Ein Sommer mit Stallone

Carsten Germann
29. Juli 201419:56
Paul Mariner (l.) und John Wark feiern den UEFA-Cup-Sieg 1981 mit Ipswich Townimago
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Englischer Vizemeister, UEFA-Pokalsieger und ein Spielfilm mit Sylvester Stallone: 1981 war Ipswich Town Englands absoluter Sensationsklub. Vom Glanz früherer Tage ist an der Portman Road allerdings nicht mehr viel übrig. Der englische Meister von 1962 dümpelt heute im Mittelfeld der zweitklassigen Championship Division - und ist ein klarer Fall für die Rubrik "Was macht eigentlich...?"

Die Fremdschäm-Nummer scheint John Wark zu verfolgen. Jedenfalls spricht er nicht gern über die ganze Sache. In schöner Regelmäßigkeit wird der ehemalige Klassestürmer aus Schottland auf eine kuriose Begebenheit aus seiner Karriere angesprochen, auf die der heute 56-Jährige nicht besonders stolz zu sein scheint.

Es ist sein Auftritt an der Seite der Hollywood-Superstars Sir Michael Caine und Sylvester Stallone im Fußball- und Kriegsdrama "Flucht oder Sieg" (Originaltitel: "Victory") von 1981.

Vor allem in der Weihnachtszeit, wenn der Film in Großbritannien beinahe jährlich im Fernsehen gezeigt wird, sieht sich Wark mit vielen Anspielungen auf den, so der "Guardian"im Jahr 2010, "von den Kritikern weitgehend zerrissenen" Kriegsfilm-Schinken konfrontiert.

Anruf aus Hollywood

Ipswich Town - oder: Der Fluch der guten Tat. Im Sommer 1981 dribbeln Wark und seine Teamkollegen nach einer der erfolgreichsten Spielzeiten der Vereinsgeschichte nach Hollywood.

Die Spieler des englischen Vizemeisters mit Wark, den beiden Torhütern Paul Cooper und Laurie Sivell sowie den Verteidigern Kevin Beattie und Russell Osman schlüpfen im Film in die Trikots einer alliierten Kriegsgefangenen-Elf.

Gemeinsam mit den Superstars Caine und Stallone sowie den drei Weltmeistern Osvaldo Ardiles, Bobby Moore und Pele ringen sie bei einem Propaganda-Spiel im besetzten Paris den Deutschen ein Remis ab. Ziemlich viel Drama. SPOX

"Ich hab wirklich keine große Lust, darüber zu reden", sagt John Wark zu SPOX, "denn um ehrlich zu sein, scheinen mich die Leute wegen dieses Films in Erinnerung behalten zu haben, und nicht, weil ich 1981 Fußballer des Jahres geworden bin."

Wark, dem auf dem Weg zum UEFA-Cup-Triumph 1981 14 Treffer gelangen, sagt genervt: "Alles, was ich zu hören kriege, ist 'Flucht oder Sieg.'"

Stallone: "Ipswich war das Schlimmste"

Auch Stallone hat keine guten Erinnerungen an das schwerfällige Fußball-Filmprojekt, das von Star-Regisseur John Huston in Budapest inszeniert wurde.

"Mit diesen Fußballern von Ipswich Town zusammenzuspielen, war die schlimmste Erfahrung, die ich je gemacht habe. Ich bin fast gestorben!", sagt Stallone am Rande eines Pressetermins in Hamburg zu SPOX. "Pele hat mir den Finger gebrochen, wir haben Schuhe und Bälle aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs benutzt."

Oscar-Preisträger Stallone, der sich im Frühjahr 2014 bei einem Premier-League-Tipp bei "BBC" erneut als Fußball-Laie outete, als er einen 17:0-Sieg des FC Everton über Norwich prophezeite, brauchte schon 1981 am Set Nachhilfe.

