Mit Vollgas ins Verderben

Der Ausdruck des ganzen Leids: Die Reds haben die Meisterschaft wohl verspielt
© getty

Der FC Liverpool stand so kurz vor der ersten Meisterschaft seit 1990 und vergeigte diese auf fast legendäre Art und Weise. Das 3:3 gegen Aufsteiger Crystal Palace war ein Sinnbild für die Stärken der Reds - aber auch für deren eklatante Schwächen.

Cookie-Einstellungen

Luis Suarez wollte nach dem Schlusspfiff sein Gesicht nicht mehr zeigen und vergrub es in seinem Trikot. Steven Gerrard schob die Kameras beiseite und tröstete den Uruguayer, wirkte dabei aber selbst wie ein Häufchen Elend. Daniel Sturridge blickte ungläubig in das weite Rund des Selhurst Park in London.

Der FC Liverpool hatte innerhalb von nur elf Minuten eine fast unglaubliche Saison auf eine unbeschreibliche Art und Weise weggeworfen. Bis zur 78. Minute führten die Reds völlig verdient mit 3:0 bei Aufsteiger Crystal Palace, dem Tabellenelften der Premier League. Am Ende stand es 3:3.

Eigentlich sah es lange Zeit nach einer klaren Sache aus. Dem 1:0 durch Joe Allen (18.), ließ Sturridge seinen 21. Saisontreffer folgen (53.), ehe Suarez in der 55. Minute mit seinem 31. Tor das 3:0 erzielte. Am Ende gab es dennoch nur ein Unentschieden.

Einen Punkt Vorsprung hat Liverpool nun zwar vor City, doch die Hellblauen aus Manchester haben noch das Nachholspiel gegen Aston Villa (Mi., 20.45 Uhr im LIVE-Ticker) in der Hinterhand und müssen am letzten Spieltag am Sonntag zu Hause gegen West Ham ran. Sollte City am Mittwoch gewinnen, müssten sie am Wochenende schon verlieren, denn auch das Torverhältnis von +9 gegenüber den Reds spricht für Manchester. Die erste Meisterschaft für den FC Liverpool seit 1990 ist wohl futsch.

Rodgers streicht die Segel

"Bis zur 78. Minute haben wir das Spiel kontrolliert, danach hatten wir Angst in den Pässen und in unserem Spiel", erklärte ein konsternierter Brendan Rodgers nach dem Spiel. Auch der Coach hakte den Titel ab.

Nach der 3:0-Führung wollten die Reds etwas fürs Torverhältnis gegenüber City tun - und wurden dafür bitter bestraft.

Anstatt sich nach dem Anschlusstreffer durch Damien Delaney (78.) mit dem 3:1 zufrieden zu geben, kassierte man wenige Minuten später durch einen Konter das 3:2. Und beim Ausgleich kurz vor Schluss sollte man das Wort Abwehrarbeit tunlichst vermeiden.

Liverpool glänzte in der kompletten Saison nicht unbedingt durch seine starke Defensivarbeit. Aber dennoch spricht es von einer gewissen Unreife, den Titel auf solch eine Art wegzuwerfen. Die Niederlage gegen Chelsea am Spieltag zuvor war unglücklich, beinahe tragisch und brachte den Reds mehr Mitgefühl als Häme ein. Der Kollaps gegen einen Londoner Aufsteiger dagegen darf durchaus als dämlich und Zeichen von Unreife gewertet werden.

Das phänomenale Trio

Die Reds boten über die gesamte Saison spektakulären Fußball und lieferten fast jedes Wochenende eine Show. Das phänomenale Trio Suarez, Sturridge und Raheem Sterling erzielte bisher 61 der 99 Tore. Einzig Simon Mignolet war nicht zu beneiden, kassierte er doch des häufigeren bis zu drei Gegentore. Am Ende schoss man allerdings meist ein Tor mehr als der Gegner.

Doch am Montagabend in London wäre es wohl klüger gewesen, sich darauf nicht zu verlassen. Das 3:1 hätte gereicht, um den Druck auf City zu erhöhen. Doch Liverpool kennt scheinbar nur eine Richtung - und rannte so mit Vollgas ins Verderben.

Offensichtlich waren die Jungs von der Mersey noch nicht bereit für den Titel. Die Ausgewogenheit zwischen Abwehr und Angriff war in dieser Saison nicht vorhanden. Ein taktischer Plan B war nicht nur am Montag nicht zu erkennen.

Nasri liebt Palace

Das stellte auch Rodgers nach dem Abpfiff fest: "Wir haben versucht, noch zwei Treffer zu erzielen, dabei haben wir aber völlig unsere Defensivstruktur verloren und noch drei Treffer kassiert. Das alles ist sehr enttäuschend."

Die City-Spieler lachten sich derweil auf der heimischen Couch ins Fäustchen. "Was ein Spiel, was eine Liga, ich liebe Crystal Palace so sehr. Nun sind wir an der Reihe unseren Job zu machen", twitterte Samir Nasri nicht ganz ohne Schadenfreude. Die Citizens haben vor zwei Jahren bewiesen, dass sie reif für einen Titel sind. Schwer vorstellbar, dass sie sich diese Steilvorlage aus Liverpool entgehen lassen.

Noch ist rechnerisch natürlich alles möglich, aber aus psychologischer Sicht scheint die Sache entschieden. Rodgers kann nun im Sommer an der Defensivarbeit seines Teams arbeiten - und sollte dies auch, will er mit den Reds den Titel holen.

Wie 1989 - nur anders

Ein wenig erinnert das Saisonfinale in diesem Jahr an das aus dem Jahre 1989, als Liverpool am letzten Spieltag gegen den FC Arsenal in letzter Sekunde den Titel verspielte. Dieses Mal jedoch hatte es noch eine andere Art von Dramatik. Der Anfang war der Ausrutscher von Gerrard gegen Chelsea. Ausgerechnet Gerrard, der sich seit Jahren nichts sehnlicher wünscht, als die Meisterschaft mit seinem FC Liverpool. Der Gipfel war nun die fast surreal erscheinende Schlussphase gegen Palace.

Hoffnung macht die Geschichte, denn ein Jahr nach Horrorfinale gegen die Gunners holten die Reds 1990 ihre bis dahin letzte Meisterschaft. 2015 wäre dies 25 Jahre her.

Es wäre dem FC Liverpool zu wünschen. Allen voran Steven Gerrard, der noch vor wenigen Wochen einen flammenden Appell an seine Truppe richtete und auf das Titelrennen einschwor. Nun ist der 33-Jährige als moralische Stütze gefragt. Dabei war er wohl selbst der traurigste Mensch an diesem Abend. Noch trauriger wohl als Luis Suarez.

Der 37. Spieltag im Überblick

Artikel und Videos zum Thema