"Ein rachsüchtiger Mensch": Wie Pierre-Emerick Aubameyang bei Olympique Marseille durchstartet

Von Mark Doyle und Patrik Eisenacher
aubameyang-1200
© getty

Pierre-Emerick Aubameyang blüht mit 34 Jahren bei Olympique Marseille wieder auf. In vier Spielen war der frühere BVB-Profi zuletzt an zehn Treffern beteiligt.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Beim BVB erlebte Pierre-Emerick Aubameyang einst seine Blütezeit. Von 2013 bis 2018 schoss er für die Schwarzgelben in 213 Auftritten 141 Tore und legte 36 weitere auf.

Danach ging es zum FC Arsenal, dem FC Barcelona und zuletzt zum FC Chelsea - bei den ersten beiden Stationen hatte er noch seine Glanzmomente, doch seine Karriere verlor immer mehr an Fahrt.

Im Sommer 2023 schlug dann Olympique Marseille ablösefrei zu. Ein großer Name für einen (einst) sehr großen Verein, der in der Ligue 1 und Europa wieder für Furore sorgen will. In den ersten Monaten war die Rückkehr in Aubameyangs Geburtsland schwierig, doch zuletzt zeigte sich der mittlerweile 34-Jährige in überragender Form. Der Gabuner schlägt endlich wieder Vorwärtssaltos in den Stadien der Welt - um seine Tore gebührend zu feiern.

Vor der Europa-League-Niederlage bei Brighton (0:1) am Donnerstagabend hatte der Stürmer drei spektakuläre Spiele, in denen er insgesamt zehn (!) Torbeteiligungen sammelte und selbst sieben Treffer erzielte. Bemerkenswert dabei: Arsenal, der FC Barcelona und Chelsea könnten im Moment allesamt einen zuverlässigen Torjäger brauchen.

Insgesamt steht Aubameyang nach 22 Einsätzen nun bei 18 Scorerpunkten. Wie hat sich der einst in Ungnade gefallene Arsenal-Kapitän und Chelsea-Flop zum derzeit torgefährlichsten Spieler des Kontinents entwickelt?

Bei Arsenal und Chelsea trauert man Pierre-Emerick Aubameyang nicht nach

Aubameyang hat in seiner Karriere einige sehr schlechte Entscheidungen getroffen. Er mag immer noch das Gefühl haben, von Trainer Mikel Arteta bei Arsenal schlecht behandelt worden zu sein - aber in Wahrheit muss er die Schuld an seinem peinlichen Abgang vom FC Arsenal bei sich selbst suchen.

Ende 2021 war ihm das Kapitänsamt entzogen worden, nachdem er sich mehrmals nicht an Artetas Regeln gehalten hatte. Weil Arsenal seitdem besser dran ist als in der Zeit mit ihm, trauert ihm in London eigentlich auch niemand nach.

Die Chelsea-Fans tun das ebenso wenig. Sie verweisen auf die Tatsache, dass Aubameyang nur drei Tore in 31 Einsätzen für sie erzielte und oft desinteressiert wirkte, wenn er auf dem Platz stand.

Allerdings muss man Aubameyangs Leistungen an der Stamford Bridge in den richtigen Kontext stellen. Der Trainer, der ihn verpflichtet hatte, Thomas Tuchel, sein ehemaliger Mentor bei Borussia Dortmund, wurde nur sechs Tage nach Aubameyangs Ankunft in Westlondon entlassen.

"Es war nicht leicht für mich", gab der Gabuner später zu, "und es hatte einen großen Einfluss. Von da an (nach Tuchels Entlassung) habe ich praktisch nicht mehr gespielt. Und dann gab es später Probleme anderer Art, für die ich nicht verantwortlich war."

Pierre-Emerick Aubameyang, BVB
© imago images

Pierre-Emerick Aubameyang - "Als Mensch ist er ein Juwel"

Auch wenn es viele überraschen mag - Auba wurde von seinem nächsten Coach, Barça-Trainer Xavi, als Vorbild gelobt. Nach dem Abgang des Stürmers war der Katalane frustriert. "Als Mensch ist er ein Juwel, der immer mit einem Lächeln im Gesicht trainiert", sagte Xavi im Sommer 2022 zu Reportern. "Es ist schade, denn das ist die Art von Spielern, die man in seinem Kader haben möchte. Aber es war eine gute Gelegenheit für ihn und auch für den Verein. Wir mussten die Teile des Puzzles zusammenfügen, wir sind alle glücklich, aber ich fühle mich als Trainer schlecht, weil ich einen Spieler wie Aubameyang verliere."

Aus dem Schwärmen kam er gar nicht mehr heraus: "Er ist ein Vorbild auf und neben dem Platz, er hat einen großen Unterschied gemacht - man muss sich nur seine Zahlen ansehen." Auch Auba selbst gefiel seine Zeit in Barcelona sehr.

