Die Angst vor dem Exodus

Von Haruka Gruber
Gipfeltreffen (fast) ohne neue Stars: ManUnited gegen den FC Chelsea im Community Shield
© Getty

England holte jahrelang die größten Stars - doch diese Zeiten sind vorbei. Der Premier League droht der Verlust der Vormachtstellung an Spaniens Primera Division. Und das alles, weil ein verhasstes Staatsoberhaupt die Steuern erhöht.

Cookie-Einstellungen

Einer der zahlreichen Witze über Großbritanniens Premierminister geht so: "Eine Rezession ist, wenn dein Nachbar den Job verliert. Eine Depression ist, wenn du selbst den Job verlierst. Ein Aufschwung ist, wenn Gordon Brown den Job verliert." Oder: "Zehn Prozent der Briten geben Browns Politik ein Daumen hoch. 90 Prozent benutzen einen anderen Finger."

Zugegeben, scharfsinnig sind die Pointen nur bedingt - aber doch spiegeln sie die Malaise wider, die die britische Bevölkerung, die Medien, selbst sonst neutrale Experten gegenüber dem Staatsoberhaupt empfinden. "Was ist braun und richtet nur Unheil an? Gordon Brown."

Browns Vermächtnis wird einzigartig sein. Noch nie war ein Premierminister so unbeliebt in seiner Wählerschaft. Die Arbeitslosigkeit des Landes ist so hoch wie seit über zehn Jahren nicht mehr - und, was wohl keinem Premierminister zuvor gelungen ist: Seinetwegen droht der Premier League der Verlust ihrer Vormachtstellung.

Der Zustrom neuer Stars versiegt

Denn einer von Browns wichtigsten Gesetzesentwürfen, den Steuersatz für Spitzenverdiener auf 50 Prozent zu erhöhen, tritt im April 2010 in Kraft -  und hat weitreichende Auswirkungen.

Kunstschaffende wie Michael Caine oder Andrew Lloyd Webber drohten bereits mit der Auswanderung, am meisten darunter leiden wird aber wohl die Premier League. "Die Steuerlast wird die englische Dominanz beenden", orakelt der "Guardian".

Die Premier League befindet sich in einer Sinnkrise. Nachdem 2008 noch Hochkaräter wie Robinho, Deco, Bosingwa oder Luka Modric aus dem Ausland nach England gewechselt waren, versiegte in diesem Sommer der Zustrom neuer Stars. Zudem verlor die Liga mit Cristiano Ronaldo ihre größte Attraktion.

Wenger schlägt Alarm

Trotz des im Verhältnis zum Euro schwachen Pfunds bestimmten englische Klubs dank ihrer Strahlkraft und ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten jahrelang den europäischen Transfermarkt, doch seit Browns Steuererhöhung bricht eine neue, womöglich schmerzhafte Ära für die Premier League an.

"Das neue Steuersystem und die Abwertung des Pfunds wird die Vorherrschaft  brechen. Das ist sicher - und es wird für jeden englischen Verein zu einem finanziellen Problem werden", befürchtet Arsenal-Manager Arsene Wenger.

Spanien der größte Profiteur

Um die Tragweite von Browns Fiskalpolitik zu illustrieren: Damit einem Spieler ein Netto-Gehalt von drei Millionen Euro bezahlt werden kann, muss der Premier-League-Klub inklusive Steuern und Sozialabgaben 6,8 Millionen Euro aufbringen. In Italien sind es 5,7 Millionen Euro, in Deutschland sogar nur 5,4 Millionen Euro.

Als der größte Profiteur des geänderten britischen Steuersystems könnte sich jedoch Spanien erweisen. Spanien, das ausländische Einwohner für die ersten fünf Jahre nur mit einem Steuersatz von 24 Prozent belastet, so dass ausländische Unternehmen auf die iberische Halbinsel gelockt werden.

Von dieser Regelung profitieren selbstredend auch die Vereine aus der Primera Division, die insgesamt nur vier Millionen Euro pro Jahr ausgeben müssen, um sich einen ausländischen Spieler mit einem Netto-Gehalt von drei Millionen Euro zu leisten.

Kosten (inkl. Sozialabgaben) für einen Spieler mit einem Netto-Gehalt von 3 Mio. Euro

LandHöchstsatz der
Einkommenssteuer
Kosten für einen
Verein in Euro
UK (ab April '10)50 Proz.6,8 Mio.
Frankreich40 Proz.6,7 Mio.
UK (aktuell)40 Proz.5,7 Mio.
Italien43 Proz.5,7 Mio.
Deutschland45 Proz.5,4 Mio.
Spanien (Inländer)43 Proz.5,3 Mio.
Spanien (Ausländer)24 Proz.4,0 Mio.

