nicht zu spät, allzu viel Zeit leichtfertig zu verschwenden, kann er sich aber nicht leisten.

Eins ist sicher: Wenn er die Türkei womöglich im Winter wieder verlässt, wird der Istanbuler Flughafen einen ruhigeren Tag erleben als damals im Juni 2010.

Der Besiktas-Kader im Überblick