Auch sportlich passte es für ihn bei den Blaugrana: Obwohl er erst am 6. Februar 2023 sein erstes Spiel bestritt, erzielte Aubameyang bis zum Saisonende 13 Tore, darunter zwei beim 4:0-Sieg gegen Real Madrid im Santiago Bernabéu. Damit war er zweitbester Torschütze des Klubs in der Saison 2021/22.

Genau in dieser Form befindet er sich nun wieder an der südfranzösischen Mittelmeerküste - auch, wenn es einige Zeit gedauert hat.

Pierre-Emerick Aubameyang: "Ich bin rachsüchtig"

Im Sommer 2023 war klar, dass Marseille einen neuen Stürmer brauchte. Der Vertrag des Top-Torschützen der letzten Saison, Alexis Sánchez, lief aus. Und der Chilene wollte unbedingt zurück zu Inter Mailand.

OM beschäftigte sich in der Folge auch mit US-Stürmer Folarin Balogun, der bei Stade Reims für Aufsehen gesorgt hatte. Sein Stammverein Arsenal verkaufte ihn letztlich jedoch an die AS Monaco zum früheren Bundesliga-Trainer Adi Hütter.

OM-Präsident Pablo Longoria verhandelte derweil mit dem FC Chelsea über einen ablösefreien Wechsel Aubameyangs und Ende Juli kam dieser schließlich ins Stade Vélodrome. Dafür lehnte er sogar deutlich lukrativere Angebote aus Saudi-Arabien ab. Es ging ihm nicht nur darum, seine Taschen zu füllen, sondern seine Kritiker zum Schweigen zu bringen.

"Ich bin ein rachsüchtiger Mensch", sagte er unmittelbar nach seiner Unterschrift bei Marseille im Juli. "Ich will Europa nicht verlassen, bevor ich mein Vermächtnis hinterlassen habe. Ich weiß, dass es hier nicht unbedingt einfach ist [die Kritiker zum Schweigen zu bringen], denn es gibt hohe Erwartungen. Aber das ist es, was mir gefällt. Als Fußballer muss man wissen, wie man Druck akzeptiert und damit leben kann. Ich glaube, das macht uns zu besseren Spielern, zu besseren Menschen."

Tuchel-Aubameyang-1200
© getty

Pierre-Emerick Aubameyang wirkte in Marseille erst "verloren"

In der Champions-League-Qualifikation zu Beginn der Saison erzielte der Stürmer zwei Tore gegen Panathinaikos. Doch durch einen nicht gegebenen Elfmeter für OM und einen für die Griechen ging es im Rückspiel in die Verlängerung - letztlich schied das Team des damaligen Trainers Marcelinho im Elfmeterschießen aus und musste in die Europa League.

Unter dem spanischen Trainer spielte Marseille einen öden Fußball. In der Ligue 1 blieb der Verein damit ungeschlagen, aber dem Vereinsmotto "Droit au but" ("geradewegs aufs Tor zu") wurde das Team damit nicht gerechnet. Nach einem langweiligen 0:0 gegen den FC Toulouse trafen sich einige Fangruppen mit OM-Präsident Pablo Longoria und drohten ihm und seinem spanischen Freund Marcelinho persönlich. Damit war für beide eine rote Linie überschritten. Der Trainer ging sofort, der Klubchef nahm sich eine Auszeit und ist mittlerweile wieder in Amt und Würden.

Und Aubameyang machte in der Folge nicht den Eindruck, als würde er den Druck genießen, der mit einer so anspruchsvollen Fangemeinde einhergeht. Am 4. November wurde er beim 0:0 gegen den OSC Lille, mittlerweile unter Trainer Gennaro Gattuso, bei seiner Auswechslung gnadenlos ausgepfiffen. Sein italienischer Coach verteidigte das Verhalten der Fans einerseits - aber stellte auch klar, dass die Ansprüche an seinen Star-Stürmer eben sehr hoch seien. In der Ligue 1 hatte der 34-Jährige bis dahin erst ein einziges Tor erzielt. Einige schrieben ihn bereits ab.

OM-Legende und -Berater Jean-Pierre Papin warf Aubameyang vor, auf dem Spielfeld nicht hart genug zu arbeiten, und der ehemalige Mittelfeldspieler Edouard Cissé räumte zwar ein, dass die Nummer 10 "verloren" wirkte, wies aber darauf hin, dass es "noch schwieriger ist, seinen Platz zu finden, wenn man unter zehn Jungs ist, die auch verloren sind".

Daher war die Unterstützung durch zwei Schlüsselfiguren bei Marseille entscheidend.

