Monchi: Heiland mit Burnout

Monchi übernahm 2000 den Posten des Sportdirektors beim FC Sevilla
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Der FC Sevilla steht vor dem Supercopa-Finale und dem 1. Spieltag von LaLiga (Sa., 22.15 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) mal wieder vor einer Mammutaufgabe. Nach den Abgängen unzähliger Stars muss der Klub sich erneut neu erfinden. Es ist ein gewolltes Szenario und Teil des erfolgreichen Geschäftsmodells des Vereins. Nach 50 Jahren ohne Titel gab's zuletzt neun in einem Jahrzehnt. Vater des Erfolges ist Sportdirektor Monchi. Dieser wirkte zuletzt jedoch ausgelaugt.

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Sevillas Trainer Unai Emery hatte die Schwachstelle in seinem Team schnell erkannt. Der Abschied von Ivan Rakitic in Richtung Barcelona werde eine riesige Lücke in die Zentrale reißen und die Saison 2014/2015 zur Qual werden lassen, stellte der Spanier fest. Deshalb suchte der Coach früh das Gespräch mit seinem Sportdirektor und erläuterte ihm das Problem: Er brauche einen großen und körperlich starken Mittelfeldmann, der eher defensiv orientiert ist. Sein Gegenüber, Ramon Rodriguez Verdejo, nickte. Ganz so, als wolle er ihm in bester Mafia-Manier sagen, dass er sich darum kümmere.

Wochen später hatte er des Rätsels Lösung gefunden. Der Sportdirektor des FC Sevilla stellte seinem Trainer einen 24-jährigen Polen vom französischen Erstligisten Stade Reims vor, der exakt den gewünschten Vorgaben entsprach. Er sei für gut fünf Millionen Euro zu haben und ein echtes Juwel. Emery fühlte sich ertappt. Er, der emsige Arbeiter und Fußballfreak, hatte keinen blassen Schimmer, wer dieser gewisse Grzegorz Krychowiak eigentlich sei.

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Dennoch bekam er ihn von seinem Vorgesetzten vor die Nase gesetzt und musste nun mit ihm arbeiten. "Wenn er ihn nicht kennt, muss er mir einfach vertrauen", erklärte Sportdirektor Rodriguez immer wieder achselzuckend.

So ist seit eineinhalb Jahrzehnten eben die Aufgabenverteilung beim FC Sevilla: Der Trainer kann seinen Wunschzettel zwar einreichen, die Verpflichtungen sind aber einfach Chefsache. Eine Sache für den Mann, den sie alle nur Monchi nennen.

Knuffiger Spitzname? Normalität

Sein knuffiger Spitzname mag aus deutscher Sicht zunächst auf eine Anekdote hindeuten, ist letztlich aber durchaus gewöhnlich in Spanien. Während die Iberer aus Francisco einfachheitshalber Paco und aus Jose Pepe machen, wird aus Ramon eben Monchi, Moncho oder auch Monchu. "Schon meine Mutter hat mich so genannt", verriet der heute 47-Jährige der Tageswoche. "Ich hatte Monchi sogar auf dem Trikot stehen."

Rund zehn Jahre streifte er sich Woche für Woche dieses Trikot über. Wirklich oft zu sehen war sein Name auf dem Rücken dennoch nicht. Meist hatte er über dem Jersey noch einen Pullover oder ein Leibchen an. Denn den Großteil seiner aktiven Karriere verbrachte der Sevilla-Torwart auf der Bank, als Ersatzmann für Legende Juan Carlos Unzue. Hier und da sprangen einige Minuten für ihn heraus, aus sportlicher Sicht verkrafteten die Sevillistas sein Karriereende im Jahr 1999 jedoch schnell.

Sevilla am Abgrund: Moneyball lässt grüßen

Die Klubführung wollte den Keeper trotzdem nicht einfach ziehen lassen. Nur ein Jahr nach seinem sportlichen Abschied wurde Monchi Sportdirektor bei den Andalusiern und bekam eine Herkulesaufgabe aufgeladen. Er sollte den gerade in die 2. Liga abgestiegenen FC Sevilla möglichst schnell wieder ins Oberhaus führen, nebenbei die katastrophale Bilanz kitten, eine grundsolide Jugendförderung einrichten und ein funktionierendes Scouting installieren. Kurzum: Er solle den Klub neu erfinden.

Am Reißbrett entwickelte Monchi schnell eine Strategie, mit der die Umsetzung der Ziele gelingen sollten. Nach einer bahnbrechenden Idee hörte sich seine Lösung allerdings nicht an: Er wollte unterschätzte Spieler kaufen und wenig später teurer wiederverkaufen. Der FC Porto, Olympique Lyon und die spanischen Klubs Celta de Vigo und Real Saragossa sollten dabei als Vorbild dienen.

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"Unsere gewöhnlichen Einnahmen reichten dazu aus, ein Mittelklasse-Club zu sein - was Sevilla bis dahin immer gewesen war. Damit wir über unsere eigentlichen Möglichkeiten hinaus wachsen konnten, mussten wir günstige Spieler entdecken, mit ihnen einen Mehrwert erzielen und diesen Mehrwert reinvestieren. Uns war klar, dass es ein riskantes und schwieriges Modell ist", erklärt Monchi.

