Canales: Reise ins Wunderland

Von Daniel Reimann
Sergio Canales ist das neue Wunderkind des spanischen Fußballs
© Imago

Er gilt als eines der größten Talente Spaniens. Nun unterschrieb Sergio Canales nach einem außergewöhnlichen Wettbieten einen Sechs-Jahres-Vertrag bei Real Madrid. Man vergleicht den 19-Jährigen mit Lionel Messi, dabei ist er schon jetzt ein Feindbild in Barcelona. Für sein erstes Profi-Tor ließ sich Canales von Steven Pienaar inspirieren.

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Ein Leben als Star. Als er gerade 15 Jahre alt war, wurde in der Primera Division bereits über die Transferrechte Sergio Canales Madrazo verhandelt.

Zwei Jahre später gab Canales im Alter von 17 Jahren sein Profidebüt für Racing Santander. So etwas mag vorkommen im Fußball. Doch das Wettbieten um das angebliche Mittelfeldgenie im Januar diesen Jahres war ein Novum. Und ein Beispiel dafür, wie aufgeputscht der Markt mittlerweile schon ist.

Der FC Bayern war ebenso wie die üblichen Kandidaten aus England an einer Verpflichtung interessiert. Auf der Insel bemühte sich vor allem Arsenal um den Youngster.

Gunners-Coach Arsene Wenger soll sogar Canales' Vater und Berater, Angel Canales, privat aufgesucht haben, um ihm einen Wechsel seines Sohnes nach London schmackhaft zu machen.

Real überbietet jedes Angebot

Noch größer war jedoch das Interesse innerhalb der Primera Division. Zwar jagte unter anderem der FC Barcelona das Supertalent, doch als Real Madrid in das Transfer-Rennen einstieg, sanken die Chancen anderer Klubs auf eine Verpflichtung des "neuen Lionel Messi" nahezu auf den Nullpunkt.

Die Königlichen ignorierten in der "Causa Canales" jegliche Kompromisse. Real wies Vater Angel Canales kurzerhand darauf hin, jedes konkurrierende Angebot überbieten zu wollen. Koste es, was es wolle. Ein Freifahrtschein für den ehrgeizigen Herr Papa.

Am 12. Februar war es dann soweit: Der Wechsel von Sergio Canales zu den Madrilenen wurde offiziell bekannt gegeben. Zwar unterschrieb er einen Vertrag bis 2016, er wird jedoch zunächst auf Leihbasis ein weiteres Jahr für seinen Noch-Verein Racing Santander auflaufen. Es war die einzige Bedingung von Vater Angel.

U-17-Europameister mit Spanien

Sergio Canales wurde in Santander geboren und spielt seit seinem zehnten Lebensjahr ununterbrochen für seinen Heimatklub Racing. Ein Eigengewächs, das als Junge selbst auf den Tribünen des "El Sardinero" lungerte und auch deshalb den höchsten Stellenwert bei den Fans genießt.

Davon abgesehen kann der Jungspund allerdings auch hervorragend Fußball spielen. Das fiel auch Deportivo La Coruna und dessen Sportdirektor Ricardo Moar früh auf.

Als Depor 2006 den damaligen Santander-Torwart Dudu Aouate im Tausch gegen Pedro Munitis verpflichtete, sicherte man sich im selben Zug noch 50 Prozent der Transferrechte am erst 15-jährigen Canales.

Durch dessen Wechsel zu Real Madrid kassiert La Coruna nun die Hälfte der rund fünf Millionen Euro Ablöse. Kein schlechtes Geschäft.

Dabei war Canales selbst Jahre später, als er mit Spaniens U-17-Nationalmannschaft die Europameisterschaft gewann, noch weitgehend unbekannt. Sein Stern sollte erst in eineinhalb Jahre aufgehen.

Durchbruch per Doppelpack

Genauer gesagt in der Partie gegen Espanyol Barcelona am 13. Spieltag dieser Saison. Es war Canales' erster Einsatz von Beginn an und prompt schoss er Santander mit zwei Treffern zum 4:0-Sieg.

Was er an fußballerischem Können gegen Espanyol an Dynamik, Geschick und Torinstinkt nur andeutete, bestätigte er auf beeindruckende Art und Weise im Spiel gegen Sevilla, als er zum dritten Mal von Anfang an auflief.

Mit zwei in ihrer Entstehung eindrucksvollen Treffern ermöglichte er seinem Team das 2:1 gegen den Champions-League-Achtelfinalisten und beeindruckte damit ganz Europa.

Inspiriert von Steven Pienaar

In der 27. Minute sprintete Canales in einen Steilpass und lief alleine auf Torwart Andres Palop zu. Von der Strafraumgrenze aus lupfte der Youngster den Ball im Stile eines erfahrenen Top-Torjägers sehenswert über Palop hinweg ins Tor.

Anzeichen von jugendlicher Nervosität? Nerven zeigen im gegnerischen Strafraum? Keine Spur! Zum Dauerthema in den spanischen Medien wurde der Treffer allerdings auch wegen dessen Vorgeschichte.

Rund drei Stunden bevor Canales einnetzte, traf Steven Pienaar für Everton im Spiel gegen Arsenal auf genau dieselbe Art. Der Spanier soll sich dieses Spiel auf dem Hotel-Fernseher angesehen haben, ließ sich sogleich von Pienaars Treffer inspirieren und imitierte dessen Coolness beim Torabschluss, als gäbe es nichts Leichteres. Oder fast nichts.

