"Der ganze Verein war vergiftet"

Von Interview: Carsten Germann
Bruce Grobbelaar (l.) gewann mit Liverpool den Landesmeisterpokal und wurde sechsmal Meister
© Getty
Cookie-Einstellungen

SPOX: Schulden, Leidenschaft und Drama - Untertitel zu Ihrem Buch "Our Liverpool". Was waren die wichtigsten Erlebnisse während Ihrer Recherche in der Fanszene, Chris?

Shaw: Der gute Wille der Liverpool-Fans, mit denen ich in Mönchengladbach war. Zu diesem Verein besteht sein vielen Jahren eine großartige Fan-Freundschaft. Auch die Fans von Bayern München waren sehr nett. Der am meisten bewegende Moment war die Gedenkfeier für die 96 Toten der Stadionkatastrophe von Hillsborough.

SPOX: Liverpool-Legende Dietmar Hamann hat die deutschen Fans mal als "Scouser" (Spitzname der Menschen in Liverpool, d. Red.) bezeichnet, weil sie auch den Fußball, Bier und Späße mögen. Wie nahe sind die Deutschen dran am Liverpooler Original?

Shaw: Das ist ganz interessant: Es gibt ja zweifelhafte Beschreibungen des deutschen Fußballs und seiner Fans in den britischen Medien.

SPOX: Wir haben davon gehört...

Shaw: Ja? (lacht). Gut, nach Englands 5:1-Triumph gegen Deutschland in München (WM-Qualifikation 2001, d. Red.) haben viele Fans bei uns von nichts anderem mehr gesprochen. Aber sie haben vergessen, dass Deutschland anschließend ins WM-Finale gekommen ist - und England nicht. Von meinen Reisen nach Deutschland weiß ich: Die Fans haben es gerne mit den Engländern zu tun und sie sprechen am Liebsten mit ihnen über Fußball. Die Atmosphäre in den deutschen Stadien ist sehr gut. Die vielen Klischees aus dem Zweiten Weltkrieg, die von den Boulevardmedien immer wieder gebraucht werden, stören dieses gute Verhältnis.

Grobbelaar: Dietmar Hamann hat absolut recht, wenn er sagt, dass die "Scouser" in Liverpool und die Deutschen ähnlich sind. Sie lieben diesen Sport und ein gutes Bier. Und ich kann sagen, dass ich auch die Unterstützung der deutschen Fans in den Stadien liebe.

SPOX: Ist Liverpool ein globaler Klub und wie wichtig sind die Fans außerhalb Großbritanniens?

Grobbelaar: Nehmen Sie nur Norwegen als Beispiel. Dort gibt es mehr als 120.000 organisierte Liverpool-Fans. In Deutschland sind es mehr als 20.000 und auch in den USA entstehen in vielen Städten neue Fanklubs. Von daher sind wir einer der größten globalen Klubs.

Shaw: Die Fans außerhalb Großbritanniens sind sehr wichtig. John W. Henry hätte den Verein sicher nicht übernommen, wenn er sich dessen nicht bewusst wäre.

Grobbelaar: Liverpool hat aufgrund seiner Dominanz in den 1970er und 1980er Jahren ein Vermächtnis zu bewahren. Erst recht nach dem Champions-League-Wunder 2005 in Istanbul. Nur der sportliche Erfolg wird unsere Position als globaler Klub auch in Zukunft sichern.

SPOX: Champions-League-Finale 2005 gegen Milan: Bruce Grobbelaar, im Elfmeterschießen wurde Reds-Keeper Torhüter Jerzy Dudek für seine Reflexe auf der Torlinie gefeiert. Sie haben 1984 in Rom mit ihren "Spaghetti Legs"-Bewegungen die Spieler der Roma entnervt. Hat Dudek Sie kopiert?

Grobbelaar: Ich denke nicht. Vor dem Elfmeterschießen in Istanbul soll Jamie Carragher zu ihm gesagt haben: 'Mach es wie Brucie', aber ich bin nicht sicher, ob Dudek überhaupt gewusst hat, wer ich bin... Jedenfalls hat er seinen eigenen Stil gehabt. 1984 war Wahnsinn und es war alles regelkonform...

SPOX: Chris, in "Our Liverpool" blicken Sie auch auf das gigantische Fan-Potenzial der Reds in Asien. Warum ist Fernost so wichtig für den Klub und für den englischen Fußball insgesamt?

Shaw: Asien war immer schon der Kontinent für das sogenannte "New Business" und auch für neue Fangruppen. Das Interesse am FC Liverpool in China ist in den letzten fünf Jahren immens gestiegen. In Shanghai habe ich die Hard Days Night-Bar besucht - mit einem Taxifahrer, der ungefähr so schnell war wie Euer Michael Schumacher in seinen wilden Tagen... Obwohl die Liverpool-Spiele dort um zwei Uhr nachts chinesischer Zeit gezeigt werden, ist der Laden immer voll. In Malaysia oder Thailand sind die Stadien ausverkauft, wenn Liverpool kommt. Asien ist nicht nur für die englischen Vereine der Markt der Zukunft.

Grobbelaar: Fußball ist der einzige globale Sport der Welt. Er hat sich in ein Konsumprodukt verwandelt. Das heißt aber nicht, dass die Fans zu Hause bleiben und sich die Spiele im Fernsehen anschauen. Menschen sind neugierig und sie brauchen eine große Bühne. Die gibt ihnen der Fußball auch in Asien.

SPOX: Chris, die Inspiration zu Ihrem Buch lieferte Ihr Freund Stephen Rooney, der 2009 mit nur 41 Jahren bei einem Arbeitsunfall in Saudi-Arabien starb...

Shaw: Anfangs war es eine Schnapsidee. Ich saß mit Stephen am Syntagma-Platz in Athen und wir ertränkten unseren Kummer über die 1:2-Niederlage der Reds im Champions-League-Finale gegen den AC Mailand. Ich habe beiläufig gesagt, dass sich der Support rund um den FC Liverpool ganz schön verändert hat. Stephen und ich gingen seit den Siebzigern nach Anfield und wir fanden es interessant, unsere Heimatstadt Liverpool mit der nationalen und der internationalen Anhängerschaft des Klubs zu vergleichen. Stephen klopfte mir auf die Schulter und sagte: 'Das ist eine gute Idee und Du bist der Mann, der das Buch schreibt.' Im April 2009, 24 Stunden nach dem 4:0 über Real Madrid in der Champions League, stand ich an Stephens Grab...

SPOX: Bruce Grobbelaar, wo haben Sie dieses Spiel gesehen?

Grobbelaar: Es gibt die Fußballerweisheit, dass sich so ein Wunder wie 2005 in Istanbul nicht wiederholt. Jeder hat gesehen, dass das so ist. Ich habe das Spiel in Südafrika in einem Pub bei Durban gesehen - und mich mächtig geärgert.

Der FC Liverpool im Steckbrief

Artikel und Videos zum Thema