Wark verrät: "Stallone wollte das Drehbuch so ändern lassen, dass er am Ende das Siegtor erzielt. Man musste ihm erklären, dass Torhüter normalerweise keine Treffer erzielen. Als er zum Schluss des Films den Elfmeter hielt, wäre er beinahe mit dem Ball hinter die Linie gehüpft."

Fünf Freiwillige für Hollywood

Möglich wurde der Auftritt durch einen Kontakt von Ipswichs Erfolgscoach Sir Bobby Robson zu den US-Filmemachern.

"Irgendein Typ aus der Filmindustrie kannte Bobby Robson, er kam dann zum Trainingsplatz und fragte, ob irgendwer Lust hätte, in dem Film mitzuspielen", erzählt Wark. "Fünf von uns hoben die Hand - und das ging nur, weil wir in diesem Sommer sonst nichts zu tun hatten."

Eine nette Umschreibung für die erfolgreichste Sommerpause der Vereinsgeschichte.

Nie besungene Teams

Denn in der Saison 1980/81 wird Ipswich Town hinter dem FC Liverpool englischer Vizemeister und gewinnt in einem Duell zweier Außenseiter gegen den niederländischen Vertreter AZ Alkmaar (3:0, 2:4) den UEFA-Pokal.

"Die Finalisten Ipswich Town und AZ Alkmaar waren beide unbesungene Teams auf dem Blatt der europäischen Fußball-Hymnen", heißt es bei "UEFA.com" im April 2010 in einer Nachbetrachtung zu diesem Finale, "beide waren keine traditionellen Großmächte in ihren Ligen, aber beide hatten ein Erfolgsrezept, dass auf gutem Coaching und cleverem Investment basierte."

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Gutes Coaching hat an der Portman Road Tradition. Alles beginnt im Jahr 1961 mit dem späteren englischen Weltmeistertrainer Sir Alf Ramsey.

Bei der Erstliga-Premiere 1961/62 holen die Blauweißen aus der englischen Grafschaft Suffolk mit Ramsey gleich den Meistertitel. Eine Sensation.

Und unter der Regie von Trainerlegende Sir Bobby Robson († 2009) bricht in Ipswich ab 1969 eine goldene Ära an.

Der charismatische Coach führt das Team ab 1972 gleich drei Mal in den UEFA-Pokal - und 1978 zum Sieg im FA-Cup. Robsons Spieler setzen Bestmarken, die bis heute in Ipswich gültig sind: Linksverteidiger Michael "Mick" Mills, der die Mannschaft 1978 als Kapitän gegen den FC Arsenal (1:0) ins Londoner Wembley-Stadion führte, ist mit 541 Pflichtspiel-Einsätzen immer noch Ipswichs Rekordspieler.

Wie Eier mit Speck

Auch Torhüter Paul Cooper, einer von Ipswichs späteren "Hollywoodstars", ist bei Town eine Kultfigur. Cooper macht bis 1987 insgesamt 447 Spiele.

Die Verteidiger Kevin Beattie, der ein paar Jahre später in "Flucht oder Sieg" den Deutschen auf die Eisen steigt, und sein Kollege Allan Hunter erwerben sich in England den charmanten Spitznamen "Bacon & Eggs" (Eier mit Speck), weil sie, so die einfache Erklärung der "BBC" "in der Defensive einfach gut harmonieren."

Siegtorschütze gegen Arsenal ist Roger Osborne. Von den Gefühlen übermannt, erleidet er nach dem Treffer im Finale einen Schwächeanfall und muss ausgewechselt werden.

Zu den wertvollsten Verpflichtungen gehört allerdings der Transfer des Schotten John Wark. Der damals 17-Jährige kommt 1975 vom FC Liverpool. Mit 94 Toren in 266 Spielen für Ipswich hat Wark großen Anteil an der Erfolgsstory von Town, die 1982 mit der erneuten Vizemeisterschaft weitergeht.