Beim 2:1 stand er erneut alleine vor Palop. Diesmal umkurvte er zuerst den Torhüter, machte anschließend einen weiteren Haken, um Sevilla-Verteidiger Adriano ins Leere rutschen zu lassen und schob den Ball lässig ins Tor. Zwei Tore - und Canales stand plötzlich im Mittelpunkt der Medien.

Cruyff riet von Wechsel ab

Das aufkommende Interesse aus ganz Europa nach Canales' Gala-Auftritt gegen Sevilla bestätigte der Youngster weiterhin mit tollen Toren. Gegen Valladolid traf er mit einem sehenswerter Heber, im Pokal versenkte er einen herrlichen Freistoß gegen Osasuna.

Mit den lukrativen Angeboten kamen auch mehr oder minder wertvolle Ratschläge von sämtlichen Fußball-Größen. Johan Cruyff beispielsweise riet ihm von einem Wechsel ab: "Man muss in jungen Jahren noch viel lernen, ein Wechsel kann da einiges zerstören und ein Talent zurückwerfen", schrieb Cruyff in "El Periodico".

Immerhin: Ganz im Sinne Cruyffs wird Canales zunächst noch für ein weiteres Jahr an Santander ausgeliehen, um Spielpraxis zu sammeln. Die Bank bei Real wird auch in zwei Jahren noch auf ihn warten können.

Gefahr durch Messi-Vergleiche

Indes wetteifern die spanischen Medien untereinander in spektakulären Vergleichen von Canales mit anderen Größen des Spiels.

Am häufigsten genannt wird er im Zusammenhang mit Lionel Messi. Das mag zwar aufgrund der Dynamik, der Torgefahr und dem Milchbubi-Gesicht durchaus zutreffen, es birgt jedoch enorme Gefahren.

Freddy Adu, der im Alter von 14 Jahren fast schon zum Nachwuchs-Fußballgott erkoren wurde, tourt als 20-Jähriger via diverse Leih-Geschäfte durch Europa und spielt mittlerweile bei Aris Saloniki in Griechenland.

Adu ist nur ein Beispiel von vielen Talenten, die frühzeitig hochgejubelt wurden und dann - wenn überhaupt - als Eintagsfliege endeten.

Nicht zu jung für die Nationalelf

Und wie so oft, werden Nachwuchs-Stars schon nach wenigen guten Einsätzen im eigenen Land mit der Nationalmannschaft in Verbindung gebracht.

Im Normalfall dämpfen die zuständigen Nationaltrainer daraufhin die Hoffnung. Spaniens Trainer Vicente del Bosque sieht das aber anders und fördert mit seinen Äußerungen die Euphorie um Canales. "Canales ist nicht zu jung, um nominiert zu werden. Wenn er gut ist, muss man nicht auf das Alter achten."

Zwar mag del Bosque das Talent des Jungspunds richtig einschätzen, dennoch sind solche Äußerungen nur in den seltensten Fällen förderlich. Eine Nominierung vor der WM 2010 wäre nicht nur sehr riskant für seine Entwicklung, es wäre wohl auch der Gipfel des momentanen Hypes um ihn.

Konkurrenz-Wahnsinn bei Real

Zunächst steht Canales im Verein vor großen Aufgaben. Selbst bei einem weiterhin perfekten Karriereverlauf ist da ja immer noch viel Zeit, die bis zu seinem Amtantritt in der Hauptstadt vergehen wird.

Der übliche Einkaufswahn von Real-Präsident Florentino Perez wird noch so einige andere Kaliber nach Madrid spülen, Canales wird dann vor einem schwer zu lösenden Konkurrenz-Problem stehen.

Die Liste der Mittelfeldspieler, die noch bis zur Spielzeit 2011/2012 oder darüber hinaus an den Verein gebunden sind, liest sich jedenfalls wie eine Europa-Auswahl: Cristiano Ronaldo, Kaka, Xabi Alonso, Lassana Diarra, Esteban Granero, Rafael van der Vaart, Fernando Gago und Royston Drenthe. Für Canales steht eine Reise ins Wunderland an, mit unbekanntem Ausgang.

In diesem Mittelfeld ein unerfahrenes Nachwuchstalent zu integrieren und ihm zu genügend Spielpraxis zu verhelfen, damit die Entwicklung nicht gefährdet oder gar unterbrochen wird, erfordert eine Menge Trainer-Geschick und auch Mut.

Feindbild von Barcelona

Aber noch ist es nicht so weit. Noch spielt Canales nicht in Weiß. Doch in seine Rolle als Feindbild des FC Barcelona konnte er am vergangenen Samstag bereits hineinschnuppern. Da verlor Santander mit 0:4 im Camp Nou.

Weil vor dem Spiel von der katalanischen Presse bekannt gegeben wurde, dass Canales auf seinem Weg zum Wechsel nach Madrid auch ein Angebot von Barcelona ablehnte, wurde der Youngster bei seinem sonst unauffälligen Auftritt von den gegnerischen Fans gnadenlos ausgepfiffen.

Barca-Präsident Joan Laporta gab sich nach dem Spiel verständnisvoll: "Ich respektiere unser Publikum. Es war wohl wegen seines Wechsels zu Real Madrid."

Das Leben als Profi bei Real Madrid kann mitunter auch unbehaglich sein. Eine kleine Kostprobe davon hat Sergio Canales jetzt auch schon erhalten.

Steckbrief: Sergio Canales