Romantik im Schatten der Blaugrana

Von Oliver Mehring
Der FC Girona könnte erstmals in der Primera Division aufsteigen
© imago

Der chronisch klamme FC Girona pendelte in Spanien lange Zeit zwischen zweiter und vierter Liga. Nun aber hat der katalanische Klub aus der 100.000-Einwohner-Stadt beste Chancen, erstmals in die Primera Division aufzusteigen. Die Zukunft ist zwar ungewiss, doch es besteht wieder Hoffnung.

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Weihnachten 2014: Der FC Girona steht auf dem fünften Tabellenplatz der Segunda Division und hat überschaubare fünf Punkte Rückstand auf Tabellenführer Las Palmas. Da die Gehaltszahlungen jedoch seit Monaten ausbleiben, hängt der Haussegen in der katalanischen Provinz schief. Die Mannschaft hat wenig Lust auf ein vom Verein organisiertes Beisammensein und verzichtet kollektiv auf die angesetzte Weihnachtsfeier. Stattdessen pflegt man in privater Atmosphäre den mannschaftlichen Zusammenhalt und macht sich seine Gedanken zum Verein.

Der Verein, das ist der 1930 gegründete Girona Futbol Club, der sich im vergangenen Jahrhundert zwischen der vierten und zweiten spanischen Liga eingependelt hat - aber noch nie in der Primera Division kickte. Das Stadion Municipal de Montilivi fasst nach mehreren Verkleinerungen mickrige 9282 Plätze.

Das auf einem Hügel gelegenen Rund hat noch nicht viel Spektakuläres gesehen. Abgesehen von einer Hand voll Pokalspielen und dem 50. und 75. Jubiläum des Vereins, als 1980 Real Madrid mit Uli Stielike vorbeikam und 2005 der FC Barcelona mit Ronaldinho zu Gast war, verirrten sich kaum namhafte Vereine nach Girona.

Girona ist Barca-Land

Die fehlende Prominenz auf dem Rasen ist einer der Gründe für das geringe Zuschauerinteresse. Nur 4722 Zuschauer im Schnitt sahen in der vergangenen Saison ein Spiel im Montilivi, in diesem Jahr steht man bei 4960. Der Hauptgrund dafür liegt 90 Kilometer südlich und heißt FC Barcelona. Denn die Provinz Girona ist Barca-Land.

Nahezu jeder stolze Katalane in der Region ist glühender Anhänger der Blaugrana und fährt lieber 70 Minuten in die katalanische Hauptstadt als zehn Minuten auf den Stadionberg vor den Toren der 100.000-Einwohner-Stadt. Zusätzlich konkurriert der Fußball in Girona mit dem Radsport. Die abwechslungsreiche Hügellandschaft in der Umgebung ist ein beliebtes Domizil diverser Radsportgrößen, die dort meist im Frühjahr ihr Training abhalten.

Hinzu kommt, dass der Verein chronisch klamm ist. Daher übernahm im Sommer 2010 ein Konsortium ortsansässiger Geschäftsleute den Klub, doch auch der Verkauf half der wirtschaftlichen Situation nicht entscheidend weiter.

Seit 2008 in der Segunda Division

Nachdem man zusätzlich vergeblich auf Sponsorensuche ging und gegen Teile des Präsidiums wegen Steuerhinterziehung ermittelt wurde, wandte sich der Verein an seine überschaubare Fangemeinde. Unter dem Motto "El Girona FC tambien es mio" ("Der FC Girona ist auch mein") konnten Anhänger Anteile kaufen, um die Schulden auszugleichen. Das Saisonbudget wurde in dieser Zeit von rund acht auf 4,5 Millionen Euro reduziert.

Trotz dieser Finanzschwierigkeiten erscheint die sportliche Bilanz der letzten Jahre positiv. Seit 2008 spielt Girona ununterbrochen in der Segunda Division, 2013 scheiterte man nur knapp an UD Almeria in den Playoffs um den Erstliga-Aufstieg - der bis dato größte Erfolg der Klubgeschichte.

Im Vorjahr kam es allerdings doch um ein Haar zum Kollaps. Erfolgstrainer Rubi schloss sich dem Trainerstab des FC Barcelona an, der neue Sportdirektor Javi Salamero verließ nur zehn Tage nach Dienstantritt schon wieder den Klub und die Schuldenlast zwang die Verantwortlichen, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen.

"Ich mag es eigentlich altmodisch"

Erst die Verpflichtung von Trainer Pablo Machin zahlte sich aus, der 44-Jährige hielt Girona in der Vorsaison gerade noch so in der Liga. Und genau in dieser wirtschaftlichen wie sportlichen Schieflage entwickelte sich ein Märchen, das mit dem neuen Übungsleiter seinen Anfang nahm.