Gennaro Gattuso verteidigte Ex-BVB-Star Pierre-Emerick Aubameyang

Erstens hatte sich Klubpräsident Pablo Longoria öffentlich für den angeschlagenen Stürmer ausgesprochen, obwohl es hieß, OM sei bereits auf der Suche nach einem Ersatz.

"Pierre-Emerick Aubameyang ist ein Spieler auf internationalem Niveau", sagte er gegenüber RMC Sport. "Kann er seinen Abschluss verbessern? Ja, wir müssen selbstkritisch sein und immer in der Realität leben. Aber wird das passieren? Ich bin mir dessen sicher, vor allem, weil ich sehe, wie er täglich arbeitet. Ich sehe, wie engagiert er ist, und ich sehe, wie sehr der Trainer an sein Potenzial glaubt." Der Spanier führte aus: "Ich glaube also, dass Pierre-Emerick Aubameyang derselbe Pierre-Emerick Aubameyang ist, den wir in Barcelona gesehen haben, und dass er mit einigen Veränderungen wieder aufblühen wird."

Und dieser Trainer hat sicherlich eine entscheidende Rolle bei der Rückkehr des echten Aubameyang gespielt.

Nachdem sich die Fans während des Spiels in Lille gegen Aubameyang gewandt hatten, stellte sich Gennaro Gattuso, der am 27. September Marcelino endgültig abgelöst hatte, hinter seinen Stürmer. "Ich muss alle meine Spieler verteidigen, nicht nur Aubameyang", sagte der Italiener. "Ich werde alles dafür tun, dass Pierre reagiert. Er hat ein paar Pässe nicht an den Mann gebracht, aber ich sehe keinen Spieler, der große Schwierigkeiten hat.

Der Weltmeister von 2006 führte aus: "Wir erwarten ein bisschen mehr, weil er Aubameyang heißt. Er macht Fehler wie jeder andere, aber er zahlt ein bisschen für seine Karriere und seinen Namen. Die Leute erwarten von ihm, dass er ein Tor pro Spiel schießt."

Am 9. November fehlte der Gabuner dann plötzlich im so wichtigen EL-Spiel bei AEK Athen im Kader. Offiziell wurde als Grund eine Verletzung genannt, doch endgültig geklärt ist das nicht. Vielleicht wollte Gattuso ihm auch einen Denkzettel verpassen. Falls das tatsächlich der Fall gewesen sein sollte, war es ein Geniestreich - oder Auba hat die Ruhepause für einige gute Gedanken genutzt.

Denn in der Folge spielte Aubameyang wie ausgewechselt. Das Schlüsselspiel: die Europa-League-Partie gegen Ajax.

aubameyang-1200
© getty

Pierre-Emerick Aubameyang meldet sich mit zehn Torbeteiligungen in vier Spielen zurück

Bereits im Hinspiel, beim 2:2 hatte der Stürmer beiden Treffer geschossen. Im Rückspiel steuerte er sogar einen Dreierpack bei. Marseille gewann mit 4:3 und sicherte sich damit die Qualifikation für die K.o.-Runde. Nach seinen Toren jubelte er provokativ nicht, sondern schaute leicht grimmig drein.

Nach dem Spiel gab er zu, dass er von den Reaktionen der Fans und der negativen Stimmung, die den Verein während des schwierigen Saisonstarts umgeben hatte, eingenommen war. Aber er war einmal mehr entschlossen, seinen Kritikern das Gegenteil zu beweisen. "Wenn die Dinge schlecht laufen, bin ich der Erste, der sich schlecht fühlt", betonte er bei Amazon Prime Video. "Sonst wäre ich nicht hier. Ich hätte aufgehört, Fußball zu spielen."

Auch gegen Stade Rennes (2:0) netzte der Stürmer, wie beim 3:0 im verschobenen Olympico gegen Lyon. Hier legte er die beiden weiteren Treffer auch noch selbst auf. Beim 4:2-Sieg in Lorient schoss Auba zwei Tore und steuerte eine Vorlage bei. Erst gegen Brighton (0:1) beendete er das Spiel wieder ohne Torbeteiligung.

Marseille-Ikone Basile Boli erklärte bei RMC Sport: "Er hat angefangen, ein wenig Selbstvertrauen zu gewinnen. Wenn man bei OM unterschreibt, gibt es einen außergewöhnlichen und täglichen Druck. Man muss mit den Spielern sprechen und ihnen klarmachen, dass sie sich in einem explosiven Umfeld befinden, das sie aber auch zu einem der ganz Großen in Europa machen kann."

Aubameyang kratzt wieder an der Weltklasse. Die Herausforderung wird nun darin bestehen, seine gute Form zu halten. Das Ziel: Die Champions-League-Qualifikation und weitere Siege in der Europa League. An Motivation wird es ihm aber nicht mangeln.

Artikel und Videos zum Thema