Kolumne Auswärtsspiel - Vinícius Júnior von Real Madrid: Der Rassismus hat längst gewonnen

Von Fatih Demireli
Vinícius kämpft nicht gegen andere Fußballgrößen, sondern gegen die pure Hässlichkeit des Rassismus.
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Vinícius Júnior ist einer der besten Fußballer der Welt und wird irgendwann wohl den Ballon d'Or gewinnen. Doch der Brasilianer kämpft derzeit nicht gegen andere Fußballgrößen, sondern gegen die pure Hässlichkeit des Rassismus. Die schlechte Nachricht: Er wird ihn nicht gewinnen - nicht er, nicht andere.

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Man müsste an dieser Stelle über den hervorragenden Saisonstart von Vinícius Júnior berichten. Wie er in Abwesenheit des verletzten Karim Benzema für Real Madrid entscheidend ist und nach sechs Ligaspielen schon vier Tore und zwei Vorlagen vorweisen kann. Wie er in zwei Champions-League-Spielen ein Tor und eine Vorlage beisteuerte.

Vinícius ist längst nicht mehr nur schnell, trickreich und atemberaubend, wenn er auf dem Platz steht, er ist auch äußerst effektiv und gewinnbringend für seine Mannschaft. Wenn im November die WM in Katar beginnt, wird Brasilien zu den Favoriten gehören, weil die Südamerikaner Vinícius Júnior in ihren Reihen haben. Er ist längst in der Weltelite angekommen. Und da er erst 22 Jahre alt ist, kann man sich gar nicht ausmalen, wohin die Reise noch gehen kann.

Aber leider wird derzeit viel zu wenig über den Fußballer Vinícius Júnior gesprochen. Man könnte so viele Stunden damit verbringen, sich gegenseitig zu erzählen, wie Vinicius dieses und jenes kann, aber man spricht über den dunkelhäutigen Jungen aus São Gonçalo zu Rio de Janeiro, der von ein paar ganz schlechten Menschen rassistisch angegangen wird. Sie haben für sich eine Aufmerksamkeit geschaffen, die sie nicht verdienen, aber sie haben es wieder geschafft.

Vinícius Júnior: "Musst aufhören, den Affen zu spielen"

Was war geschehen? Pedro Bravo, Präsident der Vereinigung der spanischen Spielerberater, kritisierte die Tanzeinlagen des 22-Jährigen nach Toren und bezeichnete ihn als "Affen". Bravo sagte in der Sendung El Chiringuito: "Du musst deinen Gegner respektieren. Wenn du ein Tor schießt und dann Samba tanzen willst, dann solltest du zum Sambódromo in Brasilien gehen. Du musst deine Gegner respektieren und aufhören, den Affen zu spielen."

Der Moderator der Sendung griff sofort ein und ließ Pedro Bravo nicht weitersprechen, doch der Skandal war da bereits entstanden. Schnell wuchs eine Entrüstung über die Äußerungen Bravos und Vinícius Júnior äußerte sich daraufhin auch in den sozialen Medien. Aber die Zuspitzung der Ereignisse erfolgte dann Tage später im Derby, als im Vorfeld zahlreiche Atlético-Fans ein Lied anstimmten, in dem sie Vinícius Júnior als "Affen" bezeichneten.

Im Spiel wurde Vinícius Júnior am lautesten ausgepfiffen. Als der Brasilianer mit seinem Landsmann Rodrygo dessen Tor bejubelte und wieder seinen Tanz zeigte, wurde er mit Gegenständen beworfen. Es ist eine Tragödie, dass die Entrüstung nach Bravos Äußerungen, die weltweite Anteilnahme, einige Menschen nicht davor zurückschrecken ließen, den Brasilianer weiter rassistisch anzugehen. Es ist eine Tragödie, dass Maßnahmen nicht mehr greifen.

Dani Alves: "Europa ist voller Rassisten"

Was denken sich eigentlich Atléticos dunkelhäutige Spieler wie Geoffrey Kondogbia, Axel Witsel, Thomas Lemar und Co.? Was denkt sich Vinícius Júniors Landsmann Matheus Cunha? Was denken sie darüber oder haben sie Angst, dass sie bei der ersten Krise selbst Opfer von Rassismus werden? Auszuschließen ist es nicht, denn Fälle dieser Art sind leider längst salonfähig geworden.

Dani Alves, einer der besten Rechtsverteidiger der letzten Jahrzehnte, platzte zuletzt der Kragen. Er schrieb bei Twitter: "Meine Herren, das wahre Problem ist, dass Europa voller Rassisten ist und sie nicht akzeptieren, dass andere Nationalitäten in ihrem Land mehr auffallen als sie selbst. Ich habe das an fast jedem Ort dort erlebt."

Er antwortete einem Journalisten, der versucht hatte, die Rufe der Atlético-Fans zu begründen und dabei den Tanz des Brasilianers erwähnte. Welch Ignoranz des eigentlichen Problems. Viel schlimmer ist, dass die spanischen Klubs dieses Problem halbherzig angehen. Zwar verurteilten beide Klubs jegliche Art von Rassismus, aber mehr als ein paar Zeilen waren nicht drin.

Beide Trainer, Diego Simeone und Carlo Ancelotti, widmeten den Ereignissen vor und während des Spiels keine einzige Silbe. Bei seiner Pressekonferenz vor dem Spiel weigerte sich Simeone, sich in die Angelegenheit einzumischen und sagte nur, dass "dies die Gesellschaft ist, in der wir leben".

Neymar ist seinem brasilianischen Teamkollegen Vinícius zur Seite gesprungen.
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Neymar ist seinem brasilianischen Teamkollegen Vinícius zur Seite gesprungen.

Neymar und Co. im Schulterschluss mit Vinícius Júnior

Der ehemalige Real-Spieler Alvaro Morata sagte nicht viel mehr: "Vinícius ist ein guter Junge, er will niemanden beleidigen." Immerhin, aber auch nicht genug. Auch der spanische Verband und die Liga spulen immer nur ihr Standardprogramm ab, verurteilen in vorgefertigten Sätzen den Rassismus und gehen dann wieder zur Tagesordnung über.

Als im April 2021 Valencias Verteidiger Mouctar Diakhaby das Spielfeld verließ, nachdem er behauptet hatte, von Cádiz' Innenverteidiger Juan Cala rassistisch beleidigt worden zu sein, passierte - nichts. Cala bestritt die Vorwürfe und bekam Recht. Es wurde keine Strafe verhängt.

So bleibt den Spielern nur die Selbstverteidigung und der Schulterschluss mit anderen Kollegen. Neymar zelebrierte den Tanz von Vinícius Júnior genauso wie Gabriel Jesus und andere Größen im Fußball. So bleiben sie allein unter sich, die Opfer und die potenziellen Opfer und versuchen, sich gegenseitig zu unterstützen.

Das Problem Rassismus bleibt aber bestehen. Letztlich ist es kein Problem des Fußballs, sondern der Welt, in der wir leben - da hatte Simeone sogar Recht. Das Umfeld Fußball ist eine willkommene Plattform, Rassismus in jeglicher Stufe auszuleben, weil ein Fußballstadion oft immer noch ein rechtsfreier Raum ist. So traurig es klingt: Aber solange die Vereinsfarben heiliger sind als ein Mensch, wird der Rassismus immer siegen - und letztlich hat er damit schon gewonnen.

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