Der Anfang vom Ende

Nach Robsons Wechsel zur englischen Nationalmannschaft (1982) bricht das Team langsam, aber stetig auseinander. Wark wechselt 1984 für 450.000 Pfund zurück nach Liverpool und 1985/86 steigt Ipswich zum zweiten Mal nach 1964 aus der ersten Liga ab.

Im gleichen Jahr verlässt auch Warks kongenialer Sturmpartner Paul Mariner, der als Torjäger (135 Treffer in 339 Spielen) und als Vorlagengeber glänzt, den Verein. Er geht zum FC Arsenal. Über seine Zeit in Ipswich will er mit SPOX nicht sprechen.

Bei der Einführung der Premier League ist Ipswich 1992 als Aufsteiger aus der Second Division am Start. Der erste Abstieg folgt allerdings 1994. Mit Ex-Spieler George Burley als Coach gelingt im Jahr 2000 über die Playoffs gegen den FC Barnsley die Rückkehr.

Fast scheint es so, als würde mit dem Premier-League-Comeback eine ähnliche Erfolgsstory beginnen wie zwanzig Jahre zuvor, als aus Pokalhelden Leinwand-Kicker wurden. Burley führt das Team 2001 auf Rang fünf und damit in den UEFA-Pokal.

Willkommen in der Pleite

Für Experten wie den "BBC"-Autor Matt Majendie liegt genau hier der Knackpunkt: "Der Verein hatte sich gerade für den Europacup qualifiziert und es gab bereits Gespräche, um weitere Stars zu holen, aber im Prinzip begann in dieser Phase der Niedergang."

Stars wie der Nigerianer Finidi George, Matt Holland oder der vom FC Wimbledon verpflichtete isländische Stürmer Hermann Hreidarsson kosten den Klub eine Menge Geld.

Auch der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte, die Verpflichtung des italienischen Torhüters Matteo Sereni, der im Juli 2001 für rund sieben Millionen Euro von Sampdoria Genua geholt wird, fällt in diese Ära. Im Mai 2002 muss Ipswich erneut aus der Premier League absteigen. Es wird ein langer Abschied.

In der Saison 2002/2003 rutscht Town ans Tabellenende der Division One ab, im Oktober 2002 muss Burley gehen und im Februar 2003 stellt der Verein einen Insolvenzantrag. Burley-Nachfolger Joe Royle, so erzählt man sich in Ipswich, muss in dieser Phase sogar die Hotelrechnungen für die Auswärtsspiele über die eigene Kreditkarte zahlen.

"Der Verein war so pleite, dass sogar die Telefonleitungen an der Portman Road gekappt wurden, weil die Rechnungen nicht bezahlt wurden", berichtet Majendie. Die Spieler werden in der Ipswich-Krise quasi auf Tagesbasis entlohnt und die Stars wandern ab. Supertalent Darren Ambrose, damals 19, muss für 1,5 Millionen Euro deutlich unter Wert an Newcastle United verkauft werden.

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Doch der Tiefpunkt ist noch nicht erreicht. Im Frühjahr 2006 ist der Besuch einer bunten Reisegruppe aus Deutschland, 90 Fans von Fortuna Düsseldorf und vom FC St. Pauli haben eine 36-stündige Nonsens-Busfahrt von Hamburg nach Ipswich auf sich genommen, um das FA-Cup-Spiel der "Tractor Boys" gegen Leeds United (0:1) zu sehen, für die regionalen Medien wichtiger als die Leistung von Town.

Doch auch der Blitz-Besuch der deutschen Fans kann Ipswich nicht aus dem Stimmungstief holen. Am Saisonende steht - wie auch 2010 und 2013 - mit Rang 15 in der Championship Division die schlechteste Platzierung für Ipswich in dieser Liga in der abgelaufenen Dekade. Ein Meister im Mittelmaß.

Der englische Titelträger von 1962 hat sich von dem tiefen Sturz Anfang der 2000er nie wirklich erholt. Der Einstieg des Investors Marcus Evans im Jahr 2007 hilft dem Verein zwar, finanziell zu überleben, aber sportlich hängt der Klub in der Bedeutungslosigkeit fest.