(Quelle: Deloitte)

Selbst Deutschland schlägt sich tapfer

Der geringe Steuersatz ist eine wichtige Erklärung dafür, dass mit Ronaldo, Karim Benzema, Xabi Alonso (beide Real Madrid) und Zlatan Ibrahimovic (FC Barcelona) die größten Deals des Sommers von spanischen Vereinen eingefädelt wurden.

Auch Italien übt offensichtlich einen Reiz aus (Diego, Samuel Eto'o, Lucio), selbst die Bundesliga schlug sich respektabel und verpflichtete aus dem Ausland Stars aus der zweiten Reihe (Anatoliy Tymoschtschuk, Obafemi Martins, Pawel Pogrebnjak) oder international begehrte Talente (Eljero Elia, Marcus Berg, Franco Zuculini).

England hingegen verlor massiv an Qualität. Neue Superstars gibt es schlichtweg nicht, so dass bereits Alberto Aquilani (von AS Rom zum FC Liverpool) und Juri Schirkow (von ZSKA Moskau zum FC Chelsea) als die größten ausländischen Transfercoups der Saison gelten müssen.

Pennant-Weggang als Symbol

Ansonsten gehören die Zugänge eher in die Kategorie Geheimtipps (Arsenals Thomas Vermaelen, Sunderlands Lorik Cana, Evertons Dinijar Biljaletdinow), junge Hoffnungsträger (Blackburns Nikola Kalinic, Birminghams Christian Benitez, Hulls Jozy Altidore) oder abgehalfterte Altstars (Blackburns Michel Salgado, ManCitys Sylvinho, Portsmouths Steve Finnan).

Schlimmer noch: Neben Ronaldo verließen etliche Spieler die Premier League, die noch in der vergangenen Saison mit hoher Wahrscheinlichkeit in England geblieben wären.

Alonso und Alvaro Arbeloa machten es Ronaldo nach und schlossen sich Real an, Elano zog Galatasaray einem Verbleib in der Premier League vor. Ähnlich entschied sich der bereits 35-Jährige, aber in England nach wie vor hoch geschätzte Neu-Leverkusener Sami Hyypiä.

Zu einer Symbolfigur wurde Jermaine Pennant stilisiert, dessen Transfer zum spanischen Aufsteiger und Abstiegskandidaten Real Saragossa sinnbildlich für die Angst einer Fußball-Nation steht. Zwar war kein englischer Spitzenklub am hochveranglagten, aber wankelmütigen Pennant interessiert, dennoch erstaunte sein Weggang derart, dass das Magazin "FourFourTwo" ein Blog veröffentlichte mit dem Titel: "Wie Pennant die Premier League ruinieren könnte."

70 Prozent Brown-Aufschlag

"Die Entwicklung ist todernst", sagt Spieleragent Phil Smith, zu dessen Klienten unter anderem Wayne Rooney gehört. Sein Kollege Jonathan Barnett (Ashley Cole, Peter Crouch) ergänzt: "So sehr die Premier League durch die neuen Steuern benachteiligt wird, wird die Primera Division bevorteilt. Meinetwegen bietet Manchester United Ronaldo das gleiche Gehalt wie Real, aber in Madrid steht er 25 Prozent besser da."

Das angesehene Wirtschaftsprüfungsunternehmen "Deloitte" geht sogar davon aus, dass zukünftig englische Vereine bis zu 70 Prozent mehr Gehalt bieten müssten, um mit ihren spanischen Konkurrenten mithalten zu können.

"Wenn England seine Steuerangelegenheit nicht zufriedenstellend löst, ist es wahrscheinlich, dass die Premier League einen Exodus erlebt", sagt Arsenals Winterzugang Andrei Arshavin, der selbst von der Steuererhöhung überrascht wurde und von seinem Arbeitgeber eine entsprechende Gehaltsanhebung fordert.

Eto'o kostet neun Millionen Euro - alleine für den Fiskus

Ob nun Manchester United, Chelsea, Liverpool oder eben Arsenal: Keiner aus den Big Four kann die Augen vor den neuen Gegebenheiten verschließen. "Ohne Manchester City wäre der englische Fußball nicht viel mehr als Statisten auf dem Transfermarkt", schreibt der "Guardian".

Aber selbst der Scheich-Klub stößt an seine Grenzen, wie er schmerzhaft im Sommer erleben musste. Samuel Eto'o etwa forderte ein Gehalt von 215.000 Euro pro Woche netto - was für ManCity jährlich Ausgaben von acht Millionen Euro bedeutet hätte, um alleine den Steuerverpflichtungen des Kameruners nachzukommen.

Die Citizens sagten schweren Herzens ab. Beschwerdebriefe bitte an Gordon Brown, Downing Street 10, Westminster, London.

Pennant: Warum ein englischer Star zu einem spanischen Aufsteiger wechselt