16 Leute hat der Spanier inzwischen in seine engere Scouting-Abteilung eingegliedert. Speziell außerhalb des Transferfensters ist es deren Aufgabe, ohne genaues Ziel die europäischen Ligen zu beobachten und wie verrückt Daten zu hamstern. Immer wieder werden im engen Kreis im Anschluss Auffälligkeiten des Datensatzes analysiert und besprochen. Daraus entsteht eine Liste, auf der rund 250 potenziell interessante Spieler für sämtliche Positionen hinterlegt sind.

"Der Trainer kann sagen, dass er einen beidfüßigen Linksverteidiger will, der rund elf Kilometer pro Spiel rennt, davon 800 Meter im Sprint. Dann spuckt der Computer zehn Spieler aus", erklärt der 47-Jährige sein System. Moneyball lässt grüßen.

Alves, Rakitic, Bacca und Co.

Auch mit Hilfe des grellen Scheinwerferlichts der glamourösen spanischen Liga schaffte es Monchi so, unzählige junge Talente von teilweise kleineren Klubs nach Andalusien zu locken. Einen gewissen Dani Alves verpflichtete er für rund 500.000 Euro von EC Bahia und verkaufte ihn sechs Jahre später für 35 Millionen Euro an den FC Barcelona. Auch Ivan Rakitic, der für 2,5 Millionen Euro aus Gelsenkirchen gekommen war, wurde für die siebenfache Summe wiederverkauft. Die Liste ließe sich mit Spielern wie Adriano, Julio Baptista oder Carlos Bacca ewig fortführen.

Seine Maßnahmen in der Jugend zogen genauso: Sergio Ramos, Jesus Navas, Alberto Moreno, Luis Alberto und Jose Antonio Reyes reiften zu Stars und wurden insgesamt für über 100 Millionen Euro verkauft. Geld, das in die Sanierung des Klubs und neue Talente investiert wurde. Ein finanziell und vor allem sportlich erfolgreicher Kreislauf entstand.

Bis der Ex-Keeper bei Sevilla das Ruder übernahm, umfasste der Trophäenschrank des Klubs gerade einmal vier Pokale. Allesamt aus grauer Vorzeit. In der Saison 1945/46 gewannen die Blanquirrojos die Meisterschaft, zwei Jahre später den Pokal. Unter der Führung von Monchi gab es alleine in den letzten zehn Jahren neun Pokale. Zweimal gewann Sevilla den spanischen Pokal, jeweils einmal den spanischen und den europäischen Supercup, fünfmal die Europa League, zuletzt sogar dreimal in Folge.

Bierchen mit den Spielern

Das berechnende Transfermodell des Klubs lässt den 47-Jährigen wie einen kühlen und abgezockten Geschäftsmann wirken. Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Immer wieder betont Monchi, dass er ohne den persönlichen Aspekt diese Erfolge nie erreichen könnte.

Da er selbst aktiver Spieler war, kenne er die Sorgen und Nöte der Spieler sehr gut und habe auch deshalb eine enorm enge Beziehung zu ihnen: "Ich spüre es, wenn ein Spieler mal ein Bierchen oder eine Whatsapp-Nachricht braucht. Andererseits aber auch, wenn ich hart sein muss." Monchi will eine Wohlfühlatmosphäre schaffen, in der sich jeder Spieler weiterentwickelt und reifen kann. Sollte dies der Fall sein, komme der Erfolg von ganz alleine.

Auch während der Spiele würde man nicht meinen, dass ausgerechnet der Glatzkopf mit dem Dreitagebart sportlicher Leiter des Vereins ist. In der Loge nimmt er eigentlich nie Platz, dort müsse er schließlich Haltung bewahren. Nichts für ihn. Monchi will seine Freude herausschreien, seinen Nebenmann umarmen und die Tore standesgemäß feiern. "Letztlich bin ich wesentlich mehr Sevillista als Sportdirektor. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber es ist die Realität", sagt er.

Ausgebrannt und zermürbt

Im Frühling 2016 fraß ihn diese enge Bindung zum Klub letztlich fast auf. Monchi war innerlich ausgebrannt, der ständige psychologische Druck zermürbte ihn. Während der Saison sprach er immer wieder mit seiner Familie über seine Gefühle und kam zu dem Entschluss, eine Pause einzulegen.

Offiziell fragte er beim Klub an, ob man den bis 2020 laufenden Vertrag auflösen könne. Der Klub verweigerte ihm den Wunsch. "Ich wollte aufhören und meine Batterien wieder aufladen", so Monchi. Zahlreiche Fans nahmen ihm den Abschiedswunsch übel. Schließlich waren sie überzeugt, dass er den Verein wechseln wollte. Ein Stich in Herz für den brennenden Sevillista.

Ganz ausgegoren scheint die Gemengelage um Monchi noch nicht zu sein. Offiziell sagt er, dass er seine Rolle als Sportdirektor weiter mit voller Inbrunst leben werde und "keinen Millimeter vom Gas" gehe. Wie es in ihm aussieht, weiß er wohl nur selbst.

Für diesen Sommer scheint er seine Arbeit größtenteils sowieso schon wieder erledigt zu haben. Neue Talente sind zum Team gestoßen, die besten Spieler verließen den Klub: Kevin Gameiro zu Atletico Madrid, Ever Banega zu Inter, Coke zu Schalke 04 und Fernando Llorente zu Swansea City.

Auch ein gewisser Grzegorz Krychowiak sagte im Sommer Adios. Für fast 34 Millionen Euro wechselte zu Paris St. Germain. Sein Trainer dort: Unai Emery. Der Fußballfreak, der ihn vor zwei Jahren noch gar nicht kannte.

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