Roy Keane nur ein Stohfeuer

"Es ist schwierig, die Euphorie nach dem Einstieg von Evans zu beschreiben", sagt der Autor und Ipswich-Fan Terry Hunt zu SPOX, "wir sahen ihn als Retter und in Jim Magilton einen Trainer, der in der Lage schien, das Team in die Premier League zurück zu führen. So kann man sich irren."

Anstatt die Rückkehr in die englische Fußball-Eliteliga zu meistern, trat Ipswich auf der Stelle. Vor allem an der Schaffenszeit des einstigen irischen Weltklassespielers Roy Keane, 2009 bis 2011 Trainer in Ipswich, scheiden sich die Geister.

"Wir Fans waren begeistert, als Keane von Evans verpflichtet wurde", erzählt Terry, "aber auch diese Begeisterung war nur von kurzer Dauer. Keane verkaufte verdiente Spieler wie etwa den hoch talentierten, schottischen Nationalspieler Jordan Rhodes (24), und verdarb es sich relativ schnell im Verein."

Abstieg als Alheilmittel?

SPOXDoch die Trainerposition - seit 2012 regiert in Ipswich der bodenständige und bei den Fans immens beliebte Ire Mick McCarthy - ist für Insider wie Hunt nicht ausschlaggebend. Viel mehr fehlt dem Verein wohl der "Hollywood-Faktor", den man 1981, auf dem Höhepunkt der Klubgeschichte, hatte. Zumindest vorübergehend.

"Die größte Frage ist für mich: Warum kann dieser einst so große Verein keine guten Spieler mehr anlocken?", so Hunt, "ich weiß nicht, ob es nur am Geld liegt oder an der Lage - Suffolk ist schließlich nicht London."

Ein Patentrezept scheint Terry, seit mehr als 45 Jahren Ipswich-Fan, nicht zu haben. Er weiß aber, wie es Town wohl definitiv nicht schaffen wird: "Man darf nicht auf die Leute hören, die sagen, dass ein Abstieg in die Drittklassigkeit das Allheilmittel wäre und eine reinigende Wirkung für den ganzen Verein hätte. Das ist absoluter Quatsch!"

75 Millionen Verbindlichkeiten

Auch in der abgelaufenen Saison 2013/2014 kämpfte Town in der Championship Division mit mäßigem Erfolg gegen sein "Graue Maus"-Image.

Coach McCarthy, WM-Teilnehmer mit Irland im Jahr 1990, musste sich ausschließlich auf die Verpflichtung von Leihspielern und ablösefreien Profis beschränken. Die Verbindlichkeiten, die Ipswich gegenüber Evans hat, lagen im August 2013 immer noch bei mehr als 75 Millionen Euro.

"In der vergangenen Saison sind wir eindeutig unter Wert geschlagen worden", sagt Ipswich-Verteidiger Christophe Berra (29) im Rückblick, "wir hatten eindeutig die Ambition, um unter die ersten Sechs zu kommen und um den Premier-League-Aufstieg zu spielen."

"Wir glauben daran"

Obwohl die Rückkehr des klammen Ipswich in die Premier League eine Herkulesaufgabe bleibt, gilt McCarthy vor seinem dritten Jahr an der Portman Road als Hoffnungsträger.

"Der Trainer hat mit einem kleinen Budget einen guten Job gemacht", erklärt der Schotte Berra.

McCarthy selbst hat das Ziel Premier League längst nicht abgeschrieben. "Es ist immer leicht zu sagen, dass man unter die ersten Sechs will", sagt McCarthy, "wir packen es nächste Saison wieder an, haben einen langen Weg vor uns, aber wir glauben daran, trotz aller finanzieller Abhängigkeiten wieder Premier-League-Fußball spielen zu können."

Klingt fast nach einer neuen, filmreifen Geschichte. Nur auf Stallone können sie in Ipswich sicherlich verzichten.

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