Im ersten Schritt verpasste Machin seinem Team eine stabile Grundordnung, die sich aus einem 5-3-2-System speist und auch in eine Dreierkette übergehen kann. Besonders die taktische Variabilität überrascht dabei die Konkurrenz, Girona passt sich immer wieder an die Spielweise des Gegners an. Machin, der aufgrund seiner taktischen Tüfteleien "La tecla" ("Der Schlüssel") genannt wird, wundert sich allerdings über die viele Aufmerksamkeit, die seine taktische Herangehensweise in Spanien erfährt.

"Vor 20 Jahren haben viele Teams mit dieser Taktik gespielt, doch irgendwann hat jeder versucht, sie zu kopieren. Ähnlich dem 4-3-3 von Barcelonas Guardiola. Ich mag es eigentlich altmodisch: Kenne die Stärken und die Schwächen deines Gegners. Der Rest sind auch nur Punkte und Linien auf der Taktiktafel", sagt Machin.

Bestes Auswärtsteam der Liga

Was das Spielermaterial angeht, war Girona durch den zweitkleinsten Etat der Segunda Division gezwungen, ablösefreie Profis zu verpflichten und diese mit Verträgen von kurzer Dauer auszustatten. "Wir wollten hungrige und vertrauensvolle Spieler, die zudem in der Lage sein sollten, das System rasch zu erlernen. Wir haben nun eine Gruppe von Spielern zusammen, die unbedingt lernen will, dazu ein paar Veteranen, die verdammt wichtig auf dem Platz sind. Wir haben sicher nicht die besten Spieler, aber das beste Team", erklärt der Trainer.

In dieser Saison benötigte Girona zwar ein paar Spieltage Anlaufzeit, doch mittlerweile haben sich die taktischen Vorgaben Machins längst in den Köpfen der Spieler festgesetzt. Beinahe unscheinbar kletterten die Katalanen, das beste Auswärtsteam der Liga, Richtung Tabellenspitze. Vor dem 39. Spieltag an diesem Mittwoch befindet sich der Klub aus der Provinzhauptstadt inzwischen mit 72 Zählern auf dem zweiten Platz, punktgleich mit Aufstiegsfavorit Sporting Gijon.

Obwohl die Aufstiegseuphorie vergangenen Sonntag beim 1:1 gegen Saragossa einen Dämpfer erhielt, ist man in Girona von den eigenen Leistungen überwältigt: "Das alles begann als Traum und entwickelte sich über eine Möglichkeit zu einer Wahrscheinlichkeit. Wir wollen es nun zu einer Wirklichkeit werden lassen", erklärt Abwehrrecke Ricky. Fest steht zumindest jetzt schon, dass man sich für die Playoffs qualifiziert hat, über die der Aufstieg in die Primera Division ebenfalls noch möglich sein wird.

Rettung dank Solarenergie-Betreiber

Gelingt dies tatsächlich, wäre der Fußball um eine romantische Geschichte reicher. Einige Spieler sind echte Girona-Jungs, Dauerbrenner Alex Granell wurde beispielsweise ebenso in der Stadt geboren wie das 22-jährige Mittelfeldtalent Pere Pons. Insgesamt zählt man 14 Spieler im Kader, die in einem Umkreis von 100 Kilometern um Girona aufgewachsen sind.

Neben dem französischen Innenverteidiger Forian Lejeune, dem einzigen Legionär des Teams, und Isaac Becerra, einem ehemaligen Torwart-Talent von Real Madrid, sticht vor allem das Sturmduo Felipe Sanchon und Fran Sandaza hervor. 19 Vereinswechsel haben die beiden Ü-30-Kicker schon auf dem Buckel, in Girona scheint es für beide nun endlich zu passen. Der wendige und nur 1,64 Meter große Sanchon (10 Tore/5 Vorlagen) und der 1,88-Meter-Hüne Sandaza (13/5) ergänzen sich perfekt und bilden das drittgefährlichste Sturmduo der Segunda.

Ob der erstmalige Aufstieg letztlich gelingen wird, entscheiden die nächsten Wochen. Fest steht schon jetzt: Die Mannschaft könnte nach der Saison wohl wieder auseinander fallen. Am Ende der Spielzeit laufen die Hälfte aller Spielerverträge aus, bis auf die Nachwuchshoffnungen Pons und Coris enden alle übrigen Arbeitspapiere zum Abschluss der kommenden Saison.

Hoffnung macht ein Mann namens Patxi Otamendi. Der erfolgreiche Betreiber einer lokalen Firma für Solarenergie erwarb Anfang April den Verein und übernahm zusätzlich die 4,5 Millionen Euro Schulden. Girona ist dadurch fürs Erste gerettet, die Gespräche mit dem Großteil des Kaders laufen bereits und werden weiter forciert. Denn auch hier gilt der Spruch, der seit Saisonbeginn in Gironas Kabine hängt: "Das einzig Unmögliche ist das, was du nicht probierst!"

FC Girona: Der gesamte Kader im Überblick

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