Wolfgang Holzhäuser im Interview über Kai Havertz: Warten auf den FC Bayern? "Ein Jahr hätte nicht gereicht"

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© FC Chelsea

Nach langem Hin und Her hat sich Kai Havertz (21) für einen Wechsel von Bayer Leverkusen zum FC Chelsea entschieden. Die Blues überweisen 80,5 Millionen Euro an den Bundesligisten und machen den Nationalspieler damit zum bislang teuersten deutschen Fußballer.

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Im Interview mit SPOX und Goal spricht Wolfgang Holzhäuser (70), von 2004 bis 2013 Geschäftsführer der Leverkusener und Wegbegleiter von Havertz im Jugendbereich der Werkself, über den Transfer und erklärt, warum ein Wechsel zum FC Bayern eine größere Herausforderung für den Offensivspieler gewesen wäre. Außerdem äußert sich der frühere DFL-Chef zu den Folgen für Bayer.

Herr Holzhäuser, Sie zählen zu den Personen, die Kai Havertz vor zehn Jahren von Alemannia Aachen zu Bayer Leverkusen geholt haben. Wie bewerten Sie seinen Wechsel zum FC Chelsea?

Wolfgang Holzhäuser: Ich hätte ihn lieber bei einem Verein gesehen, der für Ballbesitzfußball der Marke Pep Guardiola steht. Das ist sein Spiel. Aufgrund der Transfers, die Chelsea in diesem Transferfenster getätigt hat, gehe ich aber davon aus, dass Trainer Frank Lampard in Zukunft mehr Wert auf die spielerische Komponente legen wird als in den vergangenen Jahren. Insofern bin ich guter Dinge, dass sich Kai dort schnell zurechtfinden und durchsetzen wird. Er bringt für sein Alter einzigartige Fähigkeiten mit. Das kann gar nicht schiefgehen.

Der FC Bayern war ebenfalls interessiert, wollte die finanziellen Forderungen der Leverkusener am Ende aber nicht mitmachen. Hätte Havertz noch ein Jahr auf die Münchner warten sollen?

Holzhäuser: Ein Jahr hätte nicht gereicht. In Anbetracht der aktuellen Form von Thomas Müller würde wohl erst in zwei, drei Jahren ein Platz auf der Position im offensiven Mittelfeld frei werden. Ich sage immer: Es ist deutlich schwieriger, sich in einem Topteam wie Bayern durchzusetzen als in einem Team wie Chelsea, das ein Topteam werden will und Positionen neu besetzt, die vorher nicht so gut besetzt waren. Abgesehen davon tut es immer weh, einen Spieler an einen direkten Konkurrenten aus der Liga zu verlieren. Es war also sicherlich auch im Interesse von Bayer Leverkusen, Kai Havertz ins Ausland zu transferieren.

Wolfgang Holzhäuser war vier Jahre Vizepräsident der Liga und des DFB sowie 2007 kommissarischer DFL-Vorsitzender.
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Wolfgang Holzhäuser war vier Jahre Vizepräsident der Liga und des DFB sowie 2007 kommissarischer DFL-Vorsitzender.

Havertz' Rolle bei Chelsea: "Kann im Mittelfeld alles spielen"

Das Interesse der spanischen Top-Klubs konkretisierte sich ebenso wenig.

Holzhäuser: Was deren wirtschaftlicher Situation geschuldet war. In Zeiten von Corona können Real und vor allem Barca keine Transfers in dieser Größenordnung stemmen. Ich habe auch vollstes Verständnis dafür, dass Fernando Carro und Rudi Völler nie von ihren Forderungen abgerückt sind. 80 Millionen Euro, das ist natürlich viel Geld, im Vergleich zu anderen Transfers aber mehr als gerechtfertigt. Und es muss ja nicht heißen, dass Vereine wie Real und Barca in Zukunft uninteressant für Kai Havertz sind. Er ist erst 21. Für ihn war jetzt wichtig, nach drei Jahren als Stammspieler in Leverkusen den nächsten logischen Schritt in seiner Entwicklung zu machen.

Im 4-3-3 von Chelsea erwartet Havertz eine andere, womöglich mit mehr Defensivarbeit verbundene Rolle als in Leverkusen, wo er sich als Freigeist in der Offensive austoben konnte.

Holzhäuser: Er kann im Mittelfeld alles spielen. Die Rolle als Achter wäre kein Problem für ihn, ich kann ihn mir aber auch auf den Außen gut vorstellen, falls Chelsea an einem System ohne klassischen Zehner festhält. Sein Vorteil: Er ist beidfüßig, groß und kopfballstark. Woran er noch arbeiten kann und in England sicher wird, ist an seiner körperlichen Präsenz. Sollte er stämmiger werden, wäre er sicherlich auch gut auf der Position des Mittelstürmers aufgehoben. Den Torriecher hat er bereits.

Was überwiegt gerade in Leverkusen: Die Enttäuschung, ein Riesentalent verloren zu haben, oder der Stolz, den teuersten deutschen Spieler hervorgebracht zu haben?

Holzhäuser: Der Stolz. Es gibt niemanden in Leverkusen, der dem Jungen nicht alles Gute wünscht. Er war zehn Jahre ein Teil dieses Vereins, sieben davon spielte er in der Jugend. Ich kann mich noch an die ersten Gespräche mit seinen Eltern erinnern, bevor wir ihn von Aachen nach Leverkusen holten. Kai war schon damals ein ganz aufmerksamer, ehrgeiziger Junge, der sich bei uns entwickeln wollte. Talente hatten wir natürlich immer viele, Kai war mit all seinen Fähigkeiten aber außergewöhnlich. Jeder wusste: Aus dem wird ein Großer.

Holzhäuser: "Havertz ist nicht eins zu eins zu ersetzen"

In seiner letzten Saison in Leverkusen erzielte er 18 Tore und bereitete neun weitere vor. Wie kann Bayer seinen Abgang auffangen?

Holzhäuser: Ein Spieler wie Kai Havertz ist nicht eins zu eins zu ersetzen. Zumindest gibt es keinen Spieler mit seinen Fähigkeiten, der für Leverkusen erreichbar wäre. Deshalb ist man gezwungen, den einen oder anderen Transfer zu tätigen, um diesen Verlust zu kompensieren. Man darf ja auch nicht vergessen, dass mit Kevin Volland nun ein weiterer wichtiger Offensivmann weg ist, der mit seiner Spielweise das Gegenstück zu Havertz gebildet hat. Peter Bosz steht vor einem großen Problem: Auch wenn er mit Patrik Schick einen guten Stürmer bekommt, muss er die Offensive umbauen. Ich traue ihm das zu, weil ich ihn für einen guten Trainer halte. Aber gerade die ersten Wochen der Saison werden schwierig. Zu den Abgängen von Havertz und Volland kommen ja noch die kurze Vorbereitungszeit und die vielen Länderspiele hinzu.

Ist davon auszugehen, dass Leverkusen die Havertz-Millionen wieder komplett reinvestiert?

Holzhäuser: Man darf nicht vergessen, dass Bayer Leverkusen einen Gewinnabführungsvertrag mit der Bayer AG hat. Das hat den Vorteil, dass Verluste ausgeglichen werden können, Gewinne aber auch an die Bayer AG abgeführt werden müssen. Heißt: Wenn man die Ablöse für Kai reinvestieren wollte, ginge das nur, wenn man mit der Bayer AG eine entsprechende Vereinbarung erzielen würde. Fernando Carro und der eine oder andere Verantwortliche aus der zweiten Reihe sind aber gewieft genug, um eine zufriedenstellende Lösung zu finden. Das Problem aus meiner Sicht ist nur, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, um Neuzugänge zu verpflichten.

Holzhäuser: "Leverkusen braucht die Champions League"

Unabhängig von möglichen Neuzugängen: Welchen Spielern im bestehenden Bayer-Kader trauen Sie zu, die von Havertz hinterlassene Lücke zumindest teilweise zu schließen?

Holzhäuser: Ich sehe zwei Spieler. Zum einen Florian Wirtz, der allein von seinen technischen Fähigkeiten her eine gute Lösung für die Rolle hinter den Spitzen wäre. Zum anderen Nadiem Amiri, der ebenfalls gewisse Grundqualitäten im offensiven Mittelfeld hat, diese aber auch langsam unter Beweis stellen müsste.

Muss die Champions League trotz der Abgänge von Havertz und Volland für Leverkusen wieder das Ziel sein?

Holzhäuser: Immer. Der Verein braucht die Champions League nicht nur des Geldes wegen, sondern auch aus Image-Gründen. Es ist nun einmal so, dass es nicht jedes Jahr klappt, weil immer fünf, sechs Mannschaften bis zum Schluss darum kämpfen. Wichtig ist deshalb meiner Meinung nach immer ein guter Saisonstart. Gewinnt man die ersten Spiele, geht man mit breiter Brust in die nächsten und kann eine Serie hinlegen. Ein paar Dämpfer zu Beginn hingegen können eine Mannschaft schnell in einen Abwärtsstrudel bringen. Davor habe ich in dieser Saison